Nationales Sinfonieorchester der RAI spielt Berio

Folksongs mit Magdalena Kožená

Die Mezzosopranistin Magdalena Kožená mit blonden, offenen, schulterlangen Haaren, von getrockneten Hortensien-Blüten umgeben.
Die Mezzosopranistin Magdalena Kožená reiste unter strengen Corona-Auflagen von Berlin nach Turin. © Julia Wesely/EBU/RAI
Moderation: Volker Michael · 11.02.2021
Magdalena Kožená ist Fachfrau, wenn es um Luciano Berio geht. Sie singt seine Folksongs, die er schuf, weil er die einfältigen Klavierbegleitungen verachtete. Danach Berios eigene Fassung der 10. Sinfonie von Schubert, die dieser nur skizzierte.
Ion Marin war der Dirigent eines Konzerts in Turin am 4. Februar, das er gemeinsam mit Magdalena Kožená bestritt. Im Toscanini-Auditorium haben die Musikerinnen und Musiker des Italienischen Rundfunk-Sinfonieorchesters ein Programm gespielt, das dem Komponisten Luciano Berio gewidmet war. Zwei seiner bekanntesten, vielleicht auch beliebtesten Werke gab es – "Rendering" für Orchester, die Re-Komposition einer Sinfonie Franz Schuberts, die es nie gegeben hat, und die "Folksongs", die am Beginn standen.
Der Dirigent Ion Marin bei dem Konzert dirigierend beim Nationalen Sinfonieorchester der RAI in Turin am 4.2.21.
Der Dirigent Ion Marin ist von Hause aus Geiger.© Più Luce/EBU/RAI
Magdalena Kožená sang die elf Volkslieder aus aller Welt, die Berio auf seine so ganz eigene Weise in seine musikalische Welt transferiert hat. Geschrieben hat sie Lucian Berio für die amerikanische Sängerin und Komponistin Cathy Berberian. Sie war auch Berios Ehefrau. Im Jahr ihrer Trennung 1964 entstanden die Folksongs, quasi als Abschiedsgeschenk, denn Berio widmete ihr diese.

Sprachen- im Liedermix

Die Herausforderung für die Solistin liegt in den "Folksongs" vor allem darin, ganz verschiedene Sprachen mit ihren lokalen Traditionen zu beherrschen. Cathy Berberian war armenischer Herkunft. Deshalb finden sich in der Sammlung ein armenisches, aber auch ein aserbaidschanisches Volkslied.
Wenn man die aktuellen Verhältnisse im südlichen Kaukasus ansieht, ist das an sich schon eine Herkulesaufgabe – in einem Werk zwei Volkslieder aus zwei Nachbarländern zu singen, die verfeindet und nur im gegenseitigen Hass vereint sind.

Von Freunden vorgesungen

Luciano Berio hat zu seinen Folksongs einen eigenen Kommentar verfasst: "Ich habe immer ein tiefes Unbehagen verspürt, wenn ich Volksweisen (also spontan aus dem Volk entstandene Lieder) mit Klavierbegleitung hörte. Daher habe ich, vor allem als Hommage an Cathy Berberians intelligente Interpretationen, … Folk Songs geschrieben, … Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Anthologie von 11 Volksliedern (oder als solche verstandenen) verschiedenen Ursprungs (aus den Vereinigten Staaten, Armenien, der Provence, Sizilien, Sardinien u. a.), die ich auf alten Schallplatten und in gedruckten Anthologien entdeckt habe oder die mir Freunde vorgesungen haben."

Über die Reinheit in der Musik

Arvo Pärt schrieb einen Cantus in memoriam Benjamin Britten für Streicher und Glocke. Das war 1976, da lebte er noch in seiner Heimat Estland.
Der ansonsten wortkarge Komponist hat dieses Werk mit dem folgenden Kommentar versehen: "In den zurückliegenden Jahren haben wir sehr viele Verluste für die Musik zu beklagen gehabt. Warum hat das Datum von Benjamin Brittens Tod – 4. Dezember 1976 – gerade eine Saite in mir berührt? Offenbar bin ich in dieser Zeit reif dafür geworden, die Größe eines solchen Verlustes zu erkennen. Unerklärbare Gefühle der Schuld, ja mehr als das, entstanden in mir. Ich hatte Britten gerade für mich entdeckt. Kurz vor seinem Tod bekam ich einen Eindruck von der seltenen Reinheit seiner Musik... Außerdem hatte ich lange schon den Wunsch gehabt, Britten persönlich kennen zu lernen. Es kam nicht mehr dazu."

Eine Sinfonie wie ein restauriertes Fresko

In seinem "Rendering" beschäftigte sich Luciano Berio nicht mit Volksliedern aus verschiedenen Kulturen, sondern mit dem Nachlass des Wiener Komponisten Franz Schubert. Dabei hat sich Berio Ende der 1980-er Jahre als RE-Komponist betätigt. Rendering ist eine veritable Sinfonie, die auf Vorarbeiten des jung gestorbenen Schubert zu seiner 10. Sinfonie beruht.
Berio beschrieb sein Werk: "In den letzten Wochen seines Lebens fertigte Franz Schubert vielerlei Skizzen zu einer Zehnten Symphonie in D-Dur an. Diese Entwürfe sind ziemlich komplex und von vollendeter Schönheit. Es sind dies weitere deutliche Hinweise für Schuberts Entwicklung, welche vom Einfluss Beethovens wegführt. Rendering mit seiner zweifachen Autorenschaft soll eine Restaurierung dieser Skizzen sein, keine Vollendung oder Rekonstruktion. Diese Restaurierung folgt den Richtlinien einer modernen Freskorestaurierung, die auf eine Auffrischung der alten Farben abzielt, ohne die durch die Jahrhunderte entstandenen Schäden kaschieren zu wollen."
Entstanden ist eine ganz eigene Verbindung der Schubertschen Mosaiksteine und den ihm eigenen, kosmisch erscheinenden Klangwelten, die sich abwechseln und immer nur zart ineinandergreifen.
Arturo-Toscanini-Auditorium der RAI, Turin
Aufzeichnung vom 4. Februar 2021
Luciano Berio
"Folk Songs" für Mezzosopran und Orchester
Arvo Pärt
Cantus in memoriam Benjamin Britten
Luciano Berio/Franz Schubert
"Rendering" für Orchester

Magdalena Kožená, Mezzosopran
Nationales Symphonie Orchester der RAI
Leitung: Ion Marin

Mehr zum Thema