Netflix-Doku "Sommer der Krüppelbewegung"

Ein Feriencamp als Utopie

08:32 Minuten
Jugendliche auf einer Wiese, manche sitzen in einem Rollstuhl.
"Wir haben damals verstanden, dass nicht die behinderten Jugendlichen das Problem waren, sondern wir", sagt ein Betreuer in der Dokumentation „Sommer der Krüppelbewegung". © Netflix
Rebecca Maskos im Gespräch mit Andreas Müller · 23.04.2020
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Liebe, Partys, Politik: In Camp Jened genossen Jugendliche mit Behinderung um 1970 dieselben Freiheiten wie ihre Altersgenossen. Von ihrem Kampf um Bürgerrechte in den USA erzählt die Netflix-Dokumentation "Sommer der Krüppelbewegung".
Das scheinbare Nischenthema Behinderung im Film rückt in den Mainstream: Keine Geringeren als Barack und Michelle Obama, der US-Präsident a.D. und die ehemalige First Lady, haben die Dokumentation "Der Sommer der Krüppelbewegung" (Originaltitel: "Crip Camp") produziert, die jetzt auf Netflix zu sehen ist.

Sommerfrische für Jungen und Mädchen mit Behinderung

Es geht darin um das Camp Jened, ein Sommercamp für Jugendliche, in dem viele Jahre vor allem Jugen und Mädchen mit Kinderlähmung betreut wurden. Im Lauf der Jahre kamen Jugendliche mit verschiedenen anderen Behinderungen hinzu.*
In den 1960er und 70er Jahren habe sich dann die pädagogische Haltung der Betreuer geändert, sagt Rebecca Maskos. Sie ist freie Journalistin und Doktorandin und forscht unter anderem zum Thema Diskriminierung behinderter Menschen.

Woodstock war gleich nebenan

Im Film bringe einer der Betreuer diese neue Haltung mit den folgenden Worten zum Ausdruck, so Maskos: "Wir haben damals verstanden, dass nicht die behinderten Jugendlichen das Problem waren, sondern wir waren das Problem - wir, die Nichtbehinderten, unsere Vorstellungen über Behinderung."
Von da an konnten die Teenager in dem Camp also "eine ganz normale Zeit haben", sagt Rebecca Maskos, mit allem was man eben so erlebe: "erste Liebe, Party machen, über die Welt philosophieren."
Es war die Zeit der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung, des Feminismus und der Hippies. Das Woodstock Festival war gleich um die Ecke. Schnell habe sich da herumgesprochen, dass in Camp Jened etwas anderes stattfand als die normale "Behindertenbetreuung", so Maskos.

Vom Ferienlager zur Straßenblockade

Die Interviews im Film würden zeigen, wie das Camp das Leben der Teilnehmer verändert habe, und wie sie sich emanzipiert hätten, sagt Rebecca Maskos: "Es war ein kleines Utopia, in dem behinderte Menschen sich ganz anders gesehen haben als sonst in den 70ern in den USA."
Dieser "Spirit", dieses Aufbegehren, habe ausgestrahlt, auch über das Camp hinaus. Bald wurden die erste Bürgerrechtsorganisation behinderter Menschen gegründet und Straßenblockaden organisiert. Bei diesen Aktionen hätten nur ein paar Dutzend behinderte Menschen in Manhatten den Vekehr komplett lahmgelegt, erzählt Maskos: "Die Leute aus dem Camp Jened waren immer dabei."
(sed)
*Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version des Artikels stand hier eine falsche Aussage über die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Camps. Wir haben den Halbsatz gestrichen.
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