Nataša Kramberger: „Verfluchte Misteln“

Kampf einer Jungbäuerin

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Der Buchumschlag von Nataša Krambergers Roman zeigt in grüner Schrift auf blauem Grund den Titel: "Verfluchte Misteln".
Plötzlich Bäuerin: Nataša Kramberger schlägt erzählerische Funken aus der mühevollen Eingewöhnung einer jungen Frau ins Leben auf dem Land. © Deutschlandradio / Verbrecher Verlag
Von Jörg Plath · 28.10.2021
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In Berlin wollte sie Bäume retten, in Slowenien wachsen ihr die Disteln über den Kopf. In ihrem autofiktionalen Roman erzählt Nataša Kramberger kunstvoll und unterhaltsam, wie eine junge Städterin den Bauernhof ihrer Mutter übernimmt.
Wiederholungen strukturieren diesen temporeichen Roman aufs Schönste und verleihen ihm Halt und Rhythmus. Wiederholt werden Sätze wie: "Du wirst es bereuen, merk dir das." Oder: "Das erste (zweite, dritte), das ich wirklich ins Herz schloss, als meine Mutter Hals über Kopf verkündete, dass sie einen Bauernhof hat …" Oder: "Man müsste anständig erzählen können, dass ..."

Schriftstellerin zieht ins Lehmhaus

Aber wenn Nataša Kramberger anständig erzählt hätte, wäre "Verfluchte Misteln" entschieden langweiliger. Ihre Erzählerin ist eine mit der Autorin zu verwechselnde slowenische Schriftstellerin in den Dreißigern, die in Berlin lebt.
Am Rosa-Luxemburg-Platz kämpft sie um Bäume in einer Baulücke gegenüber ihrer Wohnung, die dem Neubau des Suhrkamp-Verlagshauses weichen sollen. Und in Slowenien übernimmt sie den Bauernhof der Mutter, der aus einem verfallenen Lehmhaus und verwilderten Feldern besteht. "Du wirst es bereuen", prophezeit die Oma.

Körpereinsatz gegen Tiere und Gestrüpp

Der Kampf gegen die Berliner Investoren geht am Ende verloren, der um die bäuerliche Existenz dauert an. "Lass die Natur ihr Ding machen", sagt eine Berliner Freundin und weiß nicht, welche Verhaue aus Gras, Brombeeren, Brennnesseln, Robinien und anderem Gestrüpp die Felder überwuchern, wie kriegerisch Hornissen vorgehen, mit welcher Gemütsruhe Rehböcke sich an zarten Pflanzlingen laben.
Die namenlose Erzählerin nimmt den Kampf an. Sie ficht ihn mit dem eigenen Körper aus, der immer wieder schmerzt oder gar fühllos wird. Dazu kommen Auseinandersetzungen mit der Bürokratie, die beharrlich die Qualifikation der zwar familiär vorbelasteten, ansonsten aber Ahnungslosen erfassen will und staunt, dass das Unternehmen über keinen einzigen Motor verfügt. Sogar eine brauchbare Mistgabel für den festen Ökodung fehlt.

Pech und Pannen mit der Ökolandwirtschaft

Dann fahren Nachbarn im Schritttempo am Gerstenfeld voller Disteln vorbei und sagen der an der Trockenheit verzweifelnden Jungbäuerin freundlich eine gut gefüllte Schubkarre als Ernte voraus. Die in fantasievollen Schlangenlinien gepflanzten Pflaumenbäume säbelt ein hilfreicher Freund mit dem gewaltigen Grasmäher ab, der sich in keine Kurve zwingen lässt. Und der Frost vernichtet auf einen Schlag 397 von 400 mühsam gepflanzten Reben.
Immerhin lassen sich die Obstbäume größtenteils durchs Besprühen mit Baldrianwasser retten. Starker Wind verschafft jedoch auch der Landwirtin eine ordentliche Dosis, weshalb die Polizei Drogenmissbrauch vermutet.

Witzige gemeinsame Erinnerungen

Kramberger hätte die Übernahme des Bauernhofs durch eine ökologisch gesonnene Städterin chronologisch und pittoresk, also "anständig" schildern können. Stattdessen erzählt sie diskontinuierlich, stets zwei Zeiten miteinander verbindend, unsentimental und mit harten Schnitten, in einem der nach Monaten benannten Kapitel auch esoterisch-mythologisch, Hexe und Geistererscheinung inklusive.
Vorbild ist das Schnapsen genannte Kartenspiel der Familie, bei dem es aufs Erzählen von "witzigen gemeinsamen Erinnerungen" ankommt. Was die anderen Spieler täuschen soll, entwirft auch eine mögliche Zukunft, die durch stete Wiederholung erst glaubhaft und schließlich Gegenwart wird. Die Jungökobäuerin hat gegen alle Vorbehalte im Dorf und bei Oma mit diesem Wiederholen im Rhythmus der Jahreszeiten begonnen, und die Schriftstellerin Nataša Kramberger beglaubigt es auf unterhaltsame Weise.

Nataša Kramberger: "Verfluchte Misteln"
Aus dem Slowenischen von Liza Linde
Verbrecher Verlag, Berlin 2021
265 Seiten, 22 Euro

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