Mutig und lethargisch zugleich

Von Christian Gampert |
Jedes Jahr lädt Israel ausländische Theateragenten und Intendanten zum „Theater Exposure“ ein, damit sie sich die neuesten Produktionen des Landes ansehen. Dabei ist die Diskrepanz zwischen kommerziellem und engagiertem Theater groß.
In einem baufälligen Haus in Jaffa sitzt eine stark geschminkte Greisin und bietet uns Tee an. Die Schauspielerin Smadar Yaaron hat sich für diese Rolle erheblich älter gemacht, sie trägt eine merkwürdige Turmfrisur, sie spricht und bewegt sich mit der apathischen Langsamkeit einer israelischen Rentnerin, die die Müdigkeit eines langen Lebens mit sich schleppt. Smadar Yaaron sitzt vor einem Fernsehgerät, und auf dem Monitor erzählt eine alte Palästinenserin von der Nakba, der Katastrophe, der Vertreibung der Palästinenser aus den israelischen Gebieten während des Befreiungskriegs.

„Um Muhamad“, so heißt das Stück, ist eine Parallelführung israelischer und palästinensischer Ängste. Spricht die (echte) Palästinenserin auf dem Monitor von der Flucht der Araber 1948, so erinnert sich die (gespielte) Jüdin an die Flucht vor den Nazis. Spricht die Palästinenserin von ihrer Hoffnung auf Wiederkehr ihrer Kinder, so ist die Jüdin starr vor Schreck: „Sie werden alle wiederkommen“, murmelt sie immer wieder. Das ist die Urangst aller Holocaust-Überlebenden in Israel.

Wer einem ausländischen Publikum solche Stücke zeigt, der hat keine Furcht, die eigenen Schwächen zu benennen. Das israelische Theater ist momentan mutig und lethargisch zugleich, es befindet sich in einem seltsamen Stadium zwischen Experimentierfreude und Entpolitisierung. Wirklich engagiert sind nur noch wenige – wie Smadar Yaaron, die auch Dramaturgie, Timing, Charakteranalyse auf sehr hohem Niveau beherrscht. Nach dem Gaza-Krieg hat eine gewisse Resignation auch die Linke ergriffen, man hält die politische Situation für nicht lösbar – und das Publikum flüchtet sich großenteils in amüsante und entertainende Stücke, sagt auch der Theaterwissenschaftler Gad Kaynar.

„Thematisch würde ich sagen, gibt es hier eine große Diskrepanz zwischen dem kommerziellen Theater (weil leider Gottes die Subventionen sehr, sehr niedrig sind, und deshalb müssen die Theater auch für das große Publikum spielen), und einer Auseinandersetzung, wie man auch bei diesem Festival sehen kann, mit den moralischen Aspekten der politischen Lage.“

Während die freie Szene in Tel Aviv sich in Puppenspielen, Körpertheater und Videoinstallationen ergeht, zieht das einst gewerkschaftsorientierte Beit Lessin Theater das große Publikum an – mit gut gemachten italienischen Komödien wie „La Mandragola“, einem puren Renaissance-Spaßstück über alte Männer, junge Frauen, potenzsteigernde Zaubertränke und bigotte Popen.

Das hat mit Politik rein gar nichts mehr zu tun. Dass das auch anders geht, dass man Spaß und Politik auch verbinden kann, zeigt der Regisseur Eran Tobol am Stadttheater Haifa. „Flufenbach und Zufenheim“ ist eine dadaeske Nazi-Parodie, die mit einem verballhornten Esperanto-Deutsch arbeitet und die Rituale von SA und HJ provokant an die Rituale israelischer zionistischer Organisationen anschließt – und das ist starker Tobak.

Tobol gelingt es mit seiner Inszenierung, repressive Polit-Mechanismen in skurrilen Nonsense zu überführen. Das Spiel mit Kunstsprachen spielt dabei eine Hauptrolle. Eran Tobol:
„Man kann immer einen Brecht oder Shakespeare machen und lernen, wie man sowas korrekt hinkriegt. Aber wir wollen lieber die Grenzen austesten – in Musik, Theater, Körpersprache. In unserem Stück treiben wir es mit der Sprachverwirrung sehr weit: das Publikum versteht ein bisschen was, in Englisch, Deutsch und Hebräisch – aber selbst deutsche Muttersprachler verstehen eigentlich nur Bahnhof.“

Das stimmt. Dafür wird israelischer Ordnungssinn dann fröhlich mit deutschem Humba-Humba verbunden.

„Humba Israäl Jerusaläm...“

Eher still geht es dann in Gilad Evrons „Ulysses on Bottles“ zu, ebenfalls in Haifa zu sehen. Ein verrückter Peacenik versucht, auf einem Teppich von Plastikflaschen durch das Meer nach Gaza zu schwimmen, um die dortige, von der Hamas in Unmündigkeit gehaltene Bevölkerung in russischer Literatur zu unterrichten. Der weltfremde politische Utopist, der im Gefängnis sitzt und irgendwann stirbt, wird mit einer israelischen Oberschicht aus Anwälten und Wohlstandsgattinnen konfrontiert, wobei letztere deutlich den Kürzeren ziehen – allerdings ist der von Itcho Avital grandios gespielte Anwalt eine wunderbar gebrochene Figur.

Der Palästinenserkonflikt wird Israel noch die nächsten hundert Jahre beschäftigen, allen Friedensbemühungen zum Trotz. Das wissen auch die, die das eskapistische Amüsiertheater bevorzugen. Die Festivalgäste aber, viele von ihnen haben israelische Wurzeln, sind relativ angetan von der freien Diskussions- und Theaterkultur dieses Landes. Zum Beispiel Hedy Weiss von der Chicago Sun-Times:

„Wer auch immer das Festival finanziert hat – ich glaube, es war die Regierung – er hat wirklich demokratisches Bewusstsein gezeigt. Es gab totale Freiheit, und sie hatten keinerlei Angst, kritische Positionen zu zuzulassen. Das zeigt einerseits eine gewisse Sicherheit, die Achtung demokratischer Prinzipien und eine faszinierende Spannung, die über diesem ganzen Land liegt .“
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