Man findet immer ein Aas, das menschlich ist

Von Elske Brault |
Einmal im Jahr trifft sich der Regienachwuchs aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beim "Körber-Studio Junge Regie" in Hamburg. Der Gewinner des Wettbewerbs erhält die Gelegenheit, an einem Staatstheater zu inszenieren.
Wer weiß, ob der Gewinner den Preis überhaupt als das große Los ansieht. In diesem Jahr nämlich haben die jungen Regisseure mehr als jemals zuvor ihre Zweifel an den gängigen Theaterformen auf der Bühne formuliert:

"Was soll, kann, darf, will, muss Kunst. Was ist Kunst eigentlich. Und in welchem Verhältnis stehen wir, die nicht bloß darstellen wollen, sondern Wert legen auf selbständige Autorenschaft."

Diese Sätze aus Katharina Crommes Stück "Romantik ist ein Frauenporno" parodieren die Theoriediskussionen in Theaterseminaren, doch zugleich sind es tatsächlich die Fragen, an denen die Teilnehmer des achten Körber-Studios Junge Regie sich abgearbeitet haben. Sollen wir auf der Bühne eine Illusion erzeugen oder eher die Mechanismen der Illusionsmaschine Theater bloßlegen? Inwieweit kann der Schauspieler noch eine Figur darstellen, kann er so tun, als wäre er Romeo? Und wenn er's nicht kann, wenn er stets zeigt, dass er spielt, wie erzeugt er dann Anteilnahme?

Jens Bluhm vom Max-Reinhardt-Seminar Wien hat sein Stück gebaut um die zentrale Frage, was Repräsentationstheater überhaupt noch leisten kann mit den üblichen Mitteln der Imitation:

"Und zwar sind die Tierstimmen ja auch musikalisch interessant. Diese Arie der Königin der Nacht, die kennen Sie vielleicht. Das ist der Ruf der Schimpansin, die sagt: Geh weg!"

Diesen Vortrag eines Tierstimmenforschers hat Bluhm gemischt mit Szenen aus der Beziehungskrise eines Paares, Beobachtungen einer alten Frau am Fenster oder dem Wettstreit zweier Teenager, welcher Party-Sex besser gewesen sei, der auf dem Dach oder der auf dem Klo. Spielhaltungen und Stimmungen, wahllos aneinander gereiht, so scheint es, wie im Schauspieltraining. Doch allmählich wird eine zugrunde liegende Textur sichtbar. Jens Bluhm beschreibt mit den Ausdrucksübungen des sehr traditionellen Max-Reinhardt-Seminars seine eigene Suche nach Wahrhaftigkeit auf der Bühne. Und das, sagt er, treibt alle Teilnehmer des Körber-Studios um:

"Viele Stücke beschäftigen sich damit, wo geht’s hin, immer wieder wird ausgestiegen und sich gefragt, was machen wir jetzt hier, erzählen wir nur noc, oder spielen wir oder performen wir. Und ich glaube, dass es Sinn macht, darüber nachzudenken, was Figurentheater heißt. Und ob es auch in Zukunft Sinn machen könnte, da noch einen Blick zurückzuwerfen: Was ist eigentlich das Notwendige im Theater. Oder was bringt eigentlich auch einem Zuschauer Spaß sozusagen."

Die Inszenierungen bekannter Texte boten wenig Spaß: Die Romanadaptionen von Dostojewskis "Schuld und Sühne", dargeboten von der Otto-Falckenberg-Schule München, oder vom einstigen Bestseller "Schlafes Bruder" von der Regieschule in Frankfurt – sie verbreiteten gepflegte Stadttheater-Langeweile. Noch schlimmer war, den Schauspiel- und Regiestudenten aus Salzburg zuzusehen bei ihrer Interpretation von Tankred Dorsts "Parzival": Wie hier auf hohem Niveau alle Register des Theaterhandwerks gezogen wurden, Tanz, chorisches Sprechen, Akrobatik, um einen Text abzuspulen, bei dem völlig schleierhaft blieb, inwiefern er den Zuschauer angehen könnte oder den Regiestudenten interessiert hat, das war schon arg. Revoluzzer will man doch bei einem Nachwuchsregiewettbewerb treffen, keine braven Knechte der Textinterpretation.

Nur einem Regisseur gelang es, einen Text nicht im geringsten zu verändern und doch so zu präsentieren, dass der Zuschauer sich unmittelbar gemeint fühlt: Und das ausgerechnet mit "Medea", dem fast 2500 Jahre alten Drama des Euripides:

"Auch kann der Gatte, wenn daheim ihn Ärger quält, dann einfach gehen, das wütend Herz zu sänftigen. Uns ist in eine Seele nur der Blick vergönnt."

Drei schwarz gekleidete Schauspielerinnen werfen sich hier die Textbälle zu, sprechen die Verse mal als Chor, dann wieder im Dialog. Nur eine Klanginstallation verstärkt die Stimmungen, im übrigen setzt Regisseur Karl Philipp Fromberger von der Folkwang Universität Essen ganz pur auf das Wort. Der Niederbayer sieht mit seinem Vollbart und der stämmigen Figur aus wie das Klischeebild eines bayrischen Bauern. Und er greift auf den Text so beherzt zu, als müsse er einer Kuh beim Kalben helfen. Da sitzt Euripides plötzlich mit Elfriede Jelinek an einem Tisch und diskutiert über die Jahrhunderte hinweg Männerrollen, Frauenrollen, Geschlechterkampf. Eben: Medea.

Für Gernot Grünewald von der Gastgeberhochschule Hamburg kommt die Arbeit mit einer literarischen Vorlage nicht in Frage. Er bot Dokumentartheater: Seine drei Schauspieler haben Menschen kurz vor ihrem Tod besucht. Zum Beispiel einen 91-Jährigen im Altersheim. Um diesem Altersheim zu entkommen, hatte Herr Walter, wie er im Stück heißt, mit seiner 94-jährigen Frau den Doppelselbstmord geplant:

"Diese Entscheidung wurde getroffen wie alle anderen auch: gemeinsam. Und für uns beide war das ganz klar. Und dann hab ich ihn gefragt, wie er an die Medikamente gekommen ist, und er hat gesagt, man findet dann doch immer ein Aas, das menschlich ist. Das einem dabei hilft."

Doch Herr Walter wurde wiederbelebt und wartet nun im Heim auf den Tod, so wie die Kettenraucherin mit Lungenkrebs im Hospiz und die Frau mit Darmkrebs in ihrer Einzimmerwohnung. Die Recherche seiner Schauspieler, ihr Zurückschrecken vor manchen Fragen, ihre eigenen Ängste bezieht Regisseur Grünewald mit ein. Und inszeniert den Text wie Musik: Mit Mikrofon und Effektgerät verdoppeln die Darsteller ihre Stimme, sie unterlegen ihr Sprechen mit heftigem Atmen, markerschütterndem Raucherhusten oder der Mahlzeitenfolge im Altersheim. Dabei ist "Drei Leben – ein Projekt über das Sterben" ein ungemein tröstlicher Theaterabend, vermittelt er doch die Erkenntnis, dass jeder Schritt, auch der letzte, zu schaffen ist, sofern man ihn nicht allein gehen muss.

Eine fünfköpfige Jury hat eine Inszenierung zur besten gekürt: Sie entschied sich für das Stück "Drei Leben". Regisseur Gernot Grünewald erhält nun die Gelegenheit, an einem Staatstheater zu inszenieren.

Informationen der Körber-Stiftung zum Festival