Friederike Oeschger, Babette Radtke: Die Mossdorfs
Aufgeschrieben von Michael Seufert
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2014
280 Seiten, 22 Euro
Die Mossdorfs zwischen den Weltkriegen

Die Chronik der Berliner Familie Mossdorf illustriert auf ebenso naive wie erschreckende Weise, wie immens politisch ihre unpolitische Bürgerlichkeit war. Kritisch hinterfragt wird in diesem Buch allerdings nichts.
Ein Mensch stirbt und die Angehörigen, die die Wohnung leerräumen, stoßen auf Stapel von Briefen, Bildern, Aufzeichnungen. Die allerwenigsten dieser privaten Funde werden je der Öffentlichkeit bekannt.
Die beiden Autorinnen dieses Buches jedoch haben die Dokumente, die sich von 1912 bis 2002 in der großen Familienwohnung im gutbürgerlichen Berlin-Wilmersdorf angesammelt hatten, gesichtet und mit Hilfe des Journalisten Michael Seufert schließlich zu einer Familienchronik verarbeitet.
Der Patriarch der Mossdorfs, Otto, machte noch vor dem Ersten Weltkrieg militärisch Karriere. Er war, ebenso wie seine Frau, die aus einer ostelbischen Gutsbesitzerfamilie stammte, kaisertreu bis auf die Knochen. In den 1920er-Jahren reiste er regelmäßig ins niederländische Doorn und hielt dort auf Einladung des abgedankten Kaisers außenpolitische Vorträge. Die Familie war stets wohlhabend; die wirtschaftlichen Katastrophen, Inflation und Wirtschaftskrise, überstand sie gut.
Die zitierten Briefe und Aufzeichnungen aus dieser Zeit drehen sich vor allem um Geburten, Feste, Ferienreisen, Einkäufe, Speisenfolgen. Mossdorf machte eine steile Karriere als Journalist, seine Kontakte innerhalb nationalkonservativer Kreisen waren nützlich. Mit dem Aufkommen der Nationalsozialisten änderte sich daran nichts, kritische Äußerungen zu Hitler sind nicht überliefert.
"Geh mit, sonst erschießen sie uns alle"
Im Zweiten Weltkrieg fiel der älteste Sohn, Artillerie-Offizier wie der Vater; der jüngere Sohn wurde schwer verwundet. Als die Russen Berlin eroberten, saß die Familie im Lustschutzkeller. Die 16-jährige Tochter wurde vergewaltigt, nachdem der Bruder ihr gesagt hat: "Geh mit, sonst erschießen sie uns alle." Beschützt hat sie in dieser preußischen Offiziersfamilie niemand.
Als erwachsene Frau, berichten die Autorinnen, lebte sie erst mit der Mutter, dann allein in der riesigen Familienwohnung mit ihren schweren alten Möbeln. Warum sie nie ein eigenes Leben geführt hat, wird nicht hinterfragt.
Hinterfragt wird in diesem Buch ohnehin so gut wie gar nichts. Gelegentlich finden sich Einschübe, die mit ein paar Daten und Zahlen zeitgeschichtliche Verbindungen - wie zur Pogromnacht vom 9. November 1938 - herstellen. Man darf der Diktion nach vermuten, dass hier der journalistische Mitautor am Werke war.

Buchvover: "Die Mossdorfs" von Friederike Oeschger und Babette Radtke: Die Mossdorfs© Hoffmann und Campe
Dass der Gutshof, auf dem die Mossdorf-Kinder ihre Sommerferien verbrachten, in Polen lag und dass aus der Schule jüdische Mitschüler plötzlich verschwanden wird erwähnt, aber nicht vertieft. Ausführlich die Rede dagegen ist von den Olympischen Spielen 1936, bei denen ein Sohn als Fahnenträger mitmarschieren durfte.
Mossdorf Senior war unter den Nazis zum Schriftleiter (Chefredakteur) der Deutschen Allgemeinen Zeitung aufgerückt. Man hielt in dieser Familie die preußischen Tugenden hoch, beschränkte seine Sorgen auf materielles Wohlergehen und sozialen Status und blendete den ganzen großen Rest weitgehend aus.
Dieses Buch illustriert auf ebenso naive wie erschreckende Weise, wie immens politisch diese apolitische Bürgerlichkeit tatsächlich war – vor allem in ihren Folgen.