Netflix-Serie "Freud"

Kriminalist des Unbewussten

07:40 Minuten
Szene aus der Netflix-Serie "Freud": Robert Finster, der Sigmund Freud darstellt, steht mit einem nachdenklichen Blick in einem dunklen Raum.
In der neuen Netflix-Serie "Freud" spielt Robert Finster den Begründer der Psychoanalyse. © Jan Hromadko/SATEL Film Gmbh/Bavaria Fiction Gmbh
Von Pia Rauschenberger · 23.03.2020
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Koksen, einen Mord aufklären und das Unbewusste ergründen: Eine neue Netflix-Serie erzählt von Sigmund Freud als jungem Mann. "Freud" ist zwar historisch nicht immer korrekt, zeichnet aber ein treffendes Bild vom Charakter des Psychoanalytikers.
Jeder große Denker hat mal klein angefangen. Und Freuds Anfänge werden in der gleichnamigen Serie auf Netflix ziemlich kläglich dargestellt. Er inszeniert, er fakt zusammen mit seiner Haushälterin eine Hypnose-Vorführung, um seine Ärztekollegen von seiner Methode zu überzeugen.
Freud hat es schwer. Er hat Mietschulden, ist verliebt in Martha, die er womöglich nicht heiraten darf. Nimmt Kokain, um produktiv zu sein, und wird dann auch noch in einen Kriminalfall verwickelt: eine junge Frau, die brutal erstochen worden ist.
Mehrere Stiche mit einem Messer, hineingerammt in ihre Genitalien. Und da wären wir schon beim zentralen Thema: die weibliche Sexualität. Freud will sie verstehen, alle anderen scheinen davor zurückzuweichen.

Düstere Bilder vom "4 Blocks"-Regisseur

Regisseur Marvin Kren ist in Wien geboren und vor allem für seine Serie "4 Blocks" bekannt. Für "Freud" hat er nicht nur eine eigene, sehr düstere Bildsprache gewählt, sondern findet auch Wege, psychoanalytische Themen filmisch darzustellen. Freud will in die Unterwelt der Wiener Kanäle absteigen, um dort nach einer entführten Frau zu suchen. Die Kanäle stehen in der Serie stellvertretend für das Unbewusste.
Freud wagt sich vor, wird dafür aber nicht belohnt. Das Wien seiner Zeit macht es ihm nicht leicht. Soweit stimmt die Serie mit der realen Geschichte überein.
"Freud setzt die Psychoanalyse in eine Zeit, in der die bürgerliche Gesellschaft am Aufkommen war", sagt Christine Kirchhoff. Sie forscht zu Psychoanalyse und Kulturtheorie in Berlin.
"Wo es überhaupt eine Vorstellung gab von Individualität. Wo der Einzelne nicht nur seinen Berufsstand ausübt, in den er hineingeboren ist, also wo überhaupt die Idee auf die Welt gekommen ist, dass Menschen ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen und bestimmen können. Und das ist wiederum der Punkt, dass überhaupt jemand kommen kann und sagen: Naja, so weit ist es gar nicht her mit dem Schicksal in die eigene Hand nehmen. Denn wie Freud gesagt hat, sind wir ja bekanntlich nicht Herr im eigenen Haus."

Historisch ungenau

In einer feindseligen Umgebung mit der versammelten Wiener Ärzteschaft als Gegner versucht Freud, nicht nur mehrere Kriminalfälle zu lösen, sondern sie auch von seinen Ideen zu überzeugen.

Historisch ist die Serie überhaupt nicht genau, will es auch gar nicht sein. Das ist manchmal schade, wenn man sich wirklich für Freud interessiert. Aber das Wien seiner Zeit kommt rüber – eine eigentlich offene Gesellschaft, mit gleichzeitig starren Konventionen und einem grassierenden Antisemitismus. Und eine Besonderheit dieser Zeit ist in der Serie sehr präsent:
Ein Apothekenfläschchen aus braunem Glas, gefüllt mit weißem Pulver: Kokain.
Freud, der Kokser: Im Selbstversuch und an Patienten erforschte er die Wirkung von Kokain.© Jan Hromadko/SATEL Film Gmbh/Bavaria Fiction Gmbh
"Tatsächlich war im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts das Phänomen der sogenannten Hysterikerinnen sehr, sehr weit verbreitet", sagt Daniela Finzi. Sie ist wissenschaftliche Leiterin des Sigmund Freud Museums in Wien.
"Das waren zumeist bürgerliche Frauen, die aufgrund der starren Rollenzuschreibungen eigentlich völlig ihrer Handlungsmöglichkeiten beraubt waren und die eine Reihe von Symptomen entwickelt hatten, die eigentlich keine körperliche Ursache zu haben schienen. Wie zum Beispiel eben Lähmungserscheinungen, Krämpfe, Angstzustände, aber auch sprachliche Schwierigkeiten, Schmerzen, Depressionen."

Weibliche "Hysterie" und ihre Therapie

Den Frauen wird nicht nur ihre eigene Sexualität aberkannt. Auch ihre Krankheit wird – zumindest in der Serie – von der Ärzteschaft belächelt. "Hysterie ist ein anderes Wort für Lüge – und sie verdient nicht unser Mitleid", heißt es dort. Freud will sich damit nicht zufriedengeben.
"Und dann erfindet er, oder, sagen wir, Joseph Breuer zusammen mit einer ihrer ersten Patientinnen Anna O. – das war die Frauenrechtlerin Berta Pappenheim –, erfinden sie die ‚Talking Cure‘. Und dann stellt Freud aber relativ schnell fest, dass das nicht reicht. Und dass die Symptome immer wieder kommen. Und fängt dann an, nach der Herkunft dieser Symptomatik zu suchen."
Soweit zumindest die reale Geschichte. In der Serie werden viele psychoanalytische Themen angeschnitten und teilweise wild durcheinandergewirbelt: Es gibt starke Mutter- und Vaterfiguren, Dissoziationen, Verführung, Traumata, Übertragung. Selbst Abstinenz, also die in der Psychoanalyse geforderte Enthaltsamkeit, Zurückgenommenheit des Analytikers, wird indirekt angesprochen.

Ein leidenschaftlicher, verbissener Freud

Gut getroffen ist der Charakter Freuds. Robert Finster schafft es, ihn leidenschaftlich, verbissen und unnachgiebig darzustellen. "Freud war sicherlich von einem ganz besonders großen Ehrgeiz", sagt Daniela Finzi. "Von einem wissenschaftlichen Ehrgeiz, aber auch von einer Art Zuversicht, einem Vertrauen, etwas ganz besonders Großes schaffen, entwickeln zu können, angetrieben."
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