NDR-Doku "Lovemobil“

Was darf ein Dokumentarfilm?

08:21 Minuten
Verloren im nächtlichen Nirgendwo stehen die Wohnmobile an den Landstraßen.
Wesentliche Szenen des Dokumentarfilms "Lovemobil" wurden nachgestellt und dies wurde nicht kenntlich gemacht. © NDR / Christoph Rohrscheidt
Daniel Sponsel im Gespräch mit Gabi Wuttke · 01.04.2021
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„Lovemobil“ ist ein hochgelobter Dokumentarfilm über Straßenprostitution. Dann kam heraus, dass Szenen nachgestellt sind. Dass dies nicht kenntlich gemacht wurde, sei ein großer Fehler, sagt Daniel Sponsel, Leiter vom Dokumentarfilmfestival München.
Vorgeblich schildert Elke Lehrenkrauss' für den NDR gedrehter Dokumentarfilm "Lovemobil" die Härten eines Wohnmobil-Straßenstrichs. Nach Recherchen von STRG_F (ebenfalls NDR) stellte sich jedoch heraus: Der Film arbeitet zum großen Teil mit gestellten Szenen und Laien. Der NDR nahm den Film daraufhin aus der Mediathek und arbeitet den Sachverhalt auf.
Auch die Filmszene diskutiert seitdem energisch über den Fall, darunter die AG Dok und die Deutsche Akademie für Fernsehen. Hier äußerten sich jetzt Filmemacher, Fernsehredakteure und Regisseure zur "Causa Lovemobile".

Ein Dokumentarfilm muss Methoden offenlegen

Der Dokumentarfilm habe, anders als die Dokumentation, größere Freiheiten, erklärt Daniel Sponsel, der als Leiter des Dokumentarfilmfestivals München an der Runde teilgenommen hat. Allerdings dürfe ein Dokumentarfilm nicht mit Darstellern arbeiten, ohne dies kenntlich zu machen. "Das ist der Fehler in diesem Film", so Sponsel.
Die Diskussionsrunde war sich in einigen Fragen einig, berichtet Sponsel. So forderte man "einen ehrlichen und offenen Umgang mit den Methoden des Films. Der Film hätte genau das sein können, was er jetzt ist, aber er hätte seine Methoden offenlegen sollen, schon im Prozess der Arbeit und dann auch fürs Publikum. Da waren sich alle einig: Das geht so nicht, das muss man tun."
Uneinigkeit herrschte dagegen bei der Frage, wo der Dokumentarfilm seine Grenzen ziehe: Was darf ein Dokumentarfilm, um Realität abzubilden? "Das ist in der Tat etwas, was jeder einzelne Film und jede einzelne Filmemacherin mit dem Film neu besetzt und neu aushandelt", so Sponsel. Da gebe es kaum Grenzen.
Mit "Lovemobil" sei die Tür aufgestoßen worden zu einem "weiten Feld, in dem über vieles geredet werden muss, auch über die Produktionsbedingungen. Aber sicherlich auch über die allgemeine Erwartungshaltung, was Dokumentarfilm leisten kann, wenn er in so ein sensibles Milieu filmt."

Offensichtlich arrangierte Szenen

In dem Film befänden sich einige Szenen, bei denen offensichtlich sei, dass sie nicht ohne Verabredung hätten gedreht werden können, sagt Sponsel:
"Es ist in dem Film offensichtlich, dass es arrangierte Szenen gibt. Das heißt noch lange nicht, dass das mit Leuten passiert, die ihre wahre Identität nicht von sich geben. Aber das passiert auch genauso mit Leuten, die ihre wahre Identität behalten", so der Festivalleiter.

Hoffnungen auf fragilere Filme

Er hoffe, dass die Debatte auf allen Seiten "auch vonseiten des Publikums über die Erwartungshaltung" aufgehe und "wir uns gegenseitig sensibilisieren, das dann vielleicht solche Filme auch gar nicht mehr in der Erwartungshaltung des Publikums stehen, sondern dass wir vielleicht wieder offener werden für Filme, die fragiler sind und weniger ästhetisch geradeaus."
(nho)

In unserem Filmmagazin "Vollbild" wirft Christian Berndt einen Blick auf die Kontroverse um "Lovemobil":
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