Nazi-Jäger unter Alt-Nazis

Rezensiert von Katja Wilke · 03.11.2013
Der jüdisch-deutsche Staatsanwalt Fritz Bauer kehrte nach dem Krieg nach Deutschland zurück und brachte als Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main ehemalige NS-Schergen vor Gericht. Seine Recherchen führten auch zur Festnahme von Adolf Eichmann.
Es ist ein Lebenslauf, der Respekt einflößt: Ein Jude, der gerade noch rechtzeitig Nazi-Deutschland verlassen kann, kehrt nach dem Krieg zurück - und nutzt seine Stellung als Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main, um nahezu im Alleingang ehemalige NS-Schergen vor Gericht zu bringen. Als Jäger von Adolf Eichmann und als Initiator des Frankfurter Auschwitzprozesses macht sich Fritz Bauer weit über die deutschen Grenzen hinaus einen Namen.

Der Journalist Ronen Steinke beschreibt in seiner neu erschienenen Biografie, wie weit der Ausnahmejurist Bauer seiner Zunft voraus war: Wo andere Strafverfolger und Richter keine Handlungsspielräume sahen oder sehen wollten, brach er neuen Rechtsgedanken Bahnen.

Mit dem Auschwitz-Prozess vor 50 Jahren wollte er nicht nur solche Täter vor Gericht bringen, denen unmittelbar Morde nachgewiesen werden konnten. Vielmehr ging es ihm, wie Steinke schreibt, um einen Querschnitt des gesamten Lagersystems, der verdeutlichen sollte, wie industrialisiert und hochorganisiert das Morden von Menschen ablief.

Der Staatsanwalt war überzeugt: Die einzige moralische Option für alle Beteiligten wäre die Verweigerung gewesen. Das Gesuch um einen Einsatz im regulären Kriegsdienst statt im Lager sei jederzeit möglich gewesen. Steinke schreibt:

"Wer die Maschine stattdessen mit am Laufen halte, wissend, dass sie allein dem Mord diene, der morde mit, egal an welcher Stelle in dem arbeitsteiligen Ablauf er seinen Beitrag leiste, ob an der Gaskammer oder in der Kleiderkammer. Das ist der juristische Kern der Anklage in Frankfurt. Fritz Bauer weist seine Staatsanwälte an, in diesem Sinne zu handeln."

Überzeugen kann er mit seiner Argumentation im Nachkriegsdeutschland – das noch immer von Altnazis und braunem Gedankengut durchdrungen war - nicht; auch die Urteile im Auschwitzprozess fallen milde aus. Erst heute folgen Richter seinen Gedanken. Wie etwa 2011 in dem spektakulären Prozess gegen den Lagerwachmann John Demjanjuk.

Nach dem Krieg nahm er von allem Jüdischen Abstand
Ronen Steinke beschreibt eindrucksvoll, auf welche - aus heutiger Sicht unvorstellbaren - Hindernisse Fritz Bauer mit seinem Verfolgungseifer in der jungen Bundesrepublik stößt. Wie viel Courage, diplomatisches Geschick, strategisches Denken und vielleicht auch Selbstverleugnung nötig ist, um seine Sache voranzubringen. Denn immer glaubt er dem Eindruck entgegentreten zu müssen, er sei von Rachsucht und Hass getrieben.

"Viele Deutsche denken in diesen Jahren, die ins Land zurückgekehrten Emigranten seien nicht legitimiert, im Namen Deutschlands zu sprechen und sich über dessen Vergangenheit zu äußern, weil sie es verlassen hätten. Gerade jetzt, da Fritz Bauer sich anschickt, den Auschwitz-Prozess auf die Bühne zu hieven, wird er machtvoll daran erinnert. Kaum einer der Empörten versäumt zu erwähnen, dass Bauer ja ein persönlich Betroffener sei – freilich stets in gütigem, vorgeblich nachsichtigem Ton."

