Kunstprojekt „Armed and Dangerous“

Was Russlands Aggression mit den Ukrainern macht

06:03 Minuten
Eine Demonstration von Ukrainischen Nationalisten in Kiew im Januar 2017
Russlands Aggression seit 2014 habe den Nationalismus in der Ukraine verstärkt, meint der Künstler Mykola Ridnyi. © picture alliance / AP Photo
Von Thomas Franke · 14.03.2022
Audio herunterladen
„What Matters“ heißt eine Ausstellung junger Künstler in Berlin. Mit der Videoinstallation „Armed and Dangerous“ untersucht der ukrainische Künstler Mykola Ridnyi das Verhältnis seiner Landsleute zum Militarismus und zu Waffen.
Dem ukrainischen Künstler Mykola Ridnyi geht es in der Installation „Armed and Dangerous“, die in der Ausstellung "What Matters?" in der Akademie der Künste in Berlin zu sehen ist, vor allem um den Krieg, der seine Heimat seit acht Jahren verändert, und die damit einhergehende Brutalität.

Putin verstärkt den ukrainischen Nationalismus

„Ich denke, dass die russische Aggression eine große Rolle für den Aufstieg des ukrainischen Nationalismus gespielt hat. Die Gesellschaft lebt seit acht Jahren in einem heißen Zustand. Ich bin natürlich gegen radikale Formen des Nationalismus, aber es ist wichtig zu betonen, dass es Putin war, der diese Entwicklung in den letzten Jahren verursacht hat.“
Nationalismus ist Ridnyis Thema. Radikale Nationalisten haben seit 2014 durchaus eine wesentliche Rolle gespielt, wenn es darum ging, die Freiheit und Souveränität der Ukraine zu verteidigen. Sie haben bei den Demonstrationen auf dem Maidan für Demokratie gekämpft. Nationalisten sind 2014 an die Front im Donbas gezogen, um den Vormarsch russischer Kämpfer aufzuhalten.

Kinder, die mit Waffen üben

Mykola Ribnyis Projekt „Armed and Dangerous“ ist mehr eine Plattform als ein Film. Ridnyi bringt ukrainische Künstler und Filmemacher zusammen, zeigt Kinder, die mit scharfen Waffen schießen, paramilitärische Gruppen und queere Menschen, die sich gegen die gewalttätigen Nationalisten wappnen und dabei selbst nicht vor Gewalt zurückschrecken. Die Filmsequenzen ermöglichen eine Reflexion darüber, wie der Krieg im Donbas den friedlichen Alltag in der Ukraine durchtränkt hat.
„Armed and Dangerous“ ist eine Auseinandersetzung mit diesem zahlenmäßig kleinen Teil der ukrainischen Gesellschaft, der in den letzten Jahren immer wieder in den Fokus gerückt ist, auch weil russische Propaganda den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine mit dem Kampf gegen Faschismus begründet. Absurd, schaut man sich den faschistoiden Nationalismus der russischen Führung an. „Armed and Dangerous“ ist ein Beleg für die diskursive Reife der ukrainischen Gesellschaft.

"Militarisierung ist notwendig“

Angesichts der zügellosen und existentiellen Gewalt seit knapp drei Wochen stellt Ridnyi die Frage nach Nationalismus neu.

„Die Hauptidee des Projekts war, dass Krieg ein vergifteter Zustand ist, der nicht von bestimmten Territorien oder geografischen Orten eingerahmt wird, sondern der das friedliche Leben darüber hinaus beeinflusst. Die Militarisierung des Alltags ist ein Teil dieses Problems. In meinem Projekt habe ich mich kritisch damit auseinandergesetzt. Aber seit dem Ausbruch eines sich auswachsenden Krieges 2022 denke ich, dass die Militarisierung der ukrainischen Gesellschaft notwendig ist.“

Ein Krieg, der die Ukrainer vereint

Es geht um nichts Geringeres als das Überleben jedes Einzelnen und mit jedem Einzelnen einer Gesellschaft, die sich nach Jahren der Orientierungslosigkeit in nicht mal drei Wochen gefunden hat.
Zwei Frauen umarmen sich innig
Filmstill aus Christin Bergs "Beyond the Now" – ein Beitrag der Ausstellung "What Matters"© Christin Berg/Akademie der Künste Berlin
„Menschen aus verschiedenen Teilen des Landes mit unterschiedlichen politischen Ansichten und Interessen haben sich gegen einen großen Feind vereint. Menschen, die zuvor Antagonisten waren, wie Nationalisten und Anarchisten und LGBTQ-Aktivisten, kämpfen jetzt gemeinsam. Und ich denke, die Rolle des ukrainischen Nationalismus hat sich dahingehend verändert, dass er jetzt ein befreiendes Phänomen ist. Sein Ziel ist es, die Ukraine als souveränes und demokratisches Land zu retten und ihre Umwandlung in einen totalitären Staat wie Russland zu verhindern. Putin glaubt, er befreie die Ukraine von der nationalistischen Regierung und von der NATO. Aber er hat einen Hass gegen Russen geschürt, wie ihn die Ukrainer nie zuvor hatten.“

Nie eine Waffe in der Hand gehabt

Vereint sind die Ukrainer gegen Russland auch, weil Männer im wehrfähigen Alter das Land nicht verlassen dürfen. Auch Mykola Ridnyi nicht.

„Ich habe ein zwiespältiges Gefühl dabei. Auf der einen Seite weiß ich es zu schätzen, dass es Frauen und Kindern erlaubt wird, als erstes die Grenze zu überqueren. Auf der anderen Seite sind Menschen wie ich, die noch nie ein militärisches Training geschweige denn eine Waffe in der Hand hatten, für die Armee nutzlos. Jeder sollte das tun, was er oder sie besser kann. Ich habe das Gefühl, dass ich die Ukraine viel besser unterstützen könnte, wenn ich durch Europa reiste und dort Kultur- und Solidaritätsaktionen machte.

Das digitale Archiv gerettet

So aber sitzt Ridnyi in Lwiw in der Westukraine und wartet ab. Eigentlich stammt er aus Charkiw, jener Stadt im Osten der Ukraine, die als eine der ersten angegriffen wurde und weiter bombardiert wird. Seit ein paar Jahren lebt er in der Hauptstadt Kiew.

„Ich konnte aus Kiew nur mein digitales Archiv mitnehmen, was natürlich sehr wichtig ist, da ich letztes Jahr hauptsächlich mit Video, Film und Fotografie gearbeitet habe, alles digitale Medien. Aber ich habe auch Skulpturen und materielle Installationsobjekte.“
Mehr zum Thema