Debatte um den Dokumentarfilm "Lovemobil"

Wie echt ist das Bild der Wirklichkeit?

08:54 Minuten
Eine Frau sitzt in einem Wohnwagen und hält die Hände vors Gesicht.
Szenenbild aus "Lovemobil": Regisseurin Margarete Lehrenkrauss gab den Deutschen Dokumentarfilmpreis zurück. © SWR / Christoph Rohrscheidt
Ingo Kottkamp im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 27.03.2021
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„Lovemobil“ ist ein hochgelobter Dokumentarfilm über Straßenprostitution – bis sich herausstellt, dass wesentliche Szenen nachgestellt sind. Der Radiojournalist Ingo Kottkamp plädiert dafür, den Fall nicht zu skandalisieren.
Kann es sein, dass das Dargestellte authentischer ist als die Wirklichkeit? Das behauptet zumindest die Autorin des preisgekrönten Dokumentarfilms "Lovemobil". Darin geht es um Straßenprostitution. Dass wesentliche Szenen ihres Films aber nicht von Prostituierten und Freiern dargestellt wurden, sondern nachgestellt waren, hatte Elke Margarete Lehrenkrauss nicht erwähnt.
Das sorgte in den letzten Tagen für einigen Wirbel. Unter anderem gab die Regisseurin den Deutschen Dokumentarfilmpreis zurück, den sie im vergangenen Jahr dafür erhalten hatte.


Die Frage nach der Wirklichkeit im Dokumentarfilm ist auch für das Radiofeature interessant. "Man guckt sich die Wirklichkeit an und liefert ein Bild dieser Wirklichkeit mit den Mitteln, die das jeweilige Medium bietet", sagt der Radiojournalist und Feature-Redakteur Ingo Kottkamp: "In unserem Fall ist es eben ein akustisches Medium. Und dass das, was man dann hört, in einem Feature nicht genau eins zu eins das ist, was man gesehen hat, das ist ja im Grunde trivial."

"Immer konstruiert man Wirklichkeit"

Nichtsdestotrotz sei es tatsächlich ein Problem und ein Regelverstoß, dass in "Lovemobil" vorgegeben worden sei, hier handle es sich um echte Prostituierte, so Kottkamp: "Aber selbst wenn es echte Prostituierte gewesen wären, wer sagt denn, dass das so eins zu eins die Wirklichkeit ist?"
Schließlich komme es auch auf die Fragen an, die man ihnen stellt, den Moment, in dem man sie filmt oder wie man sie ausleuchtet – und letztlich auch auf den Schnitt. "Also dieses Konstruieren von Wirklichkeit ist eigentlich das basale Handwerk, auch wenn man einen ganz normalen Beitrag hat – immer konstruiert man Wirklichkeit."
Kottkamp wünscht sich statt einer Skandalisierung des Films eine Reflexion über die dargestellte Wirklichkeit, denn durch die künstlerische Reflexion komme man oft "viel näher an die Wirklichkeit, an die Zwischentöne und auch an die Ambiguitäten".

Die Feature-Reihe "Wirklichkeit im Radio" im Deutschlandfunk Kultur beschäftigt sich genau mit solchen Fragen. In "Die Ratten von Paris" geht es einerseits um das allen bekannte Paris von oben, das der Sehenswürdigkeiten und Cafés, und andererseits um das Paris von unten, das der Kanalisation – bewohnt von Ratten.
Verloren im nächtlichen Nirgendwo stehen die Wohnmobile an den Landstraßen.
„Lovemobil" heißen die mobilen Wohnwagen an den Rändern deutscher Landstraßen. In den blinkenden Minibordellen warten Frauen in nächtlicher Einsamkeit auf ihre Freier.© NDR / Christoph Rohrscheidt

Hybrid aus Faktischem und Künstlerischem

Den Autor Eric Bergkraut habe dabei auch die phantasmagorische, also die traumhaft-gespenstische Seite interessiert, so Kottkamp:
"Es geht auch um die Ängste, die Menschen vor dem Untergrund, vor dem, was unter uns ist, vor Ratten haben. Und dadurch kommen mehrere Ebenen in diesem Feature ins Spiel. Und diese Ebenen werden dann eben zum Teil faktisch, zum Teil aber auch künstlerisch behandelt. Und es entsteht ein Hybrid daraus."
(ckr)
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