Nation of Islam

Der Kampf schwarzer Bürgerrechtler gegen Drogen

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Mitglieder der 'Nation of Islam' stehen in ihren Anzügen und mit schwarzen Sonnenbrillen in Notting Hill auf der Straße mit ihrer Mitgliederzeitschrift 1991.
Mitglieder der politisch-religiösen Bewegung "Nation of Islam", hier 1991 bei einer Kundgebung in London, machten sich in den USA für Drogenkranke stark. © picture alliance/ PYMCA/ Photoshot
Von Julia Ley · 12.06.2022
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Der Bürgerrechtler Malcolm X und der Box-Champion Muhammad Ali haben die "Nation of Islam" weithin bekannt gemacht. Doch die Bewegung kämpfte auch gegen Drogenkonsum. Weißer Rassismus sollte durch sie nicht länger schwarze Menschen zerstören.
April 1988: Eine ungewöhnliche Drogenstreife sorgt in Washington D.C. für Aufsehen. Denn in den Jahren zuvor hatten sich Drogendealer in einem Sozialbau breitgemacht. Crack und Kokain wurden auf offener Straße verkauft, Menschen wurden im Vorbeifahren erschossen.

Drogenstreife und Entzugsprogramm

Bis eine Gruppe gut gekleideter, junger schwarzer Männer in dem Wohnkomplex eine Drogenstreife einrichtete. Tag und Nacht hielten sie Wache, durchsuchten Wohnungen, spürten Dealer auf und übergaben diese der Polizei. Nicht immer ging das nur friedlich zu, aber friedlich war es vorher auch nicht. Das Projekt hatte Erfolg. Binnen weniger Wochen waren die Dealer weg. Anwohner sprachen gar von einer "Erlösung".
Die Männer gehörten zum Elitekorps der sogenannten "Nation of Islam", einer religiös-politischen Bewegung von schwarzen Nationalisten. Deren erfolgreicher Kampf gegen die Drogenepidemie hatte schon 20 Jahre zuvor Schlagzeilen gemacht. Allerdings nicht mit Drogenstreifen, sondern mit einem Entzugsprogramm.
"Es war tatsächlich sehr erfolgreich", sagt Mattias Gardell, ein schwedischer Religionshistoriker, der über die Nation of Islam geforscht hat. "Die 'Nation of Islam' wurde viele, viele Male dafür ausgezeichnet, das erfolgreichste Drogenentzugsprogramm in den Vereinigten Staaten, im schwarzen Amerika, zu betreiben. Und das tun sie noch immer." Doch wer ist diese Gruppe von "schwarzen Muslimen"? Und was machte ihren Kampf gegen Drogen so effektiv?

Bekannt vor allem als politische Bewegung

Hierzulande ist die "Nation of Islam" nur wenigen ein Begriff. Eher noch kennt man zwei ihrer prominentesten Vertreter: den radikalen schwarzen Bürgerrechtler Malcolm X und den Box-Champion Muhammad Ali. Ali begann seine Boxkarriere als Cassius Clay, Malcolm X wurde als Malcolm Little geboren. Wie viele andere Afroamerikaner fanden sie in den 1950er- und 60er-Jahren, der Zeit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, zum Islam – oder besser gesagt: einer gänzlich neuen Spielart des Islam, wie Mattias Gardell betont.
Der Boxer Muhammad Ali, in einer schwarzen Lederjacke, schreibt etwas auf einen Zettel in seiner linken Hand, hinter ihm steht der Bürgerrechtler Malcolm X in einem schwarzem Anzug und mit schwarzem Hut.
Verbündete im Kampf für die Rechte schwarzer US-Amerikaner: der Boxer Muhammad Ali mit Malcolm X, 1964 in New York.© picture alliance / AP Photo
"Es gab natürlich große Unterschiede zwischen dem, was die Nation of Islam für den Islam hielt, und dem, was der muslimische Mainstream als Islam betrachtete", sagt Gardell. Denn die Gründer der "Nation of Islam" nahmen zwar gewisse Anleihen beim Islam – Gott wurde etwa als "Allah" bezeichnet, Alkohol und Schweinefleisch waren verboten – hatten ansonsten aber eine ganz eigene Theologie entwickelt, die sich speziell an Afro-Amerikaner richtete.

