Philippa Foot zum 100. Geburtstag

Moralisch zu handeln ist vernünftig

05:37 Minuten
Eine Illustration zeigt einen Männerkopf als Scherenschnitt, in dem Engel und Teufel auf einer Wippe sitzen.
Gehört Moral zur Natur des Menschen? Philippa Foot beschäftigte sich zeitlebens mit ethischen Fragen danach, was zu tun richtig und vernünftig ist. © imago images / Ikon Images
Von Luca Rehse-Knauf · 27.09.2020
Audio herunterladen
Eine Straßenbahn überfährt fünf Menschen – oder nur einen einzigen, wenn man die Weiche umstellt. Wäre das moralisch legitim? Mit diesem Dilemma wurde Philippa Foot bekannt. Heute zählt sie zu den wichtigsten Figuren der modernen Moralphilosophie.
"In der Moralphilosophie ist es sehr wichtig, zunächst über Pflanzen zu reden." So eröffnete die britische Philosophin Philippa Foot einst eine Vorlesung und blickte wohl erstmal in verständnislose Gesichter. Worauf sie damit anspielte, ist der Umstand, dass wir das Leben von Menschen ebenso wie von Pflanzen oder Tieren nach gewissen Standards beurteilen.

Tugenden gehören zum Menschsein

So wie wir eine Pflanze gut nennen, wenn sie blüht und duftet, um bestäubt zu werden, können wir einen Menschen gut nennen, der in tugendhafter Weise handelt. Die Blüte gehöre ebenso zum Leben der Blume, so war Foot überzeugt, wie zum Beispiel die Tugend des Mutes zum menschlichen Leben gehöre.
Herlinde Pauer-Studer, Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Wien, erläutert diese Position an einem Beispiel von Ludwig Wittgenstein: "Nehmen Sie ein Schachspiel. In einem Schachspiel gibt es Regeln. Sie können sich so oder so bewegen. Sie können natürlich die Regeln alle aufheben und wenn Sie die über ein bestimmtes Maß hinaus verletzen, dann spielen Sie nicht mehr Schach. Und so etwas Ähnliches hat Philippa Foot hier gesehen: Dann sind wir nicht im sozialen Bereich des Lebens, dann nehmen wir Menschen nicht mehr als das war, was sie sind, nämlich Menschen."
Auch moralische Regeln sind also nicht beliebig veränderbar, sondern unterliegen objektiven Kriterien. Folgt man dieser Sichtweise kann man einer Person, die bestimmte moralische Regeln bricht, einen objektiven "Defekt des Willens" zuschreiben. Das steht im Gegensatz zu eher subjektivistischen Positionen, die moralische Urteile bloß als Ausdruck von Gefühlen oder Einstellungen sehen und in der Philosophie des 20. Jahrhunderts weit verbreitet waren.

Geprägt durch den Zweiten Weltkrieg

Dass Philippa Foot sich gegen eine rein subjektive Moral gewandt habe, sei nicht zuletzt durch die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges zu erklären, sagt Herlinde Pauer-Studer, die Foot auch persönlich kannte: "Wenn man das durchdenkt, bedeutet das, dass man den Nationalsozialismus nicht anders beurteilen kann als: Das ist ein Regime, das mir nicht gefällt. Und ich glaube, so eine Perspektive auf die damalige politische Situation erschien Philippa Foot einfach inakzeptabel, gemessen an dem, was sie an persönlichem Leid erlebt hat: Sie hatte sehr viel mit Immigranten und Immigrantinnen aus Deutschland zu tun, sie hat ihnen geholfen, war mit ihnen befreundet."
Philippa Foots ganzem Denken liegen Überlegungen zur sogenannten "Praktischen Rationalität" zu Grunde. Das heißt sehr einfach gesagt: Überlegungen darüber, was zu tun vernünftig ist. Dabei gebe es verschiedene Rationalitätsbegriffe, erklärt Herlinde Pauer-Studer:
"Da gibt es dieses Beispiel mit dem Dieb, der vor dem Fernseher einschläft. Wir würden sagen: Wie dumm kann er sein, dass er, wo er ja Leute bestehlen will, vor deren Fernseher einschläft und erwischt wird? Wir würden sagen: Er ist als Dieb rational defekt. Aber natürlich steht dahinter auch noch eine andere Bewertung: Dass wir natürlich nicht sagen können, er hätte um jeden Preis sein Ziel realisieren müssen, weil wir Dieb-Sein als Praxis nicht gutheißen würden."

Gut für Einzelne und für die Menschheit

Der letztere Rationalitätsbegriff ist der, mit dem sich Foot Zeit ihres Schaffens beschäftigte. Sie wollte zeigen, dass es vernünftig und sowieso im eigenen Interesse sei, tugendhaft zu handeln. Was Foot darunter verstand, erklärt Christine Chwaszcza, Professorin für Politische und Moralphilosophie an der Universität zu Köln:
"Philippa Foot hat das dann vor allem in diesem späten Werk 'Natural Goodness' ausgearbeitet: Dass man versucht, die Ziele des Handelns daran zu orientieren, was gut für den Menschen ist, in einem objektiven Sinne für die Spezies und auch für das einzelne individuelle Mitglied."
Dass Tugenden wie Gerechtigkeit der Menschheit als Ganzes gut tun, ist plausibel. Schwieriger ist es zu zeigen, wieso es dem Wohl des Einzelnen zuträgt, der ja auch einfach egoistisch durchs Leben stolzieren könnte.

Bescheidene Gigantin der modernen Ethik

"Die Regeln der Gerechtigkeit konfligieren sehr häufig mit dem, was aus der subjektiven Sicht der Person in ihrem Interesse zu tun wäre", sagt Chwaszcza. "Also: das Eigentum anderer Personen zu respektieren, das Versprechen einzuhalten oder den Vertrag einzuhalten et cetera. Die Schwierigkeit, und das ist meines Erachtens das Hauptthema bei Foot, ist zu zeigen, warum es rational ist und gut für den Einzelnen, diese Regeln der Gerechtigkeit auch einzuhalten."
Ob Foot damit Erfolg hatte, gilt heute als fraglich. Trotzdem ist ihre Grundlagenarbeit – darunter auch wegweisende Texte zu Sterbehilfe, Abtreibung und moralischen Dilemmata – aus der modernen Ethik nicht mehr wegzudenken. Dabei war Philippa Foot selbst immer sehr bescheiden: In der Philosophie, so soll sie einmal gesagt haben, fühle sie sich wie eine Geologin, die mit einem winzigen Hammer an einer riesigen Klippe klopft.
Mehr zum Thema