Nato

"Wir wollen keinen Krieg führen, sondern einen Krieg vermeiden"

Der deutsche Ex-NATO-General Egon Ramms
Der deutsche Ex-NATO-General Egon Ramms © dpa / picture alliance / epa Sabawoon
Egon Ramms im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 07.04.2015
Der frühere NATO-General Egon Ramms fordert eine Führungsrolle Deutschlands für die europäischen Staaten der Allianz. Vom weiteren Vorgehen Wladimir Putins hänge ab, ob Deutschland die Wehrpflicht wieder einführen müsse.
Es gehe um den Schutz und die Verteidigungsfähigkeit der anderen Nato-Staaten in Europa, sagte der frühere NATO-General Egon General Ramms im Deutschlandradio Kultur. Der russische Präsident Wladimir Putin habe mit seinem Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine einen Gesamtprozess aufgekündigt, der in der Nachkriegszeit von Dialog, friedlicher Koexistenz und Vertrauensbildung geprägt war. Seit der Annexion der Krim sei die Nato dabei, ihre Truppen besser zu mobilisieren und aktiver zu gestalten, sagte der Militär mit Blick auf die neue schnelle Eingreiftruppe der Nato.
Verantwortung für das Baltikum
"Wir wollen keinen Krieg führen, sondern einen Krieg vermeiden", sagte Ramms. Er erinnerte an den lateinischen Leitsatz: "Wenn Du den Frieden willst, bereite den Krieg." Das sei in den letzten 25 Jahren seit dem Fall der deutschen Mauer vergessen worden. Dabei sei Deutschland Wege gegangen, die es ebenso angreifbar machten wie andere europäische Staaten. "Also man muss ganz klar aussprechen, dass das, was Wladimir Putin zum Beispiel in der Krim, aber auch in der Unterstützung der Ostukraine betreibt, für uns nicht hinnehmbar ist." Als NATO-Bündnispartner stünde Deutschland mit dafür gerade, dass Länder, wie die baltischen Staaten, sich nicht durch Russland bedroht fühlen müssten.
Gesetzesänderungen für Einsatz von Reservisten nötig
Ob Deutschland die Wehrpflicht wieder einführen müsse, hänge vom weiteren Verhalten der russischen Seite ab, sagte Ramms. "Wenn wir die Streitkräfte, die wir heute haben, im Namen der Neuausrichtung einsatzfähig machen, auch für die Möglichkeit der Landes- und Bündnisverteidigung, dann kann diese Anzahl der Streitkräfte durchaus ausreichen", sagte er. Allerdings müssten für den Einsatz von Reservisten die Gesetzesgrundlagen deutlich verändert werden. "Und auch das muss man der Bevölkerung mit klaren Worten sagen", sagte Ramms. "Man muss ihr erklären, warum man das tut. Das muss keine Kriegsangst auslösen."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute beginnt es, das erste Training der superschnellen NATO-Eingreiftruppe. Gegründet als Abschreckung gegen Russland seit der Ukraine-Krise. Besonders Estland, Lettland und Litauen im Baltikum fürchten sich davor, dass Moskau auf weitere Staaten machthungrig sein könnte, die einst sowjetisch gewesen sind. Eine superschnelle Eingreiftruppe also, bei deren Aufbau die Bundeswehr eine Schlüsselrolle spielen soll, und Deutschland. Und all das kurz nach den Ostermärschen, an denen in diesem Jahr ein paar Tausend Friedensbewegte teilgenommen haben. Ist Deutschland auf einen möglichen Krieg in Europa vorbereitet? Bevor ich darüber mit einem Militär, dem General a.D. Egon Ramms spreche, fasst Holger Romann zusammen, wie die NATO derzeit den Ernstfall mit dieser neuen Truppe probt.
Wie Deutschland auf einen solchen Krisenfall vorbereitet ist, und zwar nicht nur militärisch, sondern vor allem mental, das will ich jetzt einen Militär fragen, der schon zu seiner aktiven Zeit Freund klarer Worte war, General a.D. Egon Ramms, einst operativer Befehlshaber der NATO für den ISAF-Einsatz beim Alliierten Joint-Force-Command in Brunssum in den Niederlanden. Ramms war also einer der ranghöchsten deutschen Soldaten bei der NATO. Schönen guten Morgen!
