100. Geburtstag Malcolm X
1963 war Malcolm X der charismatische Anführer der Nation of Islam. Hier ist er bei einer Pressekonferenz in New York zu sehen. © picture alliance / AP Photo / Marty Lederhandler
Radikale Ikone der Black-Power-Bewegung

Malcolm X wurde als schwarzer Menschenrechtsaktivist in den 60er-Jahren in den USA auch weltweit bekannt. Anfangs trat er für Separatismus und Widerstand gegen Weiße ein. Aber das änderte sich. Seine Ideen wirken bis heute nach.
Mit seinen radikalen Ansichten galt Malcolm X als militanter Gegenspieler des auf Gewaltlosigkeit setzenden Martin Luther King. Erst etwa ein Jahr vor seinem Tod, nach einer Pilgerreise nach Mekka, schlug er versöhnlichere Töne an.
Am 21. Februar 1965 wurde Malcolm X in New York von ehemaligen Mitstreitern, Mitgliedern der Nation of Islam, erschossen. Bis heute ist nicht einwandfrei geklärt, wer womöglich den Mord in Auftrag gegeben hat und wie viel das FBI von den Mordplänen wusste.
Als Symbol der Black-Power-Bewegung wurde Malcolm X posthum durch Erwähnungen und Zitate in Musik, Film und anderen Medien zu einer Art Polit-Popstar. Am 19. Mai wäre er 100 Jahre alt geworden. Wie er und seine Ideen bis heute nachhallen.
Inhalt
Welche Erlebnisse haben den jungen Malcolm X geprägt?
Malcolms Eltern Earl und Louise Little waren Mitglieder der Universal Negro Improvement Association, einer der größten Organisationen von Afroamerikanern in den USA. Sie glaubten an die Ideen des Pan-Afrikanismus und des schwarzen Nationalismus. 1921 zogen sie mit Malcolms drei älteren Geschwistern nach Omaha, Nebraska, und gründeten dort eine Ortsgruppe ihrer Organisation. Der rassistische Ku-Klux-Clan bedrohte die junge Familie aber wegen ihrer politischen Aktivitäten.
Ein Jahr nach Malcolms Geburt siedelten die Littles wegen der anhaltenden Drohungen nach Michigan um, dort wurde ihr Haus vom Ku-Klux-Klan jedoch niedergebrannt. Als Malcolm sechs Jahre alt ist, wird sein Vater Earl tot neben den Bahngleisen gefunden, vermutlich ermordet. Nach dem Tod des Vaters lebt die Mutter mit sieben Kindern in bitterer Armut und wird später in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Malcolm und seine Geschwister werden auf Pflegefamilien verteilt.
Neben nackter Gewalt erlebte der junge Malcolm auch alltäglichen Rassismus: Als er in der High School zu seiner zukünftigen Berufswahl gefragt wurde, sagte Malcolm, er wolle Anwalt werden. Sein weißer Lehrer tat dies als „unrealistischen Wunsch für einen Schwarzen“ ab.
Wie wurde Malcolm Little zu Malcolm X?
In seiner Jugend, die er zunächst in Boston und später im New Yorker Stadtteil Harlem verbrachte, hielt sich Malcolm mit Gelegenheitsjobs und Diebstählen über Wasser. Er arbeitete unter anderem als Zuhälter und handelte mit Drogen. Mit 21 musste er eine mehrjährige Haftstrafe wegen Einbruchs mit Diebstahl verbüßen. Im Gefängnis wurde der High School-Abbrecher zum Autodidakten und las alle Bücher, die er in die Finger bekam, vorzugsweise über Philosophie.
Hinter Gittern erfuhr Malcolm auch von einer Vereinigung von Afroamerikanern, die der seiner Eltern nicht unähnlich war: die Nation auf Islam, auch bekannt als Black Muslims. Noch im Gefängnis legte Malcolm seinen Nachnamen Little ab und ersetzte ihn durch ein X, wie es der Führer der Nation of Islam, Elijah Muhammad, seinen Anhängern empfahl. Den Namen Little sah Malcolm als das Erbe der weißen Sklavenhalter. Das X symbolisierte für ihn die Leerstelle seines wahren afrikanischen Familiennamens.
Welche Haltung vertrat Malcom X?
Nach seiner Haftentlassung stieg der wortgewandte und charismatische Malcolm X schnell zum Wortführer der Nation of Islam auf. Die Gruppe schwarzer Nationalisten bewegte sich außerhalb der islamischen Theologie, prangerte den Rassismus der US-Gesellschaft an und propagierte eine schwarze Nation.
„Die Demokratie in Amerika ist Heuchelei. Wenn Demokratie Freiheit heißt, warum sind unsere Leute dann nicht frei, wenn Demokratie Recht heißt, warum gilt dann das Recht nicht für uns Schwarze? Wenn Demokratie Gleichheit heißt, warum haben wir dann keine Gleichheit?“
Obwohl er sich für dieselbe Sache einsetzte wie Martin Luther King, die Gleichberechtigung der Schwarzen, wurde Malcolm X zur lebenden Antithese des pazifistischen Bürgerrechtsführers und Baptistenpredigers. Kings Konzept vom gewaltlosen Widerstand war Malcolm X zu sanft, zu anbiedernd und harmlos. X war aggressiver, radikaler, propagierte die Selbstverteidigung der Schwarzen – zur Not auch bewaffnet:
„Unser Ziel ist es, jeden zu bekämpfen, der sich der Unabhängigkeit von Menschen afrikanischer Herkunft in den Weg stellt, vor allem in den USA. Wir wollen unseren Leuten die Freiheit bringen, und zwar mit allen notwendigen Mitteln.“
Im Gegensatz zu Martin Luther King sah sich Malcolm X nicht als Bürgerrechtler, sondern vielmehr als Kämpfer für elementare Menschenrechte, die durch den Rassismus von Weißen eingeschränkt werden. Er kämpfte gegen Kolonialismus und Polizeigewalt und forderte Gerechtigkeit für die afroamerikanische Minderheit.
Was veränderte seine Haltung später?
Trotz seines harten Images hinterfragte sich Malcolm X immer wieder selbst, war bereit, Fehler einzusehen. Nach seiner Pilgerreise nach Mekka im Jahr 1964 änderte er seine Weltanschauung noch einmal grundlegend. Er hatte auf seiner Pilgerfahrt tiefgläubige weiße und hellhäutige Muslime kennengelernt und verstanden, dass der Islam im Gegensatz zur pseudo-islamischen Nation of Islam keine rassistische Doktrin kennt. Er schwor dem Ideal der Rassentrennung und dem Hass gegen Weiße ab.
Dazu kamen die inneren Machtkämpfe, die Korruption und die Skandale rund um den Nation of Islam-Führer Elijah Muhammad, den er vorher zutiefst verehrt hatte. Malcolm X brach mit der Nation of Islam, schloss sich dem sunnitischen Islam an und gründete die Organisation of Afro-American Unity (OAAU), mit der er dem Freiheitskampf der Schwarzen eine internationale Ausrichtung geben wollte. Die Nation of Islam fühlte sich von ihm verraten, ihre Anführer drohten ihm öffentlich mit dem Tod.
Als äußeres Zeichen für seine neue Ausrichtung änderte er seinen Familiennamen erneut, diesmal in Shabbaz. Der ehemals radikale Aktivist betrachtete am Ende seines Lebens Weiße nicht mehr als Feinde und konnte sich eine friedliche Koexistenz von Schwarz und Weiß in den USA vorstellen. Dazu wollte er aktiv beitragen, unter anderem auch im Austausch mit Martin Luther King und der Bürgerrechtsbewegung.
Doch dazu kam es nicht: Am 21. Februar 1965 wurde Malcolm Shabbaz im Rahmen einer Veranstaltung seiner neuen Organisation von Mitgliedern der Nation of Islam ermordet. Nur eine Woche davor waren er und seine Familie nur knapp einem Brandanschlag entkommen.
Die Hintergründe seiner Ermordung sind bis heute nicht restlos aufgeklärt worden. 2024 reichten seine Töchter Klage gegen FBI und Polizei ein.
Was bleibt von Malcolm X?
Nach der Ermordung von Malcolm X verlor die OAAU bald an Bedeutung. Doch seine Ideen und Protestformen fanden ihren Widerhall in der 1966 gegründeten Black Panther Party, die einen schwarzen Nationalismus propagierte. Für die gesamte Black Power-Bewegung der 60er- und 70er-Jahre spielte Malcolm X als Identifikationsfigur eine große Rolle. Auch die aktuelle Black Lives Matter-Bewegung verdankt Malcolm X viel, vom Prinzip der Gegenwehr bis hin zu Zitaten und Schlachtrufen wie „No justice, no peace!“.
Auch in der Popkultur, vor allem im HipHop, haben sich über die vergangenen Jahrzehnte immer wieder Künstlerinnen und Künstler auf Malcolm X berufen. Einer der prominentesten unter ihnen ist der Rapper Ice Cube, der mit seiner Polit-Aktion „Contract With Black America“ den Ideen und Methoden von Malcolm X einen aktuellen Anstrich gab. In einem Interview sagte Ice Cube, dass die Reden von Malcolm X in seiner Jugend in seinem Kopf „ein Licht angeschaltet“ hätten.
Die von Malcolm X gemeinsam mit dem Autor Alex Haley verfasste und 1965 posthum veröffentlichte Biografie verkaufte sich allein bis 1977 über sechs Millionen Mal. Auch durch die weltweit erfolgreiche Filmbiografie von Star-Regisseur Spike Lee aus dem Jahr 1992 mit Oscar-Preisträger Denzel Washington in der Rolle des Malcolm X wurde das Gedächtnis an den charismatischen Aktivisten wachgehalten. Die Netflix-Doku „Who Killed Malcolm X“ aus dem Jahr 2020 stellte die Frage nach den Drahtziehern des Mordes.
Malcolm X ist ein Mensch, der mit seiner Radikalität und Komplexität bis heute nachwirkt und polarisiert. Und die mysteriösen Umstände seines Todes werfen noch immer viele Fragen auf.
pj