Nach Hause gehen (2)

"Heimat ist immer da, wo gute Menschen sind"

Der Autor Jörn Klare wandert nach Hause - quer durchs Land.
Der Autor Jörn Klare wandert nach Hause - quer durchs Land. © Foto: Jörn Klare
Von Jörn Klare · 08.03.2016
Was ist Heimat? Diese Frage stellt Jörn Klare jedem, den er während seines 600 Kilometer langen Fußmarsches von Berlin in sein Heimatdorf trifft. Diesmal begegnet er einem Klosterbruder, der seit 60 Jahren im selben Kloster lebt – und sich doch nicht zuhause fühlt.
Nitzge: "Ich rege mich auf über Leute, die hier dummes Zeug reden. Und gleichzeitig ist es ein Stück Bindung."
Eine Wanderung durch Deutschland. Von Berlin an den Rand des Ruhrgebiets.
Nitzge: "Also es ist so sehr ambivalent."
600 Kilometer in gut vier Wochen ... zu Fuß.
"Aber so im Überblick würde ich sagen, ist es die Summe der Eindrücke, die mich geprägt haben, die mich zu dem gemacht haben, der ich bin."
Begegnungen am Wegesrand, in Dörfern und kleinen Städten. Die Frage: Was ist Heimat?
"Wo ich sage: Hier stehst du. Hier darfst du Mensch sein, wie es Goethe mal ausdrückte. Und das ist das für mich Heimat."
Ich stelle sie jedem, der nicht bei drei auf einem Baum verschwunden ist. Und ... ich kann sehr schnell zählen.
Kamrad: "Es gibt keinen Ort, der Heimat ist. Das ist immer da, wo gute Menschen sind."
Wegerich: Heimat kann nur sein, wenn wir gemeinsam miteinander das Leben gestalten und das Leben auch genießen."
Tebbe: "Heimat ist schon ... man fühlt sich geborgen. Ist so."
Jede Antwort eine eigene Wahrheit, schon weil jeder Mensch eine eigene Geschichte mit seiner Heimat hat.

Verlorene Heimat Niederschlesien

Singende Mönche im Kloster
Bruder Andreas: "Ja … der Verlust der Heimat. Ich habe nie vorher gewusst, dass das so entscheidend ist."
Ein zarter Mann, weit über 80 Jahre alt.
"Da habe ich gemerkt, dass ich etwas verloren habe, das ich nie mehr wieder kriege."
Als Jugendlicher musste er nach dem Zweiten Weltkrieg seine niederschlesische Heimat verlassen.
"Seitdem bin ich Fremder. Ich habe also meinen Heimatverlust so tief empfunden - das ist also einer der Gründe, dass ich heute im Kloster bin. Wenn ich meine Heimat verliere, kann ich morgen die Gesundheit verlieren, kann übermorgen sterben. Was bleibt? Und was bleibt, lerne ich hier."

Seit 60 Jahren in der Abtei

Seit 60 Jahren lebt Bruder Andreas in der Abtei Königsmünster in Meschede.
"Ich habe das noch nie als Heimat empfunden, obwohl ich hier vertraut bin, obwohl meine Umgebung stimmt, obwohl die Landschaft ähnlich meiner schlesischen Heimat ist. Ich vermeide sogar zu sagen: Ich gehe jetzt nach Hause, wenn ich draußen bin und ins Kloster will. Es ist nicht mein echtes Zuhause. Ich weiß, dass das nur vorübergehend ist, obwohl das schon 60 Jahre gedauert hat - der Vorübergang. Wer weiß, wie lange noch?"
Er lächelt fein und zart.
"Ich weiß nicht, vielleicht ist mir die Ewigkeit, also die ewige Heimat näher als die wirkliche. Die ist polnisch, die ist fremd. Von dem Himmel weiß ich schon eine ganze Menge." (lacht)
"Ich lebe ja darauf zu. Wenn ich morgen sterben sollte, dann sage ich: Lieber heute!"
Simone Weil sagte einmal: "Andere zu entwurzeln, ist das schlimmste aller Verbrechen, aber sich selber zu entwurzeln die größte Errungenschaft."
"Das gehört zum Menschsein, dass einer eine Wurzel hat, dass einer … mit der Landschaft, mit den Menschen, mit der Sprache so verbunden ist, dass man dafür Heimat sagt."
Später im Wald eine Installation aus Klanghölzern. Gut 100 Kilometer sind es auf meinem Weg nach Hause noch bis Hohenlimburg.
"Ich habe ja meine Heimat erst durch die Fremde erfahren, indem ich in der Fremde war, habe ich erlebt, was ich verloren hatte."

Was genau ist Heimat? Was bedeutet sie? Und warum ist sie wichtig? Jörn Klare geht dem sehr persönlich und ganz wörtlich nach. Von seiner Berliner Haustür aus wandert er an den Ort seiner Kindheit und Jugend am Rand des Ruhrgebiets. Ein Weg über gut 600 Kilometer, erst durch Ostdeutschland, das ihm immer noch fremd ist, dann durch Westdeutschland, das ihm oft nicht mehr vertraut ist.

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