Neue Foodtrends

Voller Geschmack ohne Verzicht

Eine junge Frau hält Äpfel, Mandarinen und eine Kaki in den Händen und riecht daran.
Eine junge Frau hält Äpfel, Mandarinen und eine Kaki in den Händen und riecht daran. © picture alliance / dpa-ZB / Jens Kalaene
14.01.2015
Soft Health, Do-it-yourself, Hybrid Food – so heißen einige Essenstrends, mit denen sich die Ernährungsexpertin Hanni Rützler beschäftigt hat. Sie beschreibt diese Konzepte zum Auftakt unserer Reihe "Wie wollen wir (morgen) leben?"
"Wie wollen wir (morgen) leben?" So heißt eine kleine Reihe im Deutschlandradio Kultur, in der es um gesellschaftliche Veränderungen durch neue Trends geht. Die Reihe beginnt mit dem Thema "Essen". Ein weiteres Gespräch zum "Wohnen" findet am Donnerstag statt. In der kommenden Woche geht es dann zum Auftakt der "Fashion Week" um "Mode und Kleidung".
Die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler beschrieb im Deutschlandradio Kultur einige, die Esskultur nachhaltig prägende Entwicklungen. Zum Beispiel den Foodtrend "Soft Health": Hier suche man nach neuen Konzepten für gesunde Ernährung ohne gänzlichen Verzicht auf Fett, Kohlenhydrate und Ballaststoffe:
"'Soft Health' heißt, dass wir auf der Suche sind nach Lösungen, die schmecken. Die nicht den Geruch und auch nicht den Geschmack von Verzicht haben. Und es uns trotzdem leichter machen, gesund und ausgewogen und auch unserem Wissen und Geschmack adäquat zu essen. Das sieht man zum Teil auch in der Betriebsküche."
Die neue Lust am Selbermachen
Bei der Ernährung zeichne sich auch ein Trend zum "Do it yourself" ab, meinte Rützler. Es gebe eine "neue Lust am Selbermachen", bei der es um Freude, Lebensqualität und Selbstverwirklichung bei der handwerklichen Tätigkeit des Kochens gehe :
"Wenn jemand wieder anfängt, selber zu kochen, zu backen oder selber Einzumachen, dann sind es Menschen, die sich für das Thema interessieren. Und die hier sozusagen eine Form der Selbstermächtigung erleben. Also man kann auch gut Applaus bekommen, wenn man sagt: 'Ich habe diese spezielle Marmelade selber gemacht.'"
Hanni Rützler ist Ernährungswissenschaftlerin, Gesundheitspsychologin, Foodtrendforscherin und hat zahlreiche Bücher zur Zukunft der Esskultur veröffentlicht. Sie ist auch Autorin des "Food Reports 2015".

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Ab heute wollen wir in einer kleinen Reihe der Frage nachgehen, wie wir in Zukunft leben wollen und werden. Um Kleidung und um Wohnungen wird es dabei gehen an den kommenden Tagen, um die Frage, wie und was wir in Zukunft essen werden, geht es zum Auftakt heute.
Das ist seit vielen Jahren eines der großen Themen von Hanni Rützler. Die Ernährungswissenschaftlerin und Gesundheitspsychologin ist Autorin zahlreicher Bücher, sie ist Autorin des jährlichen "Food Reports" und auch Gründerin des "Future Food Studio" in Wien, wo sie lebt.
Schönen guten Morgen, Frau Rützler!
Hanni Rützler: Schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Mir scheint, wenn man sich mit der Zukunft des Essens befassen will, dann kriegt man schnell das Gefühl, man benötige erst mal ein Wörterbuch. Begriffe wie "Hybrid Food", "Food Paring", "Soft Health" oder auch "DIY" tauchen da auf, auch bei Ihnen zum Teil. Sind das alles nur Modewörter oder verbirgt sich dahinter wirklich die Zukunft des Essens.
Rützler: Man greift in der Trendsprache vielleicht gerne auf englische Worte zurück, weil sie einfach sehr knapp und pointiert sind. In Deutsch wären das immer Zweiteiler. Aber ich kann es Ihnen in zwei Zeilen auf jeden Fall übersetzen.
Kassel: Bevor wir zu einem Begriff kommen, wo ich schon einen sehr konkreten Verdacht habe, was es ist, nehmen wir den, wo ich nichts so richtig in Verdacht habe: Soft Health, also so eine Art sanfte Gesundheit, was soll denn das sein beim Essen?
