Nahost-Experte Michael Lüders

"Im Syrien-Krieg ändern sich Allianzen nahezu im Wochenrhythmus"

Ein Mann und ein Junge fahren auf einem Motorroller durch eine Straße in Manbidsch, der Junge winkt in die Kamera.
Nach den militärischen Erfolg der kurdischen Kämpfer in Manbidsch atmen viele Bewohner auf und hoffen, dass die IS-Herrschaft zumindest in dieser syrischen Stadt beendet ist. © DELIL SOULEIMAN / AFP
Michael Lüders im Gespräch mit André Hatting  · 16.08.2016
Im Syrien-Krieg scheint eine Waffenpause chancenlos. Der Nahost-Experte Michael Lüders spricht davon, dass es immer verwirrender wird, welche Allianzen sich bilden. Sie wechselten inzwischen beinahe jede Woche.
"Die Feinde von heute können die Verbündeten von morgen sein und umgekehrt", sagte der Nahost-Experte Michael Lüders im Deutschlandradio Kultur. Es sei auffallend, dass die Allianzen sich geradezu im Wochenrhythmus veränderten.
Das betreffe gegenwärtig vor allem die Türkei. "Man hat sich in Ankara mit Russland angelegt, symbolisch festgehalten im Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges Ende des vorigen Jahres." Die darauf folgende Eiszeit habe sich die Türkei allerdings nicht leisten können, vor allem weil die russischen Urlauber in großer Zahl fortblieben und des einbrechenden Tourismus. Deshalb gebe es die Wiederannäherung an Moskau für Ankara.

Erdogan ist eher "bauchgesteuert"

"Aber Moskau sitzt am längeren Hebel", sagte Lüders. Der russische Präsident Wladimir Putin könne anders als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan langfristig und strategisch denken, während Ergogan eher "baugesteuert" sei.
Erdogan habe aus seiner Position der Schwäche heraus das Dilemma, dass er mit Russland verhandeln müsse. "Das passt ihm überhaupt nicht, dass Russen wie auch Amerikaner unterschiedliche Fraktionen der Kurden bewaffnen und unterstützen", sagte Lüders über den türkischen Staatschef. Die Kurden seien aus Sicht der türkischen Regierung der viel gefährlichere Feind als der "Islamische Staat".

Doppelstrategie in der Kurdenpolitik

Die Gefahr eines eigenständigen Kurdenstaates für die Türkei, hält Lüders aber für wenig realistisch. Er erwarte nicht, dass sich die Kurden im Norden Syriens mit den Kurden im Nordirak verbünden könnten. "Die Kurden sind ja keine einheitliche Größe, sondern zerfallen ihrerseits in verschiedene Stammes- und Clanverbände mit unterschiedlichen Führern", sagte er.
Es sei interessant, dass Ankara zwar die Kurden im Südosten der Türkei mit Härte bekämpfe, aber zu den Kurden im Nordirak enge Handelsbeziehungen und politische Beziehungen pflege. "Die Türkei ist der größte Investor im Norden des Irak", sagte Lüders. "Man will es sich auf beiden Seiten der Grenze nicht miteinander verderben." Aber es gebe in Syrien eine ganz eigene, nicht kontrollierbare Dynamik. Dort kontrollierten die Kurden zunehmend die syrisch-türkische Grenze.
Der Nahost-Experte Michael Lüders
Der Nahost-Experte Michael Lüders© imago stock & people
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