Nach dem Militärputsch in der Türkei

Freude über das Scheitern

Männer in einer Menschenmenge in der Dunkelheit. Sie rufen und schwenken die türkische Flagge.
Tausende Menschen bejubeln in Istanbul das Scheitern des Putsches. © AFP/OZAN KOSE
Turgut Yüksel im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 19.07.2016
Der hessische Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel (SPD) begrüßt das Scheitern des Militärputsches in der Türkei. Die Gülen-Bewegung habe in Deutschland an Einfluss verloren, seit sie mit der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan in einen Machtkampf verstrickt sei.
Der hessische Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel (SPD) verließ aufgrund oppositioneller Aktivitäten die Türkei und lebt seit 1978 in Deutschland. 1980 entschied er sich für einen 46-tägigen Hungerstreik, um seinen Protest gegen den damaligen Militärputsch in seiner alten Heimat auszudrücken.

Gefahr für Demokratie

"Mich freut, dass er nicht geglückt ist", sagte Yüksel im Deutschlandradio Kultur über den misslungenen Putschversuch in der Türkei. "Die Aufgabe des Militärs ist es nicht zu regieren, sondern die Gesellschaft zu schützen." Der SPD-Politiker verwies darauf, dass er bereits 1971 und 1980 selbst Militärcoups miterlebt habe. "Wenn das Militär an die Macht kommt, dann existiert keine Demokratie mehr." Deshalb sei er froh, dass die Putschisten diesmal keinen Erfolg hatten. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Gülen-Bewegung beschuldigt, hinter dem versuchten Militärputsch zu stehen, was deren Anführer Fethullah Gülen bestreitet.

Gülen-Bewegung in Deutschland geschwächt

Was die Rolle der Gülen-Bewegung angeht, sagte Yüksel, es handele sich nicht um eine Massenbewegung, sondern eher um eine Kaderorganisation mit sektenähnlichen Strukturen. Sie sei in Deutschland seit dem Ende ihrer Zusammenarbeit mit Erdogans Partei AKP nicht mehr so groß wie vor zwei oder drei Jahren. "Sie sind in allen Großstädten der Republik auch organisiert, sie haben Schulen, Bildungseinrichtungen, Institutionen und darüber hinaus auch ein großes Verlagshaus bei Frankfurt." In "Lichthäuser" lebten Studenten und Studenten, die von der Bewegung rekrutiert wurden. Sie habe aber in der Bundesrepublik keine großen Einfluß mehr.

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Wenn jemand weiß, was ein Militärputsch ist und wie sich das anfühlt, dann ist das mein jetziger Gesprächsgast Turgut Yüksel, SPD-Politiker, Mitglied des hessischen Landtages. Vor dem letzten Militärputsch 1980 kam er nach Deutschland und ging aus Protest gegen die damals geglückte Machtübernahme durch die Armee in einen Hungerstreik. Turgut Yüksel, jetzt am Telefon, guten Morgen!
Turgut Yüksel: Guten Morgen!
Frenzel: Herr Yüksel, vor dem Hintergrund dieser Erfahrung – wie froh sind Sie, dass dieser Putschversuch gescheitert ist?
Yüksel: Mich freut, dass er nicht geglückt ist, denn die Aufgabe des Militärs ist es nicht zu regieren, sondern die Gesellschaft zu schützen, und das habe ich zweimal schon in meinem Leben, 1971 und 1980, auch erlebt, und 1960 gab es ja auch noch mal, und da war ich ziemlich klein, und wenn Militär an die Macht kommt, dann existiert keine Demokratie mehr. Deshalb bin ich froh, dass sie keinen Erfolg haben.
Frenzel: Es gab einen schnellen Vorwurf des türkischen Präsidenten, wer hinter diesem Putsch stehen soll: Fethullah Gülen, der in den USA lebende Prediger mit seiner weltweit wirkenden islamischen Bewegung. Eine Bewegung, die es auch in Deutschland gibt, und das ist auch der Grund, warum wir heute Morgen zum Gespräch verabredet sind. Sie, Herr Yüksel, haben auch immer wieder vor der Tätigkeit der Gülen-Bewegung in Deutschland gewarnt. Warum?
Yüksel: Weil es eine sehr konstruktiv organisierte Bewegung ist, und die kommen von einer sogenannten Nurculuk-Bewegung, Lichtbewegung, einer mystisch organisierten, sektenähnlichen Gruppe. Die haben dann in den 80er-Jahren angefangen unter Fethullah Gülen in der Türkei zu organisieren. Gülen hat aufgerufen, ihre Anhänger aufgerufen, den Marsch durch die Institutionen zu organisieren und heimlich zu arbeiten, um irgendwann mal an die Macht zu gelangen. Gülen-Bewegung ist keine große Massenbewegung, sondern auch eine Kaderorganisation, die sektenähnliche Strukturen hat.

