Desillusion in Israel
Ernüchterung in Israel: Wissenschaftler konstatieren Resignation bei der Linken und eine Entpolitisierung bei der Bevölkerung, die den Konflikt mit den Palästinensern für nicht lösbar hält. Jetzt stürzt man sich, vor allem in Tel Aviv, ins Kulturleben. Aber auch die Künstler selber beschäftigen sich immer mehr mit Problemen, die mit Israel eher wenig zu tun haben.
Wer sich derzeit in Israel aufhält, wird vor allem in Tel Aviv und der Küstenebene ein lebhaftes Kulturleben finden – und eine große Ernüchterung. Nach dem Gaza-Rückzug, der innenpolitisch nur unter großen Mühen durchgesetzt werden konnte, dem darauf folgenden Raketenbeschuss durch die Hamas und dem Gaza-Krieg ist man in Israel zu der Ansicht gelangt, dass ein Ausgleich mit den Palästinensern in absehbarer Zeit nicht realistisch ist. Das glaubt nicht nur der berühmte Mann auf der Straße, in den Cafés, in den Theatern, in den Konzertsälen, das denken vor allem die Intellektuellen – auch die Linken unter ihnen.
Tom Segev, der führende Zeithistoriker Israels und Kommentator der Tageszeitung "Haaretz", sieht es so.
"Alle Umfragen zeigen, dass die Israelis bereit sind, viel zu bezahlen für Frieden. Sie wollen den Frieden, sie beten für den Frieden, aber sie glauben nicht mehr, dass ein Friedensvertrag mit den Palästinensern wirklich möglich ist. Und deshalb sind sie sehr resigniert."
Der Likud und Netanjahu haben in dieser Stimmungslage leichtes Spiel.
"Deshalb haben die rechten Kreise in Israel eigentlich ein sehