Schmeichelei gegen Redlichkeit

Von Ulrich Fischer · 17.09.2010
Neil LaBute, dem profiliertesten amerikanischen Dramatiker unserer Zeit, ist mit "lieber schön" erneut ein großer Wurf gelungen. "lieber schön" ist eine Komödie gegen die Lüge und Schmeichelei für Redlichkeit und Aufrichtigkeit.
LaButes Meisterschaft erweist sich schon in der ersten Szene: das Paar im Mittelpunkt, Greg und Steph, fetzt sich. Steph beschuldigt Greg der seelischen Grausamkeit. Ihre Freundin hat gehört, dass Greg im Gespräch mit einem Freund sie, ihr Gesicht, "normal" genannt hat.

Warum ist das ein Grund für Streit, gar für die Trennung? Nach und nach wird deutlich, dass Steph völlig konventionell denkt. Wenn sie nicht schön ist für Greg, ist sie im innersten Selbstbewusstsein getroffen. Sie erfüllt nicht die Anforderungen jeder beliebigen Illustrierten. Mit dem zweiten Paar vertieft LaBute das Problem. Kent, der Arbeitskollege von Greg, weiß, wie man Frauen behandeln muss. Man schmeichelt ihnen, lügt ihnen die Hucke voll, und lässt im Gespräch unter Männern die üblichen Breitseiten der Frauenfeindlichkeit los. Was zählt sind Arsch und Titten, die derbsten Ausdrücke sind gerade gut genug, im Englischen die berühmten "four letter words."

Carly, Kents Frau, ist mit dieser Regelung ganz zufrieden und trägt die ein oder andere Intrige bei. Als sie allerdings schwanger wird und fürchtet, an körperlicher Attraktivität einzubüßen, durchleidet sie schwerste Krisen. Und ihr Mann auch, der sich einer Jüngeren zugewandt hat. Wenn er ihre Vorzüge schildert, wird der Gegensatz zu Greg deutlich. Hier ein Macho, bis zur Herzlosigkeit blind, dort Greg, der sich um Redlichkeit und aufrichtiges Gefühl bemüht.

Das Ensemble spielt unter Alexandra Liedtkes Leitung im Kasino, einer Studiobühne des Burgtheaters, bei der deutschsprachigen Erstaufführung am Freitag vorzüglich. Die Exposition hat Schwächen, aber sie werden rasch ausgebügelt. Die vier Schauspieler - Lucas Gregorowicz (Greg), Christiane von Poelnitz (Steph), Oliver Masucci (Kent) und Dorothee Hartinger (Carly) - arbeiten heraus, dass unter der spannenden Oberfläche dieses Stücks noch eine tiefere, bedeutsame Schicht liegt. Greg liest gern, und zwar die amerikanischen Klassiker. Hawthorne wird genannt, Poe - aus der Lektüre zieht Greg den Wunsch nach Wahrhaftigkeit und einer Beziehung zu seiner Freundin, die sich nicht mit den üblichen Oberflächlichkeiten zufrieden gibt. Immer, wenn es um Streit und Gefühle geht, die falsch sind, spielen die Darsteller, als agierten sie in einem Hollywood Film - der aufdringliche Hypervitalismus des Actor's Studio, bei dem der Mime nicht nur mit einem Finger auf den anderen zeigt, sondern sicherheitshalber gleich mit beiden.

Dieser Unlauterkeit der Kunst, die abwegige Maßstäbe propagiert und falsche Leitbilder erzeugt, setzt LaBute entschlossen und humorvoll seinen Realismus entgegen, jene Genauigkeit im Denken, die sich auf Amerikas große literarische Tradition stützen kann. "lieber schön" ist auch eine Kampfansage an Hollywood, an den trügerischen Schein. Das Theater ist besser als der Film, wenn es redlicher für die Emanzipation seiner Zuschauer streitet.

Am Ende wendet sich Greg von seinen falschen Freunden und seiner Arbeit in der Fabrik ab. Er will Literatur studieren. Es wäre so nötig, dass auch die anderen begriffen, welchen selbstzerstörerischen Versprechungen sie aufsitzen. Vielleicht kann Greg dazu beitragen.

Neil LaBute hat es gewiss getan mit seinem neuen Meisterwerk: "lieber schön".