Das erste "Bad White Girl" der Popkultur
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Mit Hits wie „These Boots Are Made for Walking“ oder dem Duett "Something Stupid" mit ihrem Vater Frank wurde Nancy Sinatra in den Sechzigerjahren berühmt. Zugleich wurde ihr Look zum Symbol einer neuen Frauengeneration. Jetzt wird die Sängerin 80.
Der Padrone musste nicht erst erklären, was eine sizilianische Krawatte ist. Er hatte nur eine kleine Bitte an den Songwriter Lee Hazlewood: Dass dieser der nicht existenten Karriere seiner Tochter Nancy auf die Sprünge half.
Der Padrone, auch kurz Il Boss genannt, hieß Francis Albert Sinatra, und da Lee Hazlewood keine unliebsame Bekanntschaft mit süditalienischen Traditionen machen wollte, verzichtete er lieber auf Widerspruch. So ist das eben mit Angeboten, die man unmöglich ablehnen kann.
Hinter verschlossenen Studiotüren soll Hazlewood Nancy Sinatra erst einmal aufgefordert haben, so zu singen wie eine Vierzehnjährige, die es mit einer Horde Trucker treiben will. Doch tatsächlich ist die so wohlerzogen wirkende Blonde durchaus selbst treibende Kraft gewesen, schildert Lee Hazlewood:
"Die Sache mit ‚Boots’ war so. Ich hatte den Song ein Jahr zuvor geschrieben, aber mir bei den Frauen schweren Ärger eingehandelt, weil bei uns in Texas jeder genau weiß, dass ‚messin’ Rumvögeln bedeutet. Also sagte ich zu ihr, ‚Vergiss es, dafür würden sie uns kreuzigen.’ Worauf sie erwiderte: ‚In New Jersey weiß das aber kein Mensch!’"
Ein Tritt in den Allerwertesten aller Mistkerle
Womöglich will Nancy Sinatra, bewusst oder unbewusst, ihrem Vater hintenrum eins auswischen: Ihre Mutter hat er schließlich nach Strich und Faden betrogen und sich schließlich von ihr scheiden lassen.
Wie dem auch sei: "These Boots Are Made for Walking" verkauft eben mal fünf Millionen Einheiten; der Song wird zum Emanzipationsstatement aller Frauen, die ihren Mistkerlen schon immer mal den Tritt ihres Lebens verpassen wollten.
Den dazugehörigen Look liefert Nancy gleich mit: die Miniröcke, das hochtoupierte Haar, das dick aufgetragene Mascara und natürlich die sexy Gogo-Boots – ein protofeministischer Chic, der auch im alten Europa um sich greift. So taucht der Look zum Beispiel in der ZDF-Krimiserie "Der Kommissar" auf.
Feminin, erotisch, erwachsen
Und Nancy und Lee legen nach, unter anderem mit dem genialischen "Some Velvet Morning", womöglich der größte Schweinkram, der dem prüden amerikanischen Mainstream je untergejubelt wurde: mit griechischer Mythologie aufgefächerte Zweideutigkeiten, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassen.
Und Nancy Sinatra ist es, die dieser Musik erst ihre wahre Identität verleiht: feminin, risqué, erotisch, erwachsen – die stylischste Art, den Daddys dieser Welt den Finger zu zeigen.
Stilprägend für viele Frauen der Popgeschichte
Nur wenige haben das Zeichensystem der Weiblichkeit so geprägt wie diese vermeintlich Naive: Madonna hat sich ebenso auf sie berufen wie Sonic Youths Kim Gordon, und Cut-up-Pop-Star Lana del Rey nennt sich nicht umsonst eine "Gangsta Nancy Sinatra". An das Original, das erste bad white girl der Popkulturgeschichte, kam keine von ihnen heran.
Während die echte Nancy Sinatra, die so unnachahmlich Unschuld und Subversion verbunden hatte, gelegentlich mit einem leisen Lächeln an den Padrone dachte, den Boss: Francis Albert Sinatra, ihren Vater. Denn letztlich hatte der die Sache eingefädelt. Und ihr dann auch noch alles durchgehen lassen.