Naika Foroutan im Gespräch

Die postmigrantische Gesellschaft im Blick

Prof. Naika Foroutan spricht bei einer Veranstaltung in der Humboldt-Universität Berlin
Im Gespräch: Die Migrationsforscherin Prof. Naika Foroutan © imago stock&people
Moderation: René Aguigah · 01.07.2018
"Wo kommst Du her?" Viele Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund empfinden diese Frage als ausgrenzend, da sie mangelnde Zugehörigkeit markiert. Mit solchen Erfahrungen befasst sich die Migrationsforscherin Naika Foroutan.
"Wo kommst du eigentlich her?" Diese Frage kennt jeder, der anders aussieht als so, wie die meisten Deutschen sich das Aussehen von Deutschen vorstellen. Und nicht wenige Adressatinnen und Adressaten dieser Frage reagieren empfindlich darauf. Ist sie also rassistisch? Nicht unbedingt, sagt die Berliner Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan im Gespräch. Aber die Frage kann ausgrenzen, sie ist oft alles andere als das Zeichen zugewandter Neugier. "Tief in mir drin bin ich deutsch, aber ich kann es nicht herausschreien", so gibt sie einen von vielen Fällen wieder, der ihr in ihrer Forschung begegnet ist. Gesagt hat den Satz ein deutscher Staatsbürger mit arabischem Aussehen.

"Migrationshintergrund" und Staatsbürgerschaft

In den USA antworten viele Menschen auf Fragen nach der Herkunft mit ihrer ethnischen Identität. Allerdings ist dort grundsätzlich geklärt, dass sich gegenseitig US-Amerikaner befragen, so Foroutan. In Deutschland hingegen beinhaltet die Frage nicht selten die Annahme, dass diejenige, die gefragt wird, eben nicht dazugehöre.
Von dort aus bewegt sich das Gespräch mit Naika Foroutan, Direktorin des Berliner Instituts für Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität, zu verschiedensten Aspekte aus den Themenkomplexen Migration und Integration: datenbasiert, aktuell, nachdenklich, differenzierend. Beispielsweise weist Foroutan darauf hin, dass 33 Prozent der Schüler in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Mehr als 80 Prozent davon besitzen allerdings die deutsche Staatsangehörigkeit, sodass es im Grunde genommen kaum mehr nichtdeutsche Schülerinnen und Schüler gibt. Im Sprachgebrauch aber ist auch bei Leuten, die sich um Integration bemühen, oft noch immer von "Ausländerkindern" die Rede, so Foroutan.

Integration als Teilhabe

Anderes Beispiel: In Foroutans gegenwärtigen Forschungen werden Analogien zwischen Ausgrenzungserfahrungen von Ostdeutschen und jenen von Migranten untersucht. Mit interessanten Beobachtungen: Nicht wenige Stereotype ähneln einander, etwa die Vorstellungen, beide Gruppen seien wirtschaftlich unproduktiv, politisch demokratiefern und neigten insgesamt zu Selbstmitleid ("Jammerossi", "Opferrolle").
Es kommen Überlegungen zu "Integration als Teilhabe" zur Sprache, zum Verhältnis von wissenschaftlicher Integrationsforschung und politischem Handeln ("wir stellen einfach tools zur Verfügung") oder auch zur Identitätspolitik: Naika Foroutan weist jene Kritik zurück, der zufolge identitätspolitische Perspektiven soziale Fragen vernachlässigten. Die drei Kategorien "race, class, gender" (etwa: ethnische Identität, soziale Schicht, Geschlechterzugehörigkeit) seien eng miteinander verwoben: Armut betreffe beispielsweise alleinerziehende Mütter überproportional oft.

"Ein neues Deutsches 'Ihr'"

Nach all dem schließlich die persönliche Frage: "Wo kommen Sie eigentlich her?" "Ich komme aus Iran. Und bin in Deutschland geboren", so beginnt Naika Foroutans Antwort. Es folgt eine eindrucksvolle Reflexion auf die eigene Position, in der beide Horizonte, Deutschland und Iran, wichtig sind.
Und einige Tage nach dem Studiogespräch folgt schriftlich ein kurzer Nachtrag. Vor einigen Jahren noch hätte sie entschieden und selbstbewusst geantwortet: "Ich bin Deutsche, was denn sonst? Ich habe das Gefühl, dass ich diesen Kampf um Normalität und Selbstverständlichkeit verloren habe. ... Das neue Deutsche Wir – es ist irgendwie Vergangenheit. Es gibt jetzt ein neues Deutsches Ihr! Und ich nehme den Kampf an."
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