Angeführt von einem "sterblichen Gott"

Der Gründer der "Nation of Islam", Wallace Fard Muhammad, betrachtete sich selbst als letzten in einer Reihe von sterblichen Göttern. Jeder dieser Götter sei ein schwarzer Mann namens "Allah" gewesen. Der erste Allah habe die ersten Menschen erschaffen: den arabischsprachigen, dunkelhäutigen Stamm der Shabazz.
Dieser erste, schwarze Menschenstamm wurde aus seinem sprichwörtlichen Paradies in Mekka vertrieben, als ein verbitterter schwarzer Wissenschaftler namens Yakub aus Rache den weißen Menschen schuf: Von Natur aus bösartig, überwarfen die "weißen Teufel" den Stamm der Shabazz und rissen die Weltherrschaft an sich – so zumindest die Geschichte.
Bis heute bezeichnen viele Beobachter die "Nation of Islam" deshalb als "rassistische Organisation", die schwarze Überlegenheit predige. Ganz so einfach sei das aber nicht, sagt Mattias Gardell: "Man kann die 'Nation of Islam' nicht verstehen, ohne die schwarze Erfahrung in Amerika zu verstehen: das Leben als schwarzer Mensch in Amerika."

Selbsthass als Reaktion auf Rassismus

Elijah Muhammad, der Nachfolger von Fard Muhammad, der die "Nation of Islam" seit den 1930er-Jahren leitete, spricht von Versklavung, Ausgrenzung, Vergewaltigungen und Lynchmorden, die sich tief in das schwarze Bewusstsein eingefressen hätten. Viele Afroamerikaner hätten deshalb einen ausgeprägten Selbsthass entwickelt.
Den schwarzen Körper zu pflegen, ihn zu reinigen und zu stärken, wurde daher als Akt des Widerstands gesehen, sagt Edward Curtis, Religionswissenschaftler und Experte für die Bewegung. Denn man glaubte, "dass schwarze Körper geschwächt und vergiftet worden waren: von weißen Ideen, von weißer materieller Kultur, weißem Essen, weißer Kleidung, weißer Musik, weißem Make-up und natürlich von weißen Drogen, zu denen Alkohol und Tabak gehörten."
Auf diesem Dateifoto vom 29. Juni 1963 spricht Malcolm X bei einer Kundgebung in Harlem in New York.
Wortführer der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den 1950er- und frühen 60er-Jahren: Malcolm X im Juni 1963 in Harlem, New York© picture alliance/ AP
Welche Anziehungskraft diese Botschaft auf junge, bürgerrechtsbewegte Afroamerikaner hatte, wird besonders deutlich in der Autobiographie von Malcolm X. Er war als junger Mann in Harlem selbst drogenabhängig gewesen und hatte seine Sucht unter anderem mit Raubüberfällen und Rauschgifthandel finanziert. Anfang der 1950er-Jahre konvertierte er im Gefängnis zur "Nation of Islam", sagte sich von den Drogen los und stieg nach seiner Entlassung innerhalb von nur zwei Jahren zum zweitwichtigsten Mann innerhalb der "Nation of Islam" auf.
In seiner Autobiographie schildert Malcolm X das Entzugsprogramm der Organisation: "Der Süchtige wurde erstens dazu gebracht, sich einzugestehen, dass er abhängig war. Dann, zweitens, brachte man ihm bei, warum er Betäubungsmittel benutzte."

Gerettet von Freunden

Der Junkie wurde über Wochen von muslimischen Entzugshelfern bearbeitet. Die Botschaft: Er nehme Drogen, um sich zu betäuben und der Tatsache zu entfliehen, ein schwarzer Mann in einem weißen Amerika zu sein. Wer sich zum Entzug entschloss, dem stand die "Nation of Islam" bei. Die Brüder und Schwestern wischten dem Junkie im kalten Entzug den Schweiß weg, brachten ihm oder ihr Suppe und sprachen ihm gut zu.

