Nachruf auf E.L. Doctorow

Scharfer Kritiker der amerikanischen Gesellschaft

Der amerikanische Schriftsteller E.L. Doctorow im Jahr 2007 in Prag
Der amerikanische Schriftsteller E.L. Doctorow im Jahr 2007 in Prag © picture-alliance / dpa / epa / ISIFA Beznoska
Von Johannes Kaiser · 22.07.2015
Er war einer der großen amerikanischen Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Mit den Romanen "Ragtime" und "Billy Bathgate" landete Edgar Lawrence Doctorow, der seine Vornamen zu E.L. abkürzte, Millionenbestseller. Am Dienstag ist der 84-Jährige in New York verstorben.
"Ich wende mich immer den Zeiten zu, in denen die Geschichte meines Landes die meisten Leidenschaften weckte. Wo immer die nationale Geschichte sich am deutlichsten zeigte, der Moment, der am meisten über das Leben in den Vereinigten Staaten aussagt, da bin ich hingeleitet worden."
Brennpunkte, Kulminationsmomente der amerikanischen Geschichte, in denen sich die ganze Nation widerspiegelt, haben den am 6. Januar 1931 in New York geborenen amerikanischen Schriftsteller Edgar Lawrence Doctorow stets fasziniert und der überzeugte Humanist hat sich wiederholt mit ihnen in klassisch-epischer Erzählform auseinandergesetzt.
Dabei versuchte er stets hinter die Fassade von Amerikas Mythen zu schauen, die Helden zu demaskieren, die Legenden zu hinterfragen. Bereits sein 1960 herausgekommener Erstling "Willkommen in Hard Times", versteht sich als bittere, sarkastische Wildwestballade. Doch dafür war die Zeit noch nicht reif. Man nahm ihm die Zerstörung des Cowboy-Mythos übel. Seinen zweiten Roman fand er so miserabel, dass er ihn nie wieder auflegen ließ.
1969 beschloss der Vater dreier Kinder, seinen Job als Verlagslektor in New York aufzugeben und eine Lehrstelle an der University of California anzunehmen, um sich mehr dem Schreiben widmen zu können. Das Ergebnis war "Das Buch Daniel", in dem E.L. Doctorow am Beispiel des wegen Spionage für die Sowjetunion zum Tode verurteilten Rosenberg-Ehepaars mit der Kommunistenhatz der McCathy-Ära abrechnete und die Protestbewegung der 60er-Jahre porträtierte.
Indirekte politische Kommentare zur Zeitgeschichte
Der Roman aus dem Jahr 1971 zeigte ihn erstmals als scharfen Kritiker der Gesellschaft. Öffentliche politische Statements waren allerdings nicht seine Sache, obwohl der linksliberale eingestellte Schriftsteller nie einen Hehl aus seiner Ablehnung der amerikanischen Kriegseinsätze von Vietnam bis Irak gemacht hat. Auch wenn er sich nie als politischer Schriftsteller verstand, sein Schreiben war stets politisch:
"Das Leben ist politisch. Wir alle leben in einer Gesellschaft, besitzen eine Geschichte und sind politische Wesen. Selbst wenn ich als Einsiedler in einem unbekannten Teil der Welt lebte, wäre das eine politische Aussage oder etwa nicht? Ich meine, wir sind alle politisch, wir müssen es sein und unsere Bücher reflektierten das."
E. L. Doctorow Bücher lesen sich als indirekte politische Kommentare zur Zeitgeschichte. In dem 1975 erschienenen Romane "Ragtime", einem Kaleidoskop der sozialen Konflikte, technischen Wunder und politischen Auseinandersetzungen zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg geht es auch um Immigration und Rassismus.
Das Buch war ein Millionenbestseller, gewann zwei wichtige Literaturpreise, wurde verfilmt und zu einem Broadway-Musical.
Eindringliche Charakterstudien, farbige Handlungen, rasante Szenenwechsel
Ähnlich erfolgreich wurde 14 Jahre später "Billy Bathgate". Diesmal ging es um Mafia, Mob und Korruption im New York des 30er-Jahre, mitreizend erzählt von einem Jungen, der zum Gangster wird.
"Je mehr wir Gesetze verinnerlichen, unsere Parkscheine bezahlen, Steuern zahlen, desto stärker fühlen wir diese heimliche Bewunderung für Menschen, die sich ihre eigenen Gesetze schaffen und Gesetze überschreiten – jedenfalls solange, wie sie am Ende schließlich vor Gericht landen. Wir assoziieren diese Form städtischer Gesetzlosigkeit mit dem Pioniergeist und mit Unabhängigkeit. Das ist ein Element unserer Faszination für gesetzloses Verhalten."
Außenseiter, Eigenbrötler, eigensinnige starke Charaktere füllen E.L. Doctorow Romane. Man kann sie geradezu vor sich sehen. Seine Geschichten glänzen durch detailfreudige Ausstattungen und Ortsschilderungen, eindringliche Charakterstudien, farbige Handlungen, rasante Szenenwechsel, Rückblenden, Dialogfreude.
New York als vibrierender Hintergrund
Das gilt auch für seinen viel gepriesenen Roman über den amerikanischen Bürgerkrieg von 1864. "Der Marsch" geißelt den Krieg, der der Befreiung der Sklaven dienen und damit das Postulat der amerikanischen Verfassung durchsetzen sollte, dass alle Menschen frei und gleichberechtigt sind. Doch alle Ideale ertrinken. Das Buch ist als Metapher für alle Kriege zu verstehen getreu Doctorows Überzeugung:
"Ich sehe meine Romane nicht als historische Romane. Wann immer Sie über die Vergangenheit schreiben, schreiben Sie natürlich über die Gegenwart."
Das gilt sicherlich auch für den 2009 herausgekommenen Roman "Homer and Langley", der anhand der Geschichte zwei New Yorker Brüder noch einmal das ganze 20. Jahrhundert rekapituliert. Am Ende ihres Lebens lehnen sie sich gegen die Stadt und ihre Bürokratie auf. New York als Symbol stetigen Wandels bildete in fast all seinen Romanen den vibrierenden Hintergrund.
E.L Doctorow war ein zutiefst amerikanischer Schriftsteller, der es verstand, uns das Werden und Wesen der USA eindrucksvoll und lebensprall nahe zu bringen. Das verdanken wir auch seiner Einstellung zum Schreiben, die da lautete:
"Um Zeilen singen zu lassen, müssen Sie schreiben, um herauszufinden, was Sie schreiben. Sie müssen die Haltung des Entdeckens einnehmen so wie der Leser, der die Zeilen liest, ohne zu wissen, was als nächstes kommt. So wird das Buch lebendig. Es wird die Möglichkeit haben, seine eigene Wahrheit zu entdecken, sein eigenes Wesen."
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