Er habe sich nach 1945 entschieden, von allem Jüdischen Abstand zu nehmen, um als Deutscher voll anerkannt zu werden, schreibt Steinke. Derselbe Mann, der sich während seiner Studienjahre in einer jüdischen Studentenverbindung engagiert und sich als junger Amtsrichter in der Weimarer Republik gegen antisemitische Angriffe der NS-Presse hatte wehren müssen, gab sich nach dem Krieg gegenüber anderen Juden zuweilen unnahbar, während so mancher nichtjüdische Gesprächspartner von seiner gewinnenden Art eingenommen war.

"Das ist seine Tragik: Bauer stößt sich ausgerechnet von der einzigen Gruppe ab, die ihn je wirklich hat dazugehören lassen. Er manövriert sich menschlich in eine Situation, die sogar einsamer ist als die seiner Eltern und Großeltern in der Weimarer Zeit. Bauers Vorfahren haben es sich schließlich nie nehmen lassen wollen, jüdisch und deutsch zu sein. Wann immer man ihnen das Deutschtum absprechen wollte, blieb ihnen zumindest der Zusammenhalt in der zweiten, der jüdischen Gruppe."

Und dennoch war es Bauer, dessen unermüdliche Recherche und dessen Hinweise an den israelischen Geheimdienst Mossad dazu führten, dass 1960 schließlich Adolf Eichmann in Argentinien ergriffen wurde, der Cheforganisator des Holocausts und damals der wohl bekannteste, noch nicht gefasste Nazi.

Eine Festnahme, für die andere deutsche Strafverfolger seinerzeit keinen Finger krumm machten und die einige womöglich sabotiert hätten, wenn sie von ihr gewusst hätten. Dass Bauer eine tragende Rolle spielte, behielt er auch deswegen für sich.

"Das ganze Drama, das sich zu Lebzeiten Fritz Bauers weithin im Verborgenen abspielte, wird dann erst Jahrzehnte später langsam aufgedeckt. Das ist verblüffend. So viele positive Identifikationsfiguren hat die deutsche Nachkriegsgeschichte nicht aufzuweisen. So viele Beispiele für Zivilcourage hat auch die Juristenschaft nicht", resümiert Ronen Steinke treffend.

Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle pflichtet ihm in seinem Vorwort zum Buch bei: An dieser Biografie ließen sich Freiräume zum couragierten Handeln von Juristen vermessen. Alles Recht sei Menschenwerk, für seine Setzung, seinen Vollzug und seine Auslegung seien immer Menschen verantwortlich.

Steinke zeichnet dennoch nicht nur das einseitige Bild eines mutigen Helden, der sich gegen den Zeitgeist stellt. Er legt auch dessen Schwächen offen. Etwa den kühlen Umgang mit jungen Staatsanwälten. Im Auschwitzprozess leisten sie loyal wertvolle Arbeit – obwohl sie sich dabei in weiten Teilen der Justiz und der Bevölkerung unbeliebt machen. Bei ihrem beruflichen Fortkommen bekommen sie von ihrem Chef dennoch keinerlei Unterstützung.

Warum Fritz Bauer so gehandelt hat, wie er gehandelt hat – darauf hat auch der Biograf bisweilen keine Antwort. Aber allein schon der faszinierende Lebensweg macht das Buch lesenswert. Hängen bleibt nach der Lektüre der Gedanke, wie beklemmend das politische Klima in der jungen Bundesrepublik war – und wie lange es gebraucht hat, bis die Nazizeit endgültig abgeschüttelt war.

Cover - "Fritz Bauer - oder Auschwitz vor Gericht" von Ronen Steinke
Cover - "Fritz Bauer - oder Auschwitz vor Gericht" von Ronen Steinke© Piper Verlag
Ronen Steinke: Fritz Bauer - oder Auschwitz vor Gericht
Piper Verlag, München 2013
352 Seiten, 22,99 Euro, auch e-book erhältlich