Nachgefragt

Moderation: Rachel Gehlhoff · 24.02.2008
Das neue Buch von Götz Aly wird nach Ansicht von Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin dazu beitragen, die 68er-Bewegung insgesamt kritischer als bislang zu sehen. Man müsse sich damit auseinandersetzen, dass viele Gruppen damals einem totalitären Zeitgeist nachgerannt seien, sagte Schroeder.
Rachel Gehlhoff: Frage an den Soziologen Klaus Schroeder; 68 auch dabei: Kann Götz Alys Buch einen zweiten Historikerstreit auslösen?

Klaus Schroeder: Ja, das Buch von Götz Aly könnte anregen, diese Zeit kritischer zu sehen, selbstkritischer zu sehen, auch von den Akteuren her, weil er zuspitzt, weil er provoziert, aber genau in die Wunde trifft.

Gehlhoff: Was ist die Wunde?

Schroeder: Die Wunde ist der totalitäre Kern der 68er-Bewegung, nicht generell, aber in vielen Gruppen, wo man einem totalitären Zeitgeist nachrannte und sich gar nicht bewusst war, was für Leute man indirekt mit unterstützte.

Gehlhoff: Wenn wir das Buch von Götz Aly in einem Rahmen mit anderen Erinnerungen an die 68er stellen, wie wichtig ist es dann?

Schroeder: Es ist sehr wichtig, weil es Gräben aufreißt, die vorhanden sind. Es gibt viele ehemalige 68er, die ähnlich wie Menschen in der DDR oder im Nationalsozialismus gelebt haben, die eigene Vergangenheit nur positiv sehen und die dunklen Seiten ausblenden. Das hat nun Götz Aly ausgeleuchtet, er hat es sehr grell ausgeleuchtet. Und jetzt müssen sich diejenigen, die noch Mitte der 70er Jahre Massenmörder wie Mao Se Tung oder Pol Pot zugejubelt haben, endlich einmal dazu bekennen.

Gehlhoff: Aber das war ja kein Spezifikum der 68er dieses Zujubeln – oder?

Schroeder: Doch es war das Spezifikum bestimmter Gruppen innerhalb der 68er und man hat jede Kritik an diesem Zujubeln zurückgewiesen als eine Manipulation der bürgerlichen Presse oder der bürgerlichen Medien.

Gehlhoff: Alys Kritiker äußern sich, er solle doch besser recherchieren. Sind denn wirklich so viele Fehler im Buch?

Schroeder: Nein, es sind nicht viele Fehler im Buch. Wenn man zuspitzt, lässt man Dinge außer Acht, das geht gar nicht anders. Aber Aly hat im Gegensatz zu vielen anderen, die jetzt über 68 schreiben, sehr viele neue Quellen aufgetan, er hat die Quellen der Gegenseite, er hat die Quellen der Professoren, zum Teil jüdischer Emigranten von 33 bis 45, die Nachlässe sich angeschaut und hat festgestellt, wie dieser Personenkreis, der von den Nazis verfolgt war und jetzt von den 68ern angegriffen wurde, darauf reagiert hat. Ich denke an Personen wie Richard Löwenthal zum Beispiel.

Gehlhoff: Hat den Aly die Quellen, die allgemein zugänglich waren, beispielsweise Umfragen, wirklich sorgfältig ausgewertet? Denn da geht die Kritik ja hin, dass er mit bekannten Quellen nicht gut genug umgegangen ist, nicht fair genug.

Schroeder: Nein, das stimmt nicht, es gibt eine Vielzahl von Umfragen, man könnte diese oder jene nehmen. Götz Aly ist viel aktentreuer, als alle anderen Historiker, die über 68 schreiben. Die schreiben meist nur allgemein und gehen gar nicht ins Detail. Die Unterlagen, die vorhanden sind, die Flugblätter, die Dokumente, die Reden, das alles hat Götz Aly ausgewertet. Das machen andere Zeithistoriker überhaupt nicht.

Gehlhoff: Alys Ton ist relativ schroff. Er schreibt wie ein Ankläger. Warum, welche Erklärung haben Sie dafür?

Schroeder: Ja, es ist eine Selbstanklage, aber nicht nur eine Anklage gegenüber den 68ern, er bezieht sich selbst mit ein …

Gehlhoff: … was er ja auch muss, er war ja selbst mit dabei …

Schroeder: … ja, und er war an vorderster Front dabei. Ich kenne ihn persönlich aus der damaligen Zeit. Er war ein sehr radikaler bis fanatischer Linksradikaler, der manches zu verantworten hat. Aber er steht dazu. Und das ehrt ihn.

Gehlhoff: Dennoch – der anklagende Ton bezieht sich auch auf andere – warum versteht er sich als Ankläger?

Schroeder: Weil er generell so schreibt. Seine sonstigen Bücher sind im ähnlichen Gestus geschrieben. Er ist jemand, der sehr laut, sehr schrill schreibt. Aber gerade die NS-Forschung, sein Hauptgebiet, verdankt ihm ganz viele Einsichten und Erkenntnisse und neue Diskussionen. Und genauso wird es jetzt bei dem Themenfeld 68 sein.

Gehlhoff: Mein Eindruck ist, die Handelnden von 68 beäugen einander leicht misstrauisch, was öffentliches Wirken und vor allen Dingen öffentliches Erinnern angeht, täuscht das?

Schroeder: Nein, das täuscht nicht, weil die ehemaligen 68er sehr gespalten sind in die Gruppe derjenigen, die alles verdrängt und vergessen haben und die Gruppe derjenigen, die sich heute zum Teil selbstquälerisch fragen, warum habe ich damals eigentlich so einen Schwachsinn gesagt und getan. Warum habe ich so und nicht anders gehandelt? Das sind unterschiedliche Arten mit der Vergangenheit umzugehen. Die einen wollen verdrängen, die anderen wollen aufarbeiten. Das prallt jetzt aufeinander. Und das ist gut so.