Netflix-Erfolg "Shtisel"

Ein positiver Blick auf das ultraorthodoxe Leben

09:10 Minuten
Familie Shtisel
Vor etwa drei Jahren wurde die Serie "Shtisel" weltweit über Netflix bekannt. Nun geht sie in die dritte Staffel. © yes studios / Ohad Romano
Christian Röther im Gespräch mit Massimo Maio · 31.03.2021
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"Shtisel" ist zurück. Die israelische TV-Serie erzählt empathisch und verständnisvoll vom Leben einer ultraorthodoxen Familie. Und sie ist so beliebt, dass sogar ein Hollywood-Remake geplant ist. Bei Netflix läuft nun eine dritte Staffel.
In Israel ist das ultraorthodoxe Judentum durchaus umstritten: Auch weil die Männer ihr Leben oft nur dem religiösen Studium widmen, keine weltlichen Berufe ergreifen und vom Militärdienst befreit sind. Oft ist das Leben in eigenen, abgeschotteten Stadtviertel auch geprägt von Armut. "Eine Welt, mit der die meisten von uns nie etwas zu tun haben", sagt Filmkritiker Christian Röther.
Die Serie "Shtisel" wirft nun einen empathischen, verständnisvollen Blick in diese sonst so abgeschottete Welt des ultraorthodoxen Lebens, in dem die Männer lange Bärte und Schläfenlocken tragen, die Frauen Perücke oder Kopftuch.
"Die Serie schaut nicht von außen, sondern von innen auf diese Welt", so Röther. Ihr sei das ehrliche Interesse für das Ultraorthodoxe anzumerken, was wohl auch daran liegt, dass die beiden Macher der Serie selbst im ultraorthodoxen Milieu aufgewachsen sind, auch wenn sie sich später davon abwandten.

Vom "kreativen Umgang" mit strengen religiösen Vorschriften

Ohne politische oder gesellschaftliche Konflikte aufzugreifen, erzählt die Serie die Familiengeschichte der Shtisels. "Die Politik bleibt draußen. Auch der Nahostkonflikt spielt keine Rolle", sagt Röther.
Dafür gehe es um Religion, aber auch um Liebe und Eifersucht, Geldsorgen, um Eltern-Kind-Konflikte und um den familiären Zusammenhalt. Also um ganz universelle Themen in einer eher ungewöhnlichen Welt. Hier wird bei wichtigen Entscheidungen der Rabbi um Rat gefragt. Ehen werden nach wie vor mithilfe eines Heiratsvermittlers arrangiert. "Was für die meisten von uns vermutlich recht befremdlich ist", meint Röther.
Obgleich die Serie Ultraorthodoxie nicht verurteilt, spare sie problematische Aspekte wie beispielsweise patriarchale Strukturen nicht aus und blicke kritisch auf die strengen religiösen Regeln. "Die Männer kommen in der Serie durchweg schlechter weg als die Frauen", lautet Röthers Bilanz.
"Shtisel" zeige aber auch, wie die Protagonisten die Vorschriften geschickt beugen oder umgehen. Dieser recht "kreative Umgang" mit den vielen Vorschriften macht die Figuren in der Serie sympathisch. "Hauptsache, es bekommt niemand mit", sei das Motto, so Röther: Ist Autofahren verboten, wird der neue Wagen eben außerhalb des Viertels geparkt.

Auf Hebräisch und Jiddisch mit Untertiteln

Die dritte Staffel von "Shtisel", die extra von Netflix in Auftrag gegeben wurde, habe ein wenig an Nachdenklichkeit eingebüßt, sagt Röther. Sie sei schneller, dramatischer und zugespitzter. Ein Höhepunkt jage den nächsten und selbst ein Suizidversuch werde da schnell zur Nebensache. "Das ist mir dann zu viel Drama. " Trotzdem sei auch die dritte Staffel noch empfehlenswert, auch weil sie den Horizont erweitere und Einblick in das ultraorthodoxe jüdische Leben gebe.
Shulem Shtisel (Dovale Glickman)
Der strenge Patriarch: Shulem Shtisel, gespielt von Dovale Glickman.© yes studios / Vered Adir
Die Serie ist nicht auf Deutsch oder Englisch verfügbar, sondern ausschließlich im Original mit Untertitel. Das heißt, auf Hebräisch und auf Jiddisch, der Muttersprache vieler ultraorthodoxer Menschen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler mussten Jiddisch deswegen extra für die Serie lernen. Sie selbst kommen nicht aus dem Ultraorthodoxen.
Das mit dem Deutschen verwandte Jiddisch klingt dabei für Zuschauer hierzulande vertraut – und fremd zugleich. "Das finde ich sehr sympathisch, dass man ein paar Begriffe versteht", meint Röther. Vielleicht sei das auch einer der Gründe, weswegen die Serie in Deutschland so gut ankomme.
(lkn)
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