Lösungen, die schmecken
Rützler: Ja, Soft Health, ich glaube, wir haben jetzt auch hier Jahrzehnte von Ernährungsdebatten hinter uns. Kein Medium kann mehr ohne diese Diskussionen auskommen zum Thema gesunde Ernährung. Wir haben sehr viel gelernt über Fette, über Kohlenhydrate, über Ballaststoffe, aber natürlich auch über Eicosapentaensäuren, und wir sind hier also sehr intensiv in dem Thema drinnen.
Auch die Konsumenten haben sehr viel dazu gelernt, und sie haben auch gelernt, dass man häufig bei gesunder Ernährung verzichten muss. Und das funktioniert immer weniger, weil dann kommt es zu diesem Jojo-Effekt. Und Soft Health zeigt eigentlich sozusagen, dass wir auf der Suche sind nach Lösungen, die schmecken, die nicht den Geruch und auch nicht den Geschmack von Verzicht haben und trotzdem es uns leichter machen, uns gesund und ausgewogen und auch unserem Wissen adäquat und unserem Geschmack adäquat zu essen.
Und das sieht man zum Teil auch in der Betriebsküche, da ist doch in den letzten ein, zwei Jahren viel in Bewegung geraten. Das hat eine lange Vorgeschichte, aber das sind schon schöne Lösungen, würde ich sagen, dieser Food Trend. Der kommt nämlich wirklich kulinarisch, und den brauchen wir auf jeden Fall.
Kassel: Mit anderen Worten, es setzt sich auf Dauer ja auch nicht so richtig durch, wenn es nicht gelingt, Essen auch weiterhin mit Spaß und mit Freude zu verbinden.
Rützler: Genau. Weil wir haben immer wieder versucht, die Kalorien herauszunehmen, das Fett rauszunehmen, den Zucker rauszunehmen. Und dann schmeckt es halt so, als wäre etwas rausgenommen. Aber das alleine ist ja nicht die Lösung, sondern es braucht hier wirklich gute Konzepte.
Wir wissen, dass Obst und Gemüse ein großes gesundheitsförderndes Potenzial hat, und jetzt gibt es neue Produkte, die von der Rezeptur her schon diesen Lebensmittelgruppen mehr Platz einräumen und das sozusagen auch mit spannenden Geschmäckern. Also es wird durchaus leichter und vor allem auch wirklich kulinarischer, sich ausgewogener zu ernähren. Oder die vielen Salate, die es in der Zwischenzeit auch "To Go" an den Bahnhöfen oder an den Flughäfen gibt. Also da tut sich schon sehr viel an kleinen Schritten, die es uns leichter machen, gesündere Alternativen in den Alltag zu integrieren.
Kassel: Damit haben sie ja auch schon angedeutet, dass die Menschen es ja meistens mögen, wenn das nicht so kompliziert ist, ans Essen zu kommen, aber irgendwie dann doch so schmeckt, als sei es kompliziert gewesen. Da können wir vielleicht jetzt doch noch über dieses DIY reden. Da habe ich ja schon den Verdacht, das heißt einfach "Do it yourself", also "Mach es selber". Aber was bedeutet das in Bezug auf Essen?
Freude und Lebensqualität
Rützler: Ja, oft denken wir bei Do-it-yourself sozusagen noch so an das Selbermachen aus der Not, wie es in der Nachkriegszeit ein Thema war. Aber dieses neue Do-it-yourself entspringt nicht aus dem Mangel, sondern das ist wirklich so eine neue Lust am Selbermachen.
Das sieht man auf vielen Ebenen, nicht nur beim Essen. Aber beim Essen finde ich es besonders spannend, weil wir müssen ja eigentlich nicht mehr kochen, vor allem in den Single-Haushalten macht es ja auch nicht immer Sinn. Und es gibt viele Convenience-Produkte und Betriebskantinen, und die Systemgastronomie hat auch ein großes Angebot.
Das heißt, wenn jemand wieder anfängt, selber zu kochen oder selber einzumachen oder zu backen, dann sind das Menschen, die sich für das Thema interessieren und die hier sozusagen, ich möchte fast sagen, eine Form der Selbstermächtigung erleben. Man kann sehr gut wieder Applaus bekommen, wenn man sagt, ich hab diese spezielle Marmelade selber gemacht, und die Beeren habe ich vielleicht auch noch selber gepflückt.
