Zum Tod von Bruno Latour

Er erklärte, wie alles mit allem zusammenhängt

07:54 Minuten
Der Wissenschaftssoziologe und Philosoph Bruno Latour steht vor einem Gemälde und blickt in die Kamera
Die Forschungen des Wissenschaftssoziologen Bruno Latour haben unser Verständnis über die Wechselwirkung zwischen Natur und Kultur verändert. © picture alliance / dpa / Uli Deck
Dirk Baecker im Gespräch mit Gabi Wuttke · 09.10.2022
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Sein neues Verständnis von Wissenschaft und Gesellschaftstrukturen machte den Philosophen Bruno Latour berühmt. Bahnbrechend auch, wie er Albert Einsteins Theorien betrachtete, sagt der Soziologe Dirk Becker. Jetzt ist Latour 75-jährig gestorben.
Der französische Philosoph Bruno Latour hatte ein breites Interessensgebiet, er war auch Ethnologe und Soziologe. Seine Bücher, in denen er erklärte, wie Mensch und Natur sich zueinander verhalten, erschienen in mehr als 20 Sprachen. Als Professor in Paris rückte er das Verhältnis von Technologie und den Kulturen in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Nun ist er im Alter von 75 Jahren in Paris gestorben.

Wie erlangen Wissenschaftler Erkenntnisse?

Um seinen Sozialkonstruktivismus zu entwickeln – die Theorie über die Folgen menschlicher Entscheidungen – habe sich Latour mit der Praxis der Wissenschaft befasst. Daran erinnert der Soziologe Dirk Baecker. Latour habe in den 1970er-Jahren untersucht, wie Wissenschaftler zu ihren Forschungsergebnissen kommen und diese überprüfen.
„Folge ihren Aktivitäten“, das sei Latours erste große ethnologische Maxime gewesen, so Baecker. Latour habe sich etwa gefragt, was Wissenschaftler mit ihren Geräten machten, wie sie mit ihren Kollegen kommunizierten, „was guckt denn da eigentlich zurück, wenn ein Wissenschaftler durch ein Mikroskop schaut?“

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Auch Albert Einsteins berühmtes Gedankenexperiment zur Relativität von Bewegungen habe Latour mit diesem Ansatz untersucht. Dabei geht es um einen Gegenstand, der in einem Zug zu Boden fällt: Welche Bewegung sieht ein Betrachter im Zug, welche ein Betrachter, an dem der Zug vorbeifährt.
„Das war bahnbrechend, wie Latour damals vorgegangen ist.“ Latour habe das Bild minutiös entfaltet, mögliche Positionen der imaginären Beobachter und die Geschwindigkeit des Zugs untersucht – und sich gefragt, wie der Physiker Einstein daraus eine physikalische Erkenntnis hatte ableiten können.
Auch die Religion und deren Rituale bildeten einen Gegenstand von Latours ethnologischen Betrachtungen: Was macht ein Priester mit dem Weihrauchfass? Und was macht dieser Weihrauch mit den Gläubigen? „Was sind das für chemische, was sind das für ideologische und – für Gläubige natürlich – religiöse Prozesse?" Dies habe Latour besonders interessiert.

Neue Betrachtung der Gesellschaft

In den 80er-Jahren habe Latour seine sozialtechnologische Theorie entwickelt und dabei für alle soziale und technologische Zusammenhänge Grundbegriffe ausgearbeitet: Gesellschaften setzten sich demnach nicht nur aus Menschen zusammen, sondern auch Maschinen, Geschichten und Technologien gehörten dazu.
 „Da wurde man wach und das wurde aufregend: Man merkte, was in allen möglichen Feldern von der Wirtschaft über die Politik bis zum Recht und in die Religion nützlich ist.“

Atomkraftwerk mit eigener Stimme

Im Buch „Das Parlament der Dinge“ erläutere Latour, dass sich die industrielle Moderne große Ignoranz gegenüber ihren natürlichen Bedingungen geleistet habe. Technologie müsse man als Bestandteil der den Menschen umgebenden Systeme betrachten, der Mensch solle sich diese zunutze machen.
Auch Atomkraftwerke seien durchaus Partner menschlichen Handelns, erläutert Baecker Latours Betrachtungsweise. Einem Atomkraftwerk und auch biologischen sowie chemischen Phänomenen müsse man eine Stimme geben, um herausfinden zu können, „was sie eigentlich von uns wollen“.
Latour formuliere: „Wenn wir nicht endlich anfangen, diesen Dingen, von denen wir so maximal abhängig sind, eine Stimme zu geben, dann werden wir uns den Ast absägen, auf dem wir sitzen.“
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