Und dieser schwarze Bruder (oder die Schwester, die von einer muslimischen Schwester begleitet wird) wird nur in den seltensten Fällen rückfällig werden. Vielmehr kann der Ex-Abhängige – der nun stolz, sauber und wie ausgewechselt ist – es kaum erwarten, wieder in den Drogendschungel zurückzukehren, in dem er sich selbst gerade noch befand – diesmal allerdings, um einen alten Kumpel "herauszufischen" und zu retten!

Aus der Autobiographie von Malcolm X

Einer der wichtigsten Gründe für den Erfolg des Programms ist laut Malcolm X, dass der Abhängige von Menschen "gerettet" wurde, die keine Fremden waren. Sie sprachen die Sprache der Straße, waren manchmal nur Wochen zuvor noch selbst abhängig gewesen.

Rassismus als Wurzel von Drogenmissbrauch

Doch noch etwas unterschied das Programm der Organisation von den unzähligen staatlichen und kirchlichen Entzugs-Angeboten, die es auch noch gab, sagt Edward Curtis: "Es identifizierte Anti-Schwarzen-Rassismus richtigerweise als Wurzel des Missbrauchs von schwarzen Körpern. Und indem das Programm Anti-Schwarzen-Rassismus direkt ansprach und diese Probleme direkt anging – einschließlich der Formen von Rassismus wie geringem Selbstwertgefühl, Selbsthass –, zeigte das Programm den Beteiligten einen Weg heraus aus einem Leben, das schädlich für sie war."
Verlässliche Zahlen, wie erfolgreich dieses Programm war, gibt es nicht. Fest steht allerdings, dass die Organisation auch viele Schattenseiten hatte und bis heute hat. Von Mitgliedern wurde schon zu Malcom X' Zeiten verlangt, ihr Leben der Organisation zu widmen, so Mattias Gardell: "Ich mag das Konzept der Sekte, oder eines Kults eigentlich nicht, aber so etwas in der Richtung ist das. Man musste der Nation sein Leben widmen."
Die "Nation of Islam" war und ist hierarchisch organisiert. Wer ihre strenge Sexualmoral nicht befolgte oder gar rückfällig wurde, der wurde gedemütigt, isoliert oder ausgeschlossen.

Spaltung der Bewegung und Antisemitismus

Allerdings erlebte die "Nation of Islam" in den 1970er-Jahren eine Spaltung. Ein Großteil näherte sich damals dem orthodoxen Islam sunnitischer Prägung an. Ein anderer Teil, rund um den damaligen Sprecher der Bewegung Louis Farrakhan gründete die "Nation of Islam" neu.
Louis Farrakhan spricht 2015 in Washington.
Radikaler Neubegründer der "Nation of Islam": Louis Farrakhan spricht 2015 in Washington.© picture alliance/ AP Photo/ Evan Vucci
Farrakhan, der die "Nation of Islam" nun seit fast fünf Jahrzehnten leitet, fällt immer wieder mit antisemitischen, homophoben und kruden verschwörungstheoretischen Äußerungen auf. Juden und Jüdinnen gibt er beispielsweise nicht nur eine Mitschuld am Holocaust, sondern macht sie auch für 9/11 verantwortlich. Das Southern Poverty Law Center, eine renommierte Bürgerrechtsorganisation, führt die "Nation of Islam" deshalb als "extremistische Gruppe".
Es sind Positionen wie diese, die die "Nation of Islam" heute für die allermeisten Afroamerikaner untragbar machen. Inzwischen zählt die radikale Bewegung Schätzungen zufolge nur noch etwa 10.000 bis 50.000 Mitglieder. Und dennoch reiche die politische Bedeutung der "Nation of Islam" weit darüber hinaus, findet der Religionswissenschaftler Edward Curtis. Das lasse sich nicht verstehen, wenn man die Gruppe auf ihren Extremismus reduziere. Auch wenn es den ohne Frage gebe.
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