Nach den Anschlägen in Paris

Russland sieht sich bestätigt

US-Präsident Obama und Russlands Präsident Putin mit Dolmetschern.
US-Präsident Obama und Russlands Präsident Putin bei ihrem Gespräch über Syrien am Rande des G20-Gipfels © picture alliance / dpa / Presidential Press Service/Pool
Von Gesine Dornblüth · 17.11.2015
Präsident Putin hatte in seinem Telegramm an Frankreichs Präsident Hollande bereits wenige Stunden nach den Anschlägen den Tenor vorgegeben: Russland trauert mit Frankreich. Und zugleich fordert es nun erst recht eine internationale Koalition gegen den Terror.
Anteilnahme war das eine. Zugleich verbreitete das russische Massenblatt "Komsomolskaja Pravda" bereits am Sonnabend eine gewisse Schadenfreude angesichts des Terrors in Paris. Der Kolumnist Jegor Homogorow schrieb von – Zitat - "Orgien der Toleranz" in Frankreich. Das Land zahle für eine verfehlte Politik.
Heute will sich die russische Staatsduma mit den Ereignissen in Paris beschäftigen. Aleksej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, kündigte an, das Parlament werde in seiner Resolution nicht nur Mitgefühl und Solidarität mit dem französischen Volk ausdrücken, sondern auch die tieferen Gründe der Terroranschläge politisch bewerten. Wie diese Bewertungen ausfallen werden, machte Puschkow vorab klar, in seiner samstäglichen beliebten Fernsehsendung "Postskriptum".
"Frankreich unterstützt unbedacht die USA"
"Schlussendlich ist ein Grund für das, was Frankreich heute durchmacht, die automatische, unbedachte Unterstützung all dessen, was die USA im Nahen und Mittleren Osten tun. Dafür müssen sie jetzt mit Menschenleben bezahlen."
Mit den Interventionen im Irak und in Libyen sowie einer verantwortungslosen Politik in Syrien hätten die USA den IS erst ermöglicht, so Puschkow. Und die meisten westlichen Staatsführer hätten das gebilligt.
"Woran haben die selbstgefälligen westlichen Politiker gedacht, als sie ein diktatorisches, aber stabiles Regime nach dem anderen zu Fall gebracht haben in Irak und in Libyen? Weder Saddam Hussein noch Muammar al-Gaddafi haben Al-Qaida und andere Terrorgruppen zugelassen. Und Syrien war ein blühendes Land mit religiösem Frieden. Wie viele Opfer sind noch nötig, um sich das endlich einzugestehen?
Russland fordert seit Wochen eine internationale Koalition gegen den Terror. Präsident Wladimir Putin sagte gestern nach dem G20 und einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama, er sähe mittlerweile eine stärkere Bereitschaft dazu.
"Das Leben erteilt uns Lektionen. Mir scheint, das Bewusstsein dafür, dass man nur gemeinsam effektiv kämpfen kann, kommt jetzt zu allen."
Der Duma-Abgeordnete Adalbi Schchagoschejew, Mitglied im Sicherheitsausschuss, hielt gestern in Moskau eine Pressekonferenz zu den Anschlägen in Paris ab. Er sagte:
"Ich bin überzeugt: Wenn die USA heute auf Russland hören und wir gemeinsam handeln, kann man die Bedrohung durch den IS in zwei bis drei Monaten in den Griff bekommen."
Gegenseitige Vorwürfe
Die Politologin Veronika Krascheninnikowa nutzte die Anschläge von Paris, um einen Keil zwischen die EU und die USA zu treiben. In einer beliebten Talkshow am Sonntagabend warf sie den USA vor, Europa als einen Puffer für Terroristen zu nutzen.
"Das transatlantische Bündnis löst Europas Probleme nicht. Es wäre am klügsten, Europa würde uns dafür danken, dass wir in Syrien gegen den Terrorismus kämpfen."
Grigorij Jawlinskij von der nicht in der Duma-vertretenen Oppositionspartei Jabloko hingegen forderte in einem Gastbeitrag für die Zeitung Vedomosti, Russland solle jetzt, angesichts des tödlichen Terrors, auf den Westen zugehen. Jawlinskij verwies auf den Absturz des russischen Passagierflugzeugs vor gut zwei Wochen über dem Sinai mit mehr als 200 Toten. Die Hinweise, dass es sich auch dabei um einen Terroranschlag handelte, verdichten sich. Angesichts der gemeinsamen Bedrohung erwiesen sich der Raketenabwehrschild der USA, die NATO und erst recht das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU als dumme Pseudogefahren, so Jawlinskij.
Ähnlich kommentierte der Publizist Konstantin Eggert im Radiosender Kommersant.fm.
"Es ist Zeit, dass Russland versteht, dass seine natürlichen Verbündeten nicht Iraner und Chinesen sind, sondern der Westen. Unser nationales Interesse ist eine maximale Annäherung an die USA und die EU, nicht Schadenfreude angesichts von deren Problemen."
Diese Stimmen allerdings sind in Russland deutlich in der Minderheit.
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