Naturfotograf Fred Koch

Schattentanz der Ginsterblüte

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Nahaufnahme einer Besenginsterblüte: Die Staubblätter werfen einen Schatten auf die Innenfläche eines Blütenblatts (Schwarz-weiß-Fotografie).
Filigrane Staubgefäße: Fred Kochs Aufnahme einer Besenginsterblüte, um 1929/30 © Sammlung Rainer Stamm
Von Simone Reber · 16.01.2022
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Pflanzenstängel, Blütenkelche und Kristalle: Der Fotograf Fred Koch porträtierte auf seinen Bildern faszinierende Naturformen im Stil der Neuen Sachlichkeit. Zu Lebzeiten war er kaum bekannt. In einer Berliner Ausstellung ist er jetzt zu entdecken.
Die Pusteblume sieht aus wie eine Heilige. Rings um den halb leeren Blütenboden leuchten die Schirmchen, mit denen die Samen über die Erde fliegen, wie ein Strahlenkranz. Alfred Erhardt und Albert Renger-Patzsch, Kochs berühmte Zeitgenossen der Neuen Sachlichkeit, haben ähnliche oder manchmal sogar dieselben Motive fotografiert. Vergleicht man aber die Bilder, so sind Kochs Fotos von größerer Brillanz und Dreidimensionalität.

Aufgewachsen in einer Künstlerkolonie

Dass der Fotograf dennoch in Vergessenheit geriet, liegt an seinem frühen Tod, aber auch an seinen fotografischen Anfängen. Stefanie Odenthal, Managerin der Alfred Ehrhardt Stiftung, hat die Biografie von Fred Koch akribisch rekonstruiert. Friedrich Eduard, genannt Fred, so steht es in der Geburtsurkunde, kommt 1904 in gut bürgerlichen Verhältnissen auf die Welt.
"Als er zwei Jahre alt war, ist er mit seiner Familie nach Darmstadt gezogen, und zwar auf die Mathildenhöhe, die lebensreformerisch geprägt ist", erklärt Odenthal. "Und sein Vater hat 1908 Werkstätten für Handwerkskunst gegründet."
Die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt ist zu dieser Zeit das Zentrum des deutschen Jugendstils. Mit 18 oder 19 Jahren lernt Fred Koch den Schriftsteller Ernst Fuhrmann kennen, der erst den Folkwang-Verlag leitet, dann nach dem Konkurs seinen eigenen Auriga-Verlag auf der Darmstädter Rosenhöhe gründet.

Ausbildung im Bildarchiv

Fuhrmann vertritt die Auffassung, dass auch Pflanzen Lebewesen seien, Biosophie nennt er seine Lehre. Zunächst leitet der Fotograf Albert Renger-Patzsch das Bildarchiv des Verlags. Als dieser nach Berlin geht, sucht Fuhrmann einen Nachfolger. „Einen einfachen Fotografen, den ich etwas erziehe, der kein Geld braucht und mitmacht“, so beschreibt er seine Anforderungen.
Geöffnete Erbsenschote, senkrecht ins Bild gesetzt, in der aufgeklappten Hülse sind links drei und rechts vier Früchte zu sehen (Schwarz-weiß-Fotografie vor schwarzem Hintergrund).
Sieben in einem Kahn: Kochs Porträt einer Erbsenschote© Sammlung Dr. Hans Schön
"Und da hat er auf Fred Koch zurückgegriffen", sagt Odenthal. "Er war dann der Leiter des Bildarchivs. Er hat vorher keine Fotografenausbildung gehabt. Und ich gehe davon aus, dass er Albert Renger-Patzsch beobachtet hat, vielleicht mit ihm unterwegs war und da die Grundzüge der Fotografie kennengelernt hat."

Sachliche Erotik

Fred Koch übersetzt die Biosophie in Bilder. Dazu gehört auch das Interesse für die Sexualität der Pflanzen. Ein aufgerolltes Rhabarberblatt gleicht einem Phallus. Lilien und Orchideen erinnern an die erotischen Hinweise in der neusachlichen Malerei von Christian Schad.
Von der Blüte des Besenginsters nimmt Koch verschiedene Ausschnitte auf. "Wir haben zum Beispiel in der Ausstellung eine Nahaufnahme hängen, wo er die ganze Blüte einmal aufgenommen hat. Und dann haben wir ein Detail, wo er wirklich sehr nah an das eine Blütenblatt herangeht. Und man sieht immer noch die Blütenfäden, die dann einen Schatten auf dem Blütenblatt hinterlassen, und es sieht aus, als ob es tanzen würde."
Allerdings: Als 1930 das Buch „Die Pflanze als Lebewesen“ von Ernst Fuhrmann mit 200 Abbildungen erscheint, wird Fred Koch als Fotograf gar nicht erwähnt. Das erste Bild unter eigenem Namen stammt aus dem Jahr 1931 und zeigt das Hartmanganerz, so kunstvoll ausgeleuchtet, als handle es sich um eine Skulptur. Koch ist zum Studium der Fotografie nach Weimar gegangen und hat das Objekt im Mineralogischen Institut Freiberg entdeckt.

Lichtspiel der Kristalle

"Bei den Kristallen ist es so, dass er sehr stark in seinen Schriften auf das Licht eingeht", sagt Odenthal, "welches Licht man benutzen sollte, und wie es ausgeleuchtet werden muss, um diese Brillanz der Kristalle auch wirklich in der Fotografie herausarbeiten zu können."
Nahaufnahme einer kugelförmigen Kristall-Formation, deren röhrenartige, durchsichtige Einzelkristalle strahlenförmig in alle Richtungen auseinander streben. (Schwarz-weiß-Fotografie)
Meisterhaft ins Licht gesetzt: Gipskristalle, festgehalten auf einem Silbergelatineabzug© bpk-Bildagentur / Fred Koch
Fred Koch wird zum Tüftler, der neue Möglichkeiten der Makrofotografie nutzt. Der sich aber offenbar erst spät als eigenständiger Künstler empfindet. 1934 arbeitet er noch einmal mit Ernst Fuhrmann zusammen.

Bemühen um künstlerische Anerkennung

"Es gibt von 1934 zwei Vereinbarungen zwischen Ernst Fuhrmann und Fred Koch, wo es um die Nutzung von Kochs Fotografien geht: dass Fred Koch auch als Bildautor, als Fotograf genannt werden sollte", erzählt Odenthal. "Wobei wir anhand von Belegen auch wissen, dass Ernst Fuhrmann das leider nicht durchgezogen hat."
Danach wendet sich Koch der Pressefotografie zu, zieht 1943 nach Berlin und wird für die Ordnungspolizei tätig. Als Bildberichter gerät er 1944 in Rumänien in Gefangenschaft. 1947 wird er freigelassen. Aber er stirbt im Januar 1947 auf dem Rücktransport.
Der Fotograf gerät in Vergessenheit. Die Wiederentdeckung seines faszinierenden Werks in der Alfred Ehrhardt Stiftung ist eine kunstgeschichtliche Sensation.

"Fred Koch. Naturfotografie der 1920/30er Jahre", zu sehen bis zum 24. April 2022 in der Alfred Ehrhardt Stiftung, Berlin

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