Mythos Mutterschaft

Der alte Trick des Patriarchats

Eine Frau steht im Stuttgarter Schlossgarten und hält ein Kind auf ihrem Arm.
Eine Frau mit Kind auf dem Arm: Mütter haben ein Recht auf Reue, findet Stephanie Rohde. © dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert
Von Stephanie Rohde · 19.04.2015
Ein Kind – das größte Glück im Leben einer jeden Frau? Nein, sagen viele Mütter in der Debatte um #regrettingmotherhood. Sie wenden sich damit gegen die gesellschaftliche Konstruktion der Mutterschaft. Und das ist gut so, kommentiert Stephanie Rohde.
"Wenn ich den Einblick und die Erfahrung von heute damals schon gehabt hätte, hätte ich nicht mal ein Viertel eines Kindes bekommen. Es ist der Albtraum meines Lebens." Sagt Tirtza, die zwei Kinder hat.
"Ich würde sie aufgeben, absolut. Ohne mit der Wimper zu zucken. Und es ist schwer für mich, das zu sagen, weil ich sie liebe. Sehr sogar." Sagt Doreen, Mutter von drei Kindern.
Wenn Mütter ihr Muttersein so offen wie in dieser Woche bereuen, zucken viele zusammen. Bei Vätern würde man wohl auch zucken – aber eher mit den Schultern. Denn bei Männern scheint es weniger schlimm zu sein, wenn sie ihren Kinderwunsch bereuen. Tut eine Frau das Gleiche, wird darüber diskutiert, ob sie das überhaupt darf. Ihr Recht darauf, selbstbestimmte Entscheidungen zu bereuen, wird in Frage gestellt. Warum eigentlich?
Das enge Korsett dient der Kontrolle
Ein kurzer Blick in die gute alte Feministinnenkiste reicht, um das zu erklären. Laut der französischen Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir sind Frauen in der Schwangerschaft fremdbestimmt durch ihre Biologie. Und dieser biologischen Fremdbestimmung folgt zwangsläufig die gesellschaftliche Fremdbestimmung. Denn Mütter müssen sich in ein enges Korsett pressen lassen, um ihrer Rolle als "guter Mutter" gerecht zu werden. Die Mutterrolle wird bewusst mythisiert – laut Beauvoir ein Mittel des Patriarchats, um Mütter zu kontrollieren, weil sie dann kaum noch Spielraum haben, ihre Rolle selbst zu definieren.
Es mag sein, dass Beauvoir das Bild vom Mann als Unterdrücker fortführt, statt es zu hinterfragen. Dennoch war es revolutionär, darauf hinzuweisen, dass die Rolle der Frau gesellschaftlich konstruiert ist und dementsprechend auch die der Mutter. Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Simone de Beauvoir hat das 1949 geschrieben in ihrem Buch “Das andere Geschlecht”.
Diese Erfahrung am eigenen Leib zu machen, weil man nicht in die Mutterrolle passt und offen die tradierte Vorstellung in Frage stellt, wonach Frauen von Natur aus gerne Mütter seien, grenzt auch 2015 noch an ein Tabu.
Sie lieben die Kinder, aber lehnen die Mutterrolle ab
Diese Frauen sind nicht nur ein bisschen gestresst von ihren umtriebigen Kindern, nein, sie wünschten, sie wären nie Mutter geworden und sie negieren damit das gesellschaftlich konstruierte Narrativ des vermeintlich größten Glücks im Leben einer jeden Frau. Das machen sie sehr differenziert: Denn interessanterweise betonen die Frauen immer wieder, dass auch sie ihre Kinder lieben, obwohl sie die Rolle der Mutter ablehnen – das mag für einige nicht so klar zu trennen sein.
Simone de Beauvoir kommt übrigens zu dem Schluss, dass Frauen diese Rolle nur spielen, um zu überleben. 66 Jahre später wollen einige Frauen offensichtlich nicht mehr mitspielen. Sie wollen selbstbestimmt leben, und das bedeutet eben auch, das Recht auf Reue zu haben. Warum auch nicht?
In den 70er-Jahren lautete die feministische Forderung “Mein Bauch gehört mir”, jetzt könnte es heißen “Meine Reue gehört mir”.
Und damit kommen wir zu der Frage, die eigentlich diskutiert werden sollte: Wer darf sich überhaupt anmaßen, darüber zu urteilen, welche Entscheidungen Frauen bereuen dürfen und welche nicht?
Solange wir das nicht kritisch diskutieren, leben wir in einer Gesellschaft, die Frauen im Allgemeinen und Mütter im Besonderen strukturell diskriminiert. Und das werden wir dann hoffentlich sehr bald bereuen.
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