Der Mann hinter dem strahlenden Lächeln
Das Nelson Mandela Centre of Memory in Südafrika kümmert sich um Mandelas Nachlass und setzt seine Arbeit fort.
Tief unten im Bauch des schicken Nelson Mandela Centre of Memory nimmt Verne Harris eine beige Papiermappe aus dem Regal. Er ist Archivar und Historiker, hat in der Wahrheitskommission mitgearbeitet und kennt hier, wo wichtige Dokumente aus Mandelas Nachlass aufbewahrt werden, jedes Stück aus dem Effeff.
An Archivschränken voller Bilder und Karikaturen läuft er täglich vorbei, an Regalen voller Medaillen und Staatsgeschenken. Hier unten nun, im gut gesicherten und gekühlten "Allerheiligsten" befinden sich Mandelas persönliche Dokumente.
Harris zieht vorsichtig ein dünnes Papier aus der beigen Mappe. Mandelas charakteristische, enge Handschrift füllt die Zeilen.
Der Mensch hinter der Ikone
"Ich lese Ihnen nur mal den letzten Satz hier vor", sagt Harris. Es ist das Blatt, auf dem Mandela 1998 eine Fortsetzung zu seiner Autobiografie 'Der lange Weg zur Freiheit' begann – die Überschrift lautet: 'Die Jahre als Präsident'. Er sagt, es gefällt ihm nicht, dass man ihn zum Heiligen stilisiert. 'Ich war niemals ein Heiliger', schreibt er. Auch wenn man sagt - ein Heiliger ist ein Sünder, der niemals aufgibt."
Wer liest, was auf den fein-linierten Blättern, in den vielen Tage- und Notizbüchern steht, die hier aufbewahrt werden, der lernt den Mann hinter dem strahlenden Lächeln kennen, das Nelson Mandela in der Öffentlichkeit so gern zeigte.
"Es gibt diese öffentliche Person, die Ikone - und den Menschen dahinter. Und das ist der Nelson Mandela, der mich wirklich berührt. Der Mensch, der viele Fehler gemacht hat und der außergewöhnliche Dinge in seinem Leben tat – weil er Werte hatte, von denen er nicht abrückte. Zum Beispiel seine Überzeugung, dass Freiheit mit allen geteilt werden muss. Aber zuerst muss man sich selbst befreien. Und das ist eine lebenslange Reise."
Gewaltige Opfer für den Kampf gegen die Apartheid
Aus einer anderen Mappe nimmt Verne Harris jetzt Mandelas Reisepass. Der wurde 1990 ausgestellt, wenige Tage, nachdem der weltberühmte Häftling aus dem Gefängnis entlassen wurde. Die Stempel darin zeugen von den vielen Reisen, die Mandela machte, als er seine Freiheit endlich wieder erlangt hatte.
Es ist die eine Aufgabe des Centre of Memory all diese Dokumente sorgsam aufzubewahren, sie im Internet zu veröffentlichen und Ausstellungen konzipieren, die gerade auch denen, die nach dem Ende der Apartheid geboren wurden, zeigen, welche gewaltigen Opfer Nelson Mandela und seine Mitstreiter für die Freiheit bereit waren, zu bringen. Das Centre hat allerdings auch eine wichtige zweite Aufgabe:
"Hier geht es nicht nur darum, Madibas – also Nelson Mandelas - Leben zu feiern – das ist ja immer und immer wieder getan worden", sagt Verne Harris und schiebt Mandelas Pass zurück in die Mappe.
"Was tun wir mit diesen Wunden?"
"Über 22.000 Menschen sind vor der Wahrheits- und Versöhnungskomission befragt worden. Alles Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen – und wir glauben da dem Mythos, dass die Menschen dadurch Heilung gefunden hätten. Aber stimmt das? Nach allem was wir hier hören, ist diese Heilung nie geschehen. Und dann ist die Frage – was tun wir mit diesen Wunden?"
Erst vor wenigen Monaten hat das Nelson Mandela Centre of Memory z.B. an der Publikation eines Buchs mitgearbeitet, das auf den Erinnerungen Winnie Mandelas beruht. Sie verbrachte mehr Zeit in Einzelhaft als alle anderen Anti-Apartheid-Kämpfer – nämlich 491 Tage – und so heißt auch das Buch.
"Und das ist für ein ganz wichtiges Statement. Ja - Nelson Mandela ging ins Gefängnis und brachte Opfer für den Kampf gegen die Apartheid, - aber viele wissen nicht, was Winnie durchgemacht hat. Sie war 18 Monate in Isolationshaft und sie wurde gefoltert. Davor waren Mandela und seine Führungs-Garde geschützt. Solange unsere Gesellschaft ihr Schicksal und das derer, denen es ebenso erging, nicht aufarbeitet, werden wir den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen sein. Die wirklich schwierige Erinnerungsarbeit hat gerade erst begonnen."
20 Jahre Demokratie in Südafrika
Weil Menschen in anderen Staaten ähnlich schwierige Erinnerungsarbeit zu leisten haben, hat das Nelson Mandela Centre of Memory gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit einen Dialog initiiert, der über anderthalb Jahre 27 Menschen aus elf Ländern zusammen führt – die sich über ihre Erfahrungen mit der Erinnerungsarbeit austauschen.
Das erste Treffen fand in Südafrika statt, das zweite ist in Kambodscha geplant und das Abschlusstreffen wird in Deutschland sein. Verne Harris packt jetzt auch Nelson Mandelas Manuskripte vorsichtig wieder in die beige Mappe – und stellt alles zurück in den Archivschrank.
"Wenn wir nächstes Jahr in Südafrika '20 Jahre Demokratie' feiern, dann können wir auf vieles stolz sein, aber dürfen nicht einfach nur feiern. Wir müssen da hingucken, wo noch etwas zu tun ist. Wir müssen den Stimmen zuhören, denen bislang noch nicht zugehört wurde."