Neu im Kino: "Porträt einer jungen Frau in Flammen"

Weibliche Utopie jenseits der Konvention

06:31 Minuten
Zwei Frauen umarmen sich am Strand (Szene aus "Porträt einer jungen Frau in Flammen")
Adèle Haenel und Noémie Merlant spielen die Hauptrollen in "Porträt einer jungen Frau in Flammen". © Alamode Film
Von Patrick Wellinski · 31.10.2019
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Zwei Frauen im 18. Jahrhundert, die sich beim Porträtmalen näher kommen. Klingt nach einer weiteren Kostüm-Schnulze, ist aber ein Meisterwerk, findet unser Filmkritiker. Céline Sciamma inszeniert es ganz ohne Männer im Bild.

Worum geht es?

Eine Insel vor der französischen Atlantikküste im 18. Jahrhundert: Die junge Malerin Marianne wurde engagiert, um ein Hochzeitporträt der jungen Héloïse zu erstellen. Sie soll verheiratet werden. Doch die aufmüpfige Héloïse lässt sich nicht porträtieren und hat viele Maler zur Verzweiflung gebracht.
Doch gegenüber Marianne verhält sie sich anders. Die beiden Frauen entwickeln ein intensives Verhältnis zueinander. Als sie für einige Tage alleingelassen werden, beginnen sie langsam; ihre Liebe zu begreifen, wohlwissend, dass sie keinen Platz in der Welt des untergehenden Ancien Régime haben wird.

Was ist das Besondere?

Ein irrsinniges und lustvolles Spiel von Begierde und Hingabe hat Céline Sciamma inszeniert. Ihr Film ist vor allem ein Versuch, den weiblichen Blick freizulegen. Das zeigt sich natürlich in der Art der Blicke, die Marianne und Héloïse sich zuwerfen, aber auch in der Art, wie Sciammas Kamera den weiblichen Körpern ihre Autonomie lässt.
Wunderbar spiegelt sich diese feministische Herangehensweise in der Porträtmalerei. Marianne erkennt das Wahre und Innerste von Héloïse. Nur ihrem Blick öffnet sich die Frau. Nur so kann ein Porträt entstehen an dem die – männlichen – Maler zuvor gescheitert sind.
Damit ist der Film auch eine herausragende Annäherung an künstlerische Schaffensprozesse. Ein Film, in dem keine einzige männliche Figur auftritt, lässt sich in unserer Zeit aber auch als klares gesellschaftspolitisches Statement herauslesen.
Sciamma entwickelt eine rein weibliche Utopie und stellt die üblichen Muster des Kostümfilms gewagt, frech und sehr präzise auf den Kopf. Dass sich daraus noch eine sehnsuchtsvolle und unendliche leidenschaftliche Liebesgeschichte entwickelt, macht "Porträt einer jungen Frau und Flammen" zu einem wahren Kino-Ereignis.

Die Bewertung

Machen wir es kurz: Das ist einer der wenigen großen Filme des Jahres. Sciammas herzzerreißende Liebesgeschichte ist zärtlich, modern und intelligent, ohne belehrend zu sein. Adèle Haenel und Noémie Merlant spielen ihre Figuren mit einer vereinnahmenden Natürlichkeit, die aber auch erotische Spannungen zulässt. Und wer bei den letzten grandios emotionalen Einstellungen des Films nicht den Tränen nah ist, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen. Kategorie: Masterpiece.

Porträt einer jungen Frau in Flammen
Kostümdrama, Frankreich 2019
Regie: Céline Sciamma
mit u.a. Adèle Haenel, Noémie Merlant, Valeria Golino

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