Lichthäuser für Studenten

Frenzel: Wie zeigt sich der Einfluss der Gülen-Bewegung in Deutschland, wie groß ist sie?
Yüksel: Ich glaube, sie sind nicht mehr so groß wie vor zwei, drei Jahren, nachdem sie mit der AKP ihre Zusammenarbeit aufgegeben haben. Sie sind in allen Großstädten der Republik auch organisiert. Sie haben Schulen, Bildungseinrichtungen, Institutionen und darüber hinaus auch ein großes Verlagshaus bei Frankfurt. Sie besitzen auch sogenannte Lichthäuser, in denen Studenten und Studentinnen leben, die von Fethullahs Anhängern rekrutiert worden sind oder beziehungsweise die schon Fethullah-Anhänger sind.
Frenzel: Sie haben diesen Marsch durch die Institutionen angesprochen, den man sich vorgenommen hat. Dieser Marsch ging ja einst gemeinsam – Recep Tayyip Erdogan, Fethullah Gülen jahrelang Seite an Seite. Diese Entzweiung, die ist ja noch recht frisch – zwei, drei Jahre alt. Merkt man das auch in Deutschland? Hat es die türkische Community gespalten?
Yüksel: Sie waren sehr eng verbunden. Sie haben alles zusammen gemacht. Sie haben gemeinsam agiert, sie haben gemeinsam organisiert, es gab immer jedes Jahr in Deutschland sogenannte Kulturolympiaden, und da waren alle AKP-Anhänger in Deutschland auch dort bei dieser Veranstaltung. Es gab auch sehr viele Abgeordnete, Minister, und selbst Recep Tayyip Erdogan war auch in der Türkei bei diesen Veranstaltungen immer aktiv mit dabei. Die haben sich gegenseitig unterstützt, und jetzt arbeiten sie nicht mehr zusammen. Sie sind jetzt Feinde geworden. Wenn wir jetzt von dem Putsch in der Türkei reden, und wenn es dann von der Fethullah-Bewegung initiiert werden sollte, dann ist es ein Kampf zwischen den islamistischen Gruppen.

In der Türkei als angebliche Terroristen verfolgt

Frenzel: Bei aller Kritik an der Gülen-Bewegung, die Sie ausdrücken, angesichts der harten Hand, die die türkische Regierung jetzt anlegt, müssen wir Gülen-Anhänger heute auch als Verfolgte betrachten?
Yüksel: Gülen-Anhänger werden in der Türkei auch verfolgt und werden auch als Terroristen bezeichnet. Es gibt in der Türkei zwei Gruppen: die PKK oder Fethullah-Bewegung, und wenn man jemandem dann Anhängerschaft der PKK oder Anhängerschaft von Fethullah nachweist, dann ist es auch ein Grund, sie zu verhaften.
Frenzel: Vor wem müssen wir uns denn aus Ihrer Sicht mehr Sorgen machen aktuell – vor allem Recep Tayyip Erdogan und seiner Religionspolitik, die auch in Deutschland wirkt, oder vor der Gülen-Bewegung?
Yüksel: Die Gülen-Bewegung hat in Deutschland keinen großen Einfluss mehr wie vor einigen Jahren, aber es ist so, man sollte die Hand jedem reichen, aber man muss sie nicht hofieren. Das, was ich in der Vergangenheit als Fehler gesehen habe, dass man immer ohne Hinterfragen, ohne kritisch zu fragen, haben sie gerne immer zusammengearbeitet, und wie gesagt, die Gülen-Bewegung ist in Deutschland aktiv, sie waren auch intellektuelle Vordenker der AKP, auch in Deutschland, und jetzt sind sie nicht mehr zusammen, sind gespalten, und ich glaube, das, was in der Türkei vorgestern passiert ist, dass diese Junta nicht geglückt ist, ist gut, aber man versucht jetzt in der Türkei das zu instrumentalisieren, um alle kritischen Menschen gegen AKP unter Separatismus und Terrorismus zu verhaften.
Frenzel: Sagt Turgut Yüksel, SPD-Politiker, Mitglied des hessischen Landtags. Ich danke Ihnen für das Interview!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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