Da hört man hin, das sind - da schmeckt man bewusster hin. Da kann man sich sozusagen Anerkennung holen, aber das kann auch einfach nur Spaß machen und Lust bereiten. Und ich habe wirklich den Eindruck, dass auf vielen Ebenen wir im Moment versuchen, so Themen, die uns wichtig sind, auch wieder zurückzuerobern. Da geht es also auch um Freude und um Lebensqualität und auch so eine Form von Selbstverwirklichung. In den Städten ist das sehr lebendig uns sehr spürbar.
Kassel: Die Frage ist immer, wie stark setzt sich so ein Trend in der Breite durch. Das kann man am Besten vielleicht an der Gegenwart erläutern. Die Zukunft ist ja immer so schwierig. Wir kennen sie nicht wirklich. Aber wenn man diesen nicht mehr neuen Trend zu den unendlich vielen Kochshows im Fernsehen betrachtet, den Boom der Kochbücher, dann sagen ja immer wieder Experten, das habe aber nicht dazu geführt, dass wirklich die Deutschen oder auch andere mehr und besser kochen.
Also ist das nicht immer in der Umsetzung dann doch ein Trend für Minderheiten, die sich ohnehin schon mehr fürs Essen interessieren als andere?
Kochen als Hobby
Rützler: Jain. Also, ich denke mir, wir haben eine Zeit gehabt, wo wir wirklich, also wo es für Frauen einfach ein Segen war, dass sie nicht kochen mussten. Und da ist jetzt, ein, zwei Generationen danach, kommen auch langsam die Männer, die das Kochen für sich entdecken, die sozusagen sagen, nein, es macht Spaß. Das ist sozusagen ein Stück Lebensqualität und auch eine neue Art von Connaisseur-Kultur.
Also sozusagen, selber zu kochen, kann auch Spaß machen. Das heißt aber nicht bei den Trends, dass das alle machen, sondern es machen die, denen das Thema wichtig ist. Und das ist ungefähr ein Drittel der Gesellschaft, die einfach sehr das Thema Essen, die hier affin sind und sich damit auseinandersetzen. Und ich habe das Gefühl, die Fernsehshows sind mehr so wie ein Spaziergang am Abend durch die Shoppingstraße, wenn die Geschäfte schon zu haben. Man schmökert und lässt sich hier und dort inspirieren, denkt sich, ach, das wäre nett, und das ist eigentlich zu teuer, und das ist viel zu aufwendig. Aber es inspiriert und regt an. Aber es ist nicht die Alltagsküche, die zurückkommt, sondern es ist mehr so ein Kochen als Hobby. Also, weil es kein Versorgungskochen mehr sein muss in Teilen unseres Lebens, kann sich das Kochen sozusagen auch noch mal viel kreativer und neu entwickeln.
Kassel: Aber bedeutet das nicht zwangsläufig auch noch eine weitere Spaltung der Gesellschaft? Denn sich gut zu ernähren, gut zu kochen, auch, wie Sie es beschrieben haben, Dinge selber zu machen, das ist ja teurer, als einfach irgendein billiges Essen aus dem Discounter zu holen. Und viele Menschen werden sich die Teilnahme an einigen der Trends, die Sie beschrieben haben, vermutlich doch schlicht nicht leisten können.
Rützler: Jain. Beim Kochen bin ich mir nicht sicher, ob man nicht in Zeiten der Krisen, wo man ja sehr schön gesehen hat, wie das Kochen so richtig noch mal angehoben hat, da haben sich die Menschen zwar keinen Kühlschrank gekauft, aber den Kühlschrank zu Hause, den haben sie eigentlich viel besser gefüllt.
Also wenn man kochen kann und sich auskennt bei den saisonalen Produkten, kann man sich sozusagen selber ernähren, und das ist viel wert. Wenn man sich alles kaufen muss, ist es deutlich teurer.
Kassel: Die Ernährungsexpertin Hanni Rützler über die Zukunft des Essens und des Kochens. Mit ihr haben wir unsere Serie zur Frage "Wie wollen wir in Zukunft leben?" eröffnet.
Fortsetzen werden wir sie morgen mit der Frage nach der Zukunft des Wohnens.
Für heute, Frau Rützler, vielen Dank!
Rützler: Bitte gern, Herr Kassel! Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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