Nena, Scorpions, Sportfreunde Stiller

Warum manche Popsongs ikonisch werden

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Die Rockband Scorpions auf der Bühne bei der Interpretation ihres Songs "Wind of Change" 2004.
"Vage und metaphorisch": Die Scorpions besingen den "Wind of Change". © picture-alliance / dpa | Rainer Jensen
Thomas Hecken im Gespräch mit Dieter Kassel · 17.03.2021
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"99 Luftballons" oder "Wind of Change": Songs, die jeder kennt, die uns an eine bestimmte Zeit erinnern. Warum sind gerade diese Titel so berühmt geworden? Der Kulturwissenschaftler Thomas Hecken weiß, worauf es dabei ankommt.
"Hits & Hymnen. Klang der Zeitgeschichte": So heißt eine neue Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn. Es geht um "Musik, die die Geschichte verändert hat". Was macht einen Song aus, mit dem viele Menschen ein zeitgeschichtliches Gefühl verbinden? Der uns alle an eine bestimmte Zeit erinnert?

Fordernde Texte, merkwürdige Rhythmen

Ikonische Songs müssten einfach sein, aber nicht unbedingt schlagerhaft oder unpolitisch, sagt Thomas Hecken, Herausgeber von pop-zeitschrift.de und der Print-Zeitschrift "Pop. Kultur und Kritik". Der Text eines solchen Songs fordere den gesellschaftlichen Konsens heraus - oder er bestärke und bestätige ihn auf eine besondere Weise.
Oder es sei eben die Musik, die für etwas stehe: So seien die jungen Hörerinnen und Hörer in Deutschland in den 1950er-Jahren "auf diese merkwürdigen angloamerikanischen Sounds und Rhythmen" gestossen. "Auch das kann einen hohen politischen Wert haben und einen hohen Erinnerungswert auslösen", sagt Hecken.
Nena mit ihren "99 Luftballons", die Scorpions mit "Wind of Change", die Sportfreunde Stiller mit "'54, '74, '90, 2006": drei Beispiele für Songs, die - aus unterschiedlichen Gründen - ikonisch geworden sind. Mit den "99 Luftballons" habe sich Nena auf die damals präsente Friedensbewegung "draufgesetzt", sagt Hecken. Es sei ein enorm populärer und "gut gemachter" Popsong, der auch international sehr erfolgreich war - das sei damals ungewöhnlich für eine deutsche Produktion gewesen.

Über den persönlichen Kummer hinaus

Die Ballade sei die Songform mit der größten Tradition in der Pop- und Rockmusik, sagt Hecken: "Und wieso sollte man sich der pathetischen Gefühle schämen?" Die Scorpions hätten die Balladenform auf eine vage und metaphorische Art und Weise genutzt, um über den persönlichen Kummer und das individuelle Leid hinauszugehen und ein politisches Phänomen zu besingen. "Wind of Change" sei ein Dokument der Zeitgeschichte. Gorbatschow habe die Scorpions sogar einmal eingeladen.
Die Sportfreunde Stiller sieht Hecken als "nette, studentische, halbwegs dem Indierock entstammende" Band. "'54, '74, '90, 2006" habe ehemals vor allem die jüngeren Menschen angesprochen, die bei dem WM-Turnier 2006 die Public-Viewing-Zonen und Partymeilen bevölkerten und diese mit Deutschland-Trikots und -Fahnen überschwemmten. Der Song selbst sei "hyperkonsens-orientiert" gewesen, betont Hecken, "um dann textuell Bestand haben zu können".
(ahe)
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