Neil La Bute in Konstanz

Die Hölle zu zweit

Der US-amerikanische Regisseur, Autor und Dramatiker Neil LaBute, aufgenommen bei einer Theaterpremiere am 26.6.2013 in Los Angeles
Der US-amerikanische Regisseur, Autor und Dramatiker Neil LaBute © imago / ZUMA Press
Von Michael Laages |
Analog zur "short story" in der Literatur hat Neil LaBute zahlreiche "short plays" entwickelt. Vier dieser Kurzstücke kamen jetzt in Konstanz zur Aufführung. Die düsteren Beziehungsdramen sind wahre Exzesse im Plauderton.
Der Amerikaner Neil La Bute, 1963 in Chicago geboren, ist eine der zentralen Stimmen in der Kulturszene des Landes; auch weil er so vielseitig ist: als Filmemacher, Fernseh-Autor und immer wieder als Dramatiker. "Das Maß der Dinge" machte ihn 2001 auch im deutschsprachigen Raum bekannt, in direkter Folge der "Nine-eleven"-Anschläge reagierte er extrem schnell: mit dem Bühnen-Text "Tag der Gnade".
Auch sein Stück "Fettes Schwein" erreichte deutsche Spielpläne; vor allem aber ist La Bute ein Meister der kleineren Dinge - er montiert "short plays", die den "short stories" in der Literatur sehr ähnlich sind; kurze Stücke, die oft genügend Themen für einen ganzen Abend im Theater anreißen, allerdings komprimiert auf eine Szene und 20 oder 30 Minuten.
Gleich vier dieser Kurz-Stücke zeigt jetzt das Theater in Konstanz, das mit dem Autor seit einigen Jahren locker verbunden ist; zur Eröffnung der laufenden Spielzeit inszenierte La Bute in Konstanz Tschechows "Onkel Wanja". Jetzt La Bute mal 4 unter dem Titel "We have a situation here" und "situations", unlösbare Probleme also, gibt's hier genug.

La Butes "short plays" oft grausig und rätselhaft

Fünf Jahre nach der Hochzeit erinnert sich zum Beispiel ein Paar an die Hochzeitsnacht; aber unklar ist schon, ob die vor fünf Jahren (sagt er) oder schon vor sechs (sagt sie) das gemeinsame Leben verändert hat. Unter dem eher banalen Streit-Palaver, auch über Lust und Verweigerung in Liebe und Sex, gähnt finster ein Abgrund - in dieser Nacht, so stellt sich heraus, waren die beiden beteiligte Zeugen eines tödlichen Autounfalls; ein paar Jugendliche starben, und die Frischvermählten haben niemandem jemals von ihrer Rolle in diesem Drama erzählt. So knapp, grausig und rätselhaft sind die "short plays" von Neil La Bute meistens.
Szene 2: Ein Mann bekennt dem Freund gegenüber das bevorstehende Sterben; aber der jüngere Partner in dieser schwulen Beziehung ist ein bisschen blöde, und außerdem hat er die stumme Schwester dabei, die ihm unentwegt ins Ohr flüstert, wie er mit der Tragödie des Freundes umzugehen hat. Und als der das nicht mehr aushält, mutiert die stumme Schwester zum schrillen Alptraum - und wünscht dem Todkranken die Hölle an den Hals, falls der die tödliche Krankheit nur erfunden haben sollte, um den jungen Lover loszuwerden ... Das ist grob und grotesk, schräg und schrecklich komisch - die schwule Beziehung wird hier dem schlimmstmöglichen Stress-Test unterzogen.

Fokus liegt auf privaten, oft sexuellen Problemen

Derart eng fokussiertes Schreiben, komplex und kompakt, gibt's im deutschsprachigen Theater bis heute nicht; auch wenn gerade erst in Wien und Berlin Produktionen gezeigt wurden, die wie bei La Bute aus Miniaturen montiert sind. Während aber zum Beispiel am Deutschen Theater, sehr deutsch, gleich wieder "Die 10 Gebote" thematisiert wurden, belässt La Bute es bei sehr privaten Erkundungen am vorzugsweise sexuellen Abgrund ... ein wiederum schwules Paar will in der dritten Szene mit dem Titel "Hassverbrechen" den bisherigen älteren Lover des jüngeren Mannes um die Ecke bringen ... in der Konstruktion des Verbrechens aber glüht und funkelt plötzlich vor allem der latente Selbsthass zwischen den Männern. Derweil suchen bei der "Liebesdienst GmbH" unbefriedigte Frauen den großen Kick in der inszenierten Vergewaltigung ...
Der scharf geschliffene Ton beim Dramatiker La Bute ist immer noch Überraschung pur, Johanna Wehner, Andreas Bauer und Ingo Putz finden in Konstanz für die scharfe und grelle Sprache ganz einfache szenische Lösungen: zwei Stühle, ein Tisch, das Bett, ein Wartezimmer. Die Exzesse im Plauderton aber, typisch für diesen sehr speziellen Autor, können sie auf diese Weise eher noch zuspitzen, sozusagen La Bute über La Bute hinaus treiben.
Die Sache mit dem "Hassverbrechen" übrigens hatte La Bute noch selber eingerichtet, als er im vorigen Herbst in Konstanz war; für diesen Text, noch unveröffentlicht wie alle anderen, habe er daheim in den USA (und also auch in der ihm vertrauten schwulen Szene) niemanden gefunden, der das spielen wollte.
Und auch das ist eine Empfehlung für diesen wirklich starken Konstanzer Abend der Entdeckungen - voll von finstren Farben, voll Horror und Witz.

"We have a Situation here"
Von Neil LaBute
Regie: Johanna Wehner, Andreas Bauer, Neil LaBute
Mit: Laura Lippmann, Bettina Riebesel u.a.

Mehr zum Thema