Egon Ramms: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Eine superschnelle Eingreiftruppe der NATO, und Deutschland in einer Schlüsselrolle – ist die Nachkriegszeit für uns vorbei?
Ramms: Die Nachkriegszeit ist für uns vorbei, zweifelsohne, der Kalte Krieg ist zu Ende. Wir leben in einer anderen Zeit, wir leben in einer Zeit, die über 40 Jahre lang von Dialog, friedlicher Koexistenz, Vertrauensbildung, von dem Prozess für konventionelle Streitkräfte in Europa geprägt war. Und diesen Gesamtprozess hat Wladimir Putin, der Präsident Russlands, aufgekündigt.
Wir sind auf einen Krieg nicht vorbereitet
von Billerbeck: Die Verteidigungsministerin von der Leyen, die hat diese superschnelle Eingreiftruppe, wie sie heißt, ein Zeichen der Entschlossenheit und der Geschlossenheit genannt. Das ist so ein typischer markiger Von-der-Leyen-Satz. Aber sind wir als Deutschland überhaupt auf einen Krieg vorbereitet?
Ramms: Nein. Wir sind auf einen Krieg nicht vorbereitet, in keiner Weise. Trotzdem möchte ich der Frau Verteidigungsministerin nicht ganz Unrecht geben. Seitdem die Krim annektiert worden ist, geht die NATO relativ geschlossen in eine Richtung, ihre Truppen, ich sag mal besser zu mobilisieren und aktiver zu gestalten und auf schnellere Abläufe vorzubereiten. Von daher ist die Geschlossenheit und auch das Bild nach draußen schon ein sehr wichtiger Punkt.
von Billerbeck: Aber wenn wir unser Land uns angucken, dann ist das doch kein Land, das irgendwie durchmilitarisiert ist, wenn auch jetzt bei den Ostermärschen es nur geschätzt etwa 10.000 Menschen gewesen sind, die da in Deutschland unterwegs gewesen sind. Der Ruf immerhin "Nie wieder Krieg", den unsere Eltern und Großeltern nach 1945 tief in unser Bewusstsein gesenkt haben, der ist bei den Leuten verankert. Wie kann man einem solchen Deutschland klar machen, dass es möglicherweise wieder Krieg führen muss?
Ramms: Das ist sicherlich ein sehr schwieriger Prozess, der von der Politik aufgenommen werden muss. Wir wollen ja keinen Krieg führen, sondern wir wollen, ich würde das eher formulieren, einen Krieg vermeiden, und würde da gerne mal auf die alten Lateiner zurückgreifen, aber auch auf die Französische Militärakademie. Beide hatten einen Wahlspruch, der lautete "si vis pacem para bellum": „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg" Das ist ein Punkt, den wir 25 Jahre, seit dem Fall der Mauer oder seit der deutschen Wiedervereinigung vergessen haben, und wo wir vielleicht Wege gegangen sind, die uns, nicht nur uns, sondern auch andere Staaten in Europa, durchaus angreifbar machen.
von Billerbeck: Nun haben Sie die Politik in den Blick genommen. Welche Wahrheiten müssen denn da ausgesprochen werden?
Ramms: Also, man muss aussprechen, eins ganz klar aussprechen: Dass das, was Wladimir Putin, zum Beispiel mit der Krim, aber auch in der Unterstützung der Ostukraine betreibt, für uns nicht hinnehmbar ist, und dass wir beispielsweise als Bündnispartner in der NATO, in der Allianz, mit dafür gerade stehen, dass Länder wie die Esten, die Litauer und die Letten, also die baltischen Staaten als ehemalige Sowjetrepubliken hier auch möglicherweise hier auch sehr exponiert sind und sich auch durch Russland bedroht fühlen.
Die Politik muss deutlicher werden
von Billerbeck: Das heißt, Frau Merkel müsste da deutlicher werden?
