Die Schulen der bildungshungrigen Deutsch-Türken

Rezensiert von Bodo Morshäuser · 22.09.2013
Die Schulleiter sind deutsch, Schulsprache ist ebenfalls Deutsch, Religion wird nicht unterrichtet, der Bildungsanspruch der Einrichtungen ist hoch. Doch deutsche Eltern meiden die Privatschulen der aufstrebenden deutsch-türkischen Mittelschicht, von denen es hierzulande rund ein Dutzend gibt.
Der islamische Prediger Fethullah Gülen ist der Meinung, die Geißel der Muslime seien nicht das Christentum oder der US-Imperialismus, sondern Unwissenheit und Armut. Seit Mitte der achtziger Jahre lautet seine Losung, man solle nicht mehr Moscheen bauen, sondern mehr Schulen. In der Türkei fällt er damit in Ungnade, er wird verfolgt und geht ins amerikanische Exil. Nach ihm benannt ist die Gülen-Bewegung, die in mehr als 140 Ländern über tausend Schulen errichtet hat. In Deutschland gibt es ein Dutzend.

Wir brauchen nicht mehr Moscheen, sondern mehr Schulen
Die deutsch-türkischen Schulen liegen nie in der Mitte ihrer Städte, sondern an den Rändern, in Industriegebieten, neben Schnellstraßen und Bahngleisen. Dort wurden leerstehende Kasernen- oder Fabrikgebäude angemietet. Am Anfang waren es nur Nachhilfe-Einrichtungen, die türkische Eltern in Anspruch nahmen, um ihren Kindern besseres Deutsch beibringen zu lassen. Die Förderer der Gülen-Schulen sind deutsch-türkische Mittelständler. Es handelt sich um Ganztagsschulen, und sie werden von deutschen Schulleitern geleitet.

Anders als an anderen konfessionellen Privatschulen gibt es hier keinen Religionsunterricht, sondern den üblichen Ethikunterricht. Türkisch wird als Fremdsprache behandelt, frühestens an zweiter Stelle nach Englisch. Die Sprache der Schule und die Sprache auf dem Schulhof ist Deutsch.

Der Journalist Jochen Thies hat verschiedene Schulen besucht und mit Schülern, Eltern, Lehrern und Förderern gesprochen. Von der Höhe des Schulgelds über die Erscheinung der Schulhäuser und die Persönlichkeiten der Mitarbeiter und Förderer bis hin zur Beschreibung des Mittagessens in der Mensa erfährt man durchaus ratgebertaugliche Details. Nach dem Besuch einer Schuleinweihung fasst der Autor seine Botschaft so zusammen:

Kein Zweifel, ich bin Teilnehmer eines Abends gewesen, an dem ich eine neue Teilelite der Bundesrepublik erlebt habe. Sie hat die typischen Kennzeichen der Mittelschichtsgesellschaft bereits hinter sich gelassen und befindet sich auf dem Weg in die obere Mittelschicht: Akademiker, Freiberufler, mittelständische Unternehmer, mindestens ein Elternteil mit Universitätsabschluss. Diese Menschen, so sage ich mir, muss das Land pflegen.

Es gibt Anfeindungen und Unterstellungen
Von vielen Seiten gab es jedoch erst mal Widerstand gegen deutsch-türkische Schulen. Es gibt Anfeindungen und Unterstellungen, so etwa die unbewiesene Behauptung, die Gülen-Bewegung sei eine Geheimorganisation, die die Weltherrschaft des Islam anstrebe. Im linksliberalen Lager definiert sich der Widerstand über die Behauptung, nur auf deutschen Schulen hätten türkische Kinder angeblich eine Chancengleichheit.

So lange aber wollte der bildungshungrige Teil der Deutsch-Türken nicht warten. Nach dem Privatschulgesetz werden Privatschulen mit eigenen inhaltlichen Schwerpunkten staatlich gefördert, wenn sie die ersten drei bis fünf Jahre mit eigenen Mitteln überstehen. Diese Hürde haben sämtliche Schulen der Gülen-Bewegung in Deutschland längst überwunden. Die deutsch-türkischen Schulen sind offen für alle. Jedoch schicken Deutsche ihre Kinder so gut wie gar nicht dorthin, auch wenn die nächste deutsch-türkische Schule näher beim Wohnort liegt als die nächste Staatsschule. Die Deutsch-Türken bleiben also noch unter sich.

Nach dem Lesen dieses äußerst informativen Buches denke ich, das hat diesem Schulmodell bisher nicht geschadet. Erst wenn die Berührungsängste und Anfeindungen vom Tisch sind, wird Normalität einkehren.

Religion wird an den Schulen der Gülen-Bewegung zwar nicht unterrichtet, doch ist die religiöse Identität unsichtbarer Bestandteil. Mit den Worten eines Lehrers des Berliner TÜDESB-Gymnasiums, den Jochen Thies zitiert:

Mein Gegenüber formuliert auf den Punkt: Der Islam vermittele eine Glaubensgewissheit. Dagegen schaffe der Protestantismus in Deutschland viele Zweifel.

Vergleich mit dem liberalen Judentum des 19. Jahrhunderts
Dieser grundlegende Unterschied zwischen Christentum und Islam macht wohl die wahre Differenz beider Religionen aus, und nicht irgendwelche extremen bis extremistischen Minderheiten. Der Autor vergleicht die Situation der bildungshungrigen deutsch-türkischen Mittelschicht mit dem liberalen Judentum des 19.Jahrhunderts und mit seinen Versuch, religiöse Identität mit Bildung und Integration in die säkulare Umwelt zu verbinden.

Muslimische Intelligenz, die sich weltweit verbreiten will, steht bei manchen, wie könnte es anders sein, unter dem Generalverdacht des Islamismus. Genauso wie Islamismus unter dem Generalverdacht steht, absolut bildungsfern zu sein. Muslime können also machen, was sie wollen, sie stehen unter Verdacht.

Vertrauen wir in diesem Fall doch einmal dem Verfassungsschutz. Er winkt ab und sagt, von der Gülen-Bewegung und ihren Schulen gehe keine Gefahr aus.

Jochen Thies: Wir sind Teil dieser Gesellschaft – Einblicke in die Bildungsinitiativen der Gülen-Bewegung
Herder Verlag 2013
192 Seiten, 9,99 Euro


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