Zum Tod des Philosophen Saul Kripke

Retter der Metaphysik

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Illustration eines abstrakten Gesichts und einer Hand, die ein Fragezeichen hält.
Kombiniere: Es ist kompliziert! – Saul Kripke brachte Fragen der Metaphysik zurück in die Philosophie. © Getty Images / Boris Zhitkov
Von Luca Rehse-Knauf · 25.09.2022
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Unter Philosophen war Saul Kripke schon als junger Mann berühmt. Er hat die analytische Philosophie nämlich gewaltig gegen den Strich gebürstet. Im Alter von 81 Jahren ist er nun gestorben. Sein Vermächtnis aber bleibt bedeutend.
Mathematisch hochbegabt, Shakespeare als Hobby, gute Hebräischkenntnisse – was nach einem kultivierten Erwachsenen klingen mag, beschreibt in diesem Fall ein Kind: den achtjährigen Saul Kripke. 1940 in Long Island, New York geboren, sollte er schon in jüngsten Jahren zu einer echten Instanz der US-amerikanischen Philosophie werden.
"Er war ein 'Wunderkind' in dem Sinne, dass er sich in unglaublich frühen Jahren mit unheimlich vielen und unheimlich komplizierten Sachen beschäftigt hat", so Helge Rückert, analytischer Philosoph an der Universität Mannheim, der zu Kripke arbeitet.

Ein echter Überflieger

Schon als Teenager beschäftigt sich Kripke intensiv mit mathematischen Modellen, und mit 18 Jahren veröffentlicht er einen viel beachteten Beitrag zur formalen philosophischen Logik, in dem er der sogenannten Modallogik eine formale Semantik zugrunde legt.
„Das hat dann auch dazu geführt, dass er zum Beispiel nie promoviert hat", sagt Rückert. "Als er eigentlich im Alter gewesen wäre zu promovieren, war er schon ein ‚Weltstar‘ in der Philosophie, der schon so bedeutende Arbeiten geleistet hatte, dass es ein bisschen lächerlich gewesen wäre, ihn irgendwelchen universitären Promotionsprüfungen zu unterziehen. Und die Unis haben dann eher gesagt: ‚Wenn du uns was zu sagen hast, kannst du kommen'."
Auch publizistisch geht Kripke unübliche Wege. Statt Bücher und Aufsätze zu schreiben, hält er hauptsächlich Vorträge, die mitgeschrieben werden und so in philosophischen Kreisen kursieren, aber erst Jahre später in Buchform erscheinen. So auch ‚Naming and Necessity‘ – ‚Name und Notwendigkeit‘, eines seiner Hauptwerke, publiziert 1972.

Denker gegen den Strom

„Das Hauptthema von ‚Naming and Necessity‘ ist erst mal nicht die Namenstheorie, sondern das, was Philosoph*innen ‚Modalitäten‘ nennen", erklärt Rückert, "also das Thema Notwendigkeit und Möglichkeit: Was hätte irgendwie anders sein können? Oder was muss so sein? Was ist notwendigerweise so? Ein sehr großes, traditionelles Thema in der Philosophie.“
Und ein klassischerweise metaphysisches Thema. Brisant wird dies, wenn man sich den Kontext von Kripkes Schaffen anschaut: die analytische Philosophie. In ihrem Namen werden Mitte des letzten Jahrhunderts viele traditionsreiche philosophische Probleme zu bloßen Scheinproblemen erklärt, es wird radikale Sprachkritik geübt und für eine Verwissenschaftlichung des Faches plädiert. Die Philosophie wird in ihrem Umfang massiv beschnitten und metaphysische Themen werden systematisch aussortiert.

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„Und das Besondere von Kripke in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – er ist da nicht der Einzige und nicht allein, aber vielleicht die wichtigste Figur – ist es dann, dass er innerhalb dieser analytischen Philosophietradition, die großen metaphysischen Themen wieder hineingebracht hat, insbesondere das Thema Notwendigkeit und Möglichkeit. Das Besondere daran ist, dass dabei diese Grundidee der Hinwendung zur Sprachphilosophie erhalten bleibt. Bei Kripke beruht nämlich die Beschäftigung mit Notwendigkeit und Möglichkeit auf sprachphilosophischen Überlegungen.“

Was ist notwendig, was nur möglich?

Diese sprachphilosophischen Überlegungen kommen vor allem in Kripkes Namenstheorie zum Tragen, seiner Auffassung darüber, was bestimmte sprachliche Ausdrücke bedeuten und worauf sie sich beziehen. Hier arbeitet er heraus, wie mit analytischen Mitteln sinnvoll über metaphysische Begriffe nachgedacht werden kann, nämlich über Möglichkeit und Notwendigkeit.
Dabei sind modale Aussagen – also etwa, dass etwas möglich oder unmöglich ist – nicht nur ein Untersuchungsgegenstand, sondern zugleich ein populäres Analysewerkzeug – das macht die Fragestellung besonders interessant.
„Was Philosoph*innen methodologisch sehr oft machen, sind etwa Gedankenexperimente", erläutert Rückert: "Stellen wir uns vor, die Situation wäre so und so – und dann werden Schlussfolgerungen daraus gezogen. Da wird auch wieder eine Möglichkeit betrachtet. Deshalb ist es auch so zentral, eine Theorie darüber zu haben, wie das mit Möglichkeit und Notwendigkeit und unserer Rede darüber funktioniert. Denn solche modalen Formulierungen sind quasi bei jedem philosophischen Thema, in unserem Alltag und auch in anderen Wissenschaften involviert.“

"Kripkenstein": Kripkes Arbeit über Wittgenstein

Neben "Name und Notwendigkeit" findet auch Kripkes Buch über Ludwig Wittgenstein große Beachtung. Was formal betrachtet als Wittgenstein-Interpretation gelten muss, ist derart originell, dass sich dafür eine eigene Begrifflichkeit etabliert hat, – man spricht auch von „Kripkenstein“. Helge Rückert dazu:
„Man könnte eventuell vertreten: Das größte philosophische Genie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert schreibt oder stellt Überlegungen an zum vielleicht größten philosophischen Genie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“
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