Ramms: Die Politik insgesamt, auch die Bundeskanzlerin müssten in dieser Frage deutlicher werden, wobei ich glaube, dass mit den Gipfelentscheidungen von Wales, letztes Jahr im September, die Kanzlerin dort schon in der richtigen Richtung mit entschieden hat, gar keine Frage. Und die Kanzlerin macht, glaube ich, über dieses Thema oder um dieses Thema rum auch keinen Bogen. Sie engagiert sich auf der anderen Seite sehr stark, den Dialog, der ein bisschen abgerissen ist, mit Russland aufrechtzuerhalten, wie man bei den Gesprächen in Minsk im Februar gesehen hat.
von Billerbeck: Nun war es ausgerechnet ein Pole, nämlich der einstige Polnische Botschafter in Deutschland, Janusz Reiter, der schon vor Monaten in einem Zeitungsinterview gesagt hat und da Deutschland so ein bisschen den Spiegel vorgehalten hat, als er sagte, die Frage sei heute nicht, ob Deutschland zu viel Macht habe, sondern wie es sie einsetze. Viele Deutsche würden sich aber lieber raushalten und höchstens eine Vermittlerrolle akzeptieren. Das geht aber nicht. Mehr Macht bedeutet auch mehr Verantwortung. Ist das denn schon bei allen hierzulande angekommen.
Ramms: Also Janusz Reiter, den ich sehr schätze, hat mit dieser Aussage recht. Deutschland ist die wirtschaftlich stärkste Macht in Europa. Deutschland ist das bevölkerungsreichste Land in Mittel- und Westeuropa. Das heißt, Deutschland muss hier in gewisser Art und Weise auch eine Führungsrolle übernehmen, eine Führungsrolle für die europäischen NATO-Staaten mit Blick auf den Schutz und auf die Verteidigungsfähigkeit der anderen NATO-Staaten hier in Europa. Da gibt es in meinen Augen keine Frage.
Die Polen spielen eine herausragende Rolle
von Billerbeck: In dem schon erwähnten Interview, da hatte übrigens Janusz Reiter noch an eine andere Äußerung erinnert, die ein deutscher Politiker, den er namentlich nicht genannt hat, ihm in den 90er-Jahren gesagt hat oder ihm ins Ohr geraunt hat: Wir sind für die NATO-Osterweiterung, sagte er damals, weil Sie dann auf uns von Osten her aufpassen werden. Es liegt in unserem Interesse, die Zahl der außenpolitischen Optionen auf ein Minimum zu reduzieren. Ist diese Zeit vorbei?
Ramms: Nein. Diese Aussage ist so richtig, und sie bleibt auch richtig, und es ist die Gemeinschaft, die Gemeinschaft in der NATO einschließlich der baltischen Staaten und Polen, wäre der Bereich, der beispielsweise gegen ein weiteres Vordringen der russischen Seite in dieser Art, wie Wladimir Putin das macht, zu verteidigen wäre. Und dabei spielen die Polen, ich sag das mal, eine ganz herausragende Rolle, weil sie unser östlicher Nachbar sind. Aber wir dürfen sie nicht verlassen, sondern wir müssen sie dabei entsprechend unterstützen, das ist der wichtige Punkt dabei.
von Billerbeck: Was bedeutet das aber für die deutsche Gesellschaft, die seit 70 Jahren im Frieden lebt und zum Beispiel ja auch die bei Auslandseinsätzen getöteten Soldaten noch immer weitgehend verdrängt. Müssen wir am Ende vielleicht die Wehrpflicht wieder einführen?
Ramms: Die Wehrpflicht wieder einführen, das ist ein Punkt, den ich im Augenblick noch nicht erwähnen würde. Das hängt letztendlich vom weiteren Verhalten der russischen Seite ab. Wenn wir die Streitkräfte, die wir heute haben, einsatzfähig machen, also im Rahmen der Neuausrichtung einsatzfähig machen auch für die Möglichkeit der Landes- und Bündnisverteidigung, dann kann diese Anzahl der Streitkräfte durchaus ausreichen. Wenn wir diese Streitkräfte personell alimentieren können, brauchen wir keine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Allerdings müssen wir im gesetzlichen Bereich, Stichwort Reservistenverpflichtungen, in einem solchen Fall und dergleichen Dinge mehr die Gesetzesgrundlagen deutlich verändern. Und auch das muss man der Bevölkerung mit klaren Worten sagen. Man muss ihr erklären, warum man das tut. Das muss keine Kriegsangst auslösen.
von Billerbeck: General a.D. Egon Ramms war das am heutigen offiziellen Beginn des Trainings der neuen superschnellen NATO-Eingreiftruppe. Herr General, ich danke Ihnen!
Ramms: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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