Nacktmode

Ein Hauch von Nichts

05:56 Minuten
Megan Fox bei den MTV Video Music Awards in New York im "naked dress", 2021.
Megan Fox im Naked Dress - nur "ein bisschen 'was drüber", aber eigentlich... © picture alliance / newscom / John Angelillo
Von Matthias Finger · 05.03.2022
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Viele Stars sind zuletzt quasi nackt auf einer Gala aufgetreten. Bekleidet nur mit Glitzerkettchen, Tüll, Spitze und einem fleischfarbenen Slip. Eine Reaktion auf eine sich zaghaft andeutende neue Freiheit nach der Coronapandemie?
Netzkleider, kunstvoll geknotete Oberteile und durchsichtige Blusen werden in diesem Sommer auf nackter Haut getragen. Kein Leibchen schützt mehr vor gierigen Blicken. Brüste werden allenfalls teilweise mit Stoffstreifen bedeckt: Nach dem BH wird nun auch der Schlüppi an die Öffentlichkeit gezerrt.

Großes Nachholbedürfnis

Der Naked Trend passt zur Gefühlswelt junger Konsumenten - nach zwei Jahren Pandemie.
„Die haben das Bedürfnis, das nachzuholen, und auch durch das Social Distancing und das Abstandhalten und das Masketragen und so weiter das auch zu überkompensieren", erklärt Carl Tillesson. Er erkennt hier "eine umso stärker ausgelebte Körperlichkeit und das Bedürfnis, seinen Körper jetzt zu genießen.“
Carl Tillesson ist Chefanalyst des Deutschen Modeinstituts. Lange haben wir in bequemen Schlabberklamotten im Homeoffice vor uns hinvegetiert. Passend zum lange dominanten Oversize-Trend „Old Celine“.
Das Dekolleté war unmodern, lieber wurden unverfängliche Körperteile wie Fußknöchel freigelegt. „Sehr viel Weite, Baggy-Kleidung, die kaum den Körper erkennen ließ. Und umso auffälliger ist es jetzt eben“, erklärt Tillesson.

Billie Eilish verdeutlicht den Trend

Die Entwicklung lässt sich am Beispiel der Sängerin Billie Eilish verdeutlichen: Vor der Pandemie verhüllte sie ihren Körper stets gewissenhaft.
„Deshalb trage ich weite, schlabbrige Kleidung. Niemand kann eine Meinung haben, weil sie nicht gesehen haben, was darunter ist. Niemand kann sagen ‘Die ist gut gebaut’, ‘Die ist nicht gut gebaut‘, ‚Sie hat einen flachen Hintern‘, ‚Sie hat einen fetten Hintern‘“, sagte Eilish in einem frühen Interview.
Mitte 2021 schmückte sie dann doch in erotischen Dessous das Cover der britischen „Vogue“. Auch sie möchte ihren Leib nach der erzwungenen Isolation zeigen. Intimität wird dafür nach außen gedreht: „Extimicy“ nennt Tillesson diesen Trend.
Allerdings steht der eigene Körper schon länger im Fokus, und soll durch freizügige Klamotten in Szene gesetzt werden.

„Man arbeitet mit dem Körper“

„Wir haben ein zunehmendes Schönheitsideal, das den Körper hervorhebt und zeigt: Man arbeitet mit dem Körper“, erklärt Melanie Haller von der Uni Paderborn. „Sie kennen die ganzen Bewegungsarten – wie Yoga und andere Formen – wo es wirklich darum geht, den Körper zu definieren und zu zeigen: Ich stehe zu meinem Körper.“
Fitnessstudios waren früher etwas für hohle Fritten. Heute werden optimierte Körper zur Schau gestellt – in durchsichtige Blusen mit Strass-Details von Asos oder in Kleidern von Valentino, die an beige Häkeldecken erinnern. Dafür opfern wir auch die Intimität, die das Bürgertum einst erfand, um sich vom freizügig-dekadenten Adel abzugrenzen.

Der frivole Adel

Dass man seinen Körper sittsam bedecken muss und dass der Körper etwas ist, das nicht in irgendeiner Weise sichtbar werden muss, hat natürlich etwas damit zu tun, dass das etwas ist, was das Bürgertum sehr kritisch am Adel gesehen hat. Dass es da zum Beispiel im Rokoko zum Teil Bewegungen gab, bei denen das Dekolleté so tief war, dass man die Brustwarzen erkennen konnte.

Melanie Haller

Um 1800 findet das Bürgertum dann doch Gefallen an dem als Nacktmode verrufenen Empirestil: Durchscheinende Kleider aus hauchdünnen Stoffen machen natürliche Proportionen befreiter Körper sichtbar – und sorgen für Erkältungskrankheiten.

Wie eine zweite Nacktheit

Im letzten Jahrhundert dann werden Kleider immer kürzer und legen schließlich das Bein frei. Klamotten dürfen von nun an auch sexy sein.
„Figurbetonte transparente Kleidung ist natürlich - seit es das Kino gibt - durchaus auch präsent. Auch Marylin Monroe war für ihre transparente Mode bekannt, die mehr zeigt, als sie verdeckt“, sagt Alexandra Karentzos von der TU Darmstadt.
Enganliegende hautfarbene Fummel, wie sie gerade wieder angesagt sind, fungierten als enthaarte makellose Haut, die sich – ohne zu viel preiszugeben – wie eine zweite Nacktheit über den Körper lege.

Sexy Kleidung in den Zeiten von #MeToo

Suzy Menkes, eine Ikone des Modejournalismus, hingegen kritisiert den Trend zur Nacktmode auf Instagram: „Kleidung, die bewusst ‚sexy‘ ist, scheint in der #MeToo-Ära heikel. Mode sollte sich im Takt des gegenwärtigen Moments bewegen und nicht zu einem Konzept oder einer Auffassung von Sexualität, die in früheren Zeiten eingeführt wurde, passen.“
Andererseits geht die Emanzipation der Frau seit jeher mit einer Reduktion der Kleidung einher – beispielsweise für mehr Bewegungsfreiheit. So erzählte die schwedische Sängerin Loreen der skandinavischen Vogue über ihren Gala-Auftritt in einem Hauch von Nichts, sie habe sich schön und frei gefühlt.
Sicher ist: Je winziger der Naked Dress ist, desto mehr Mut braucht es, ihn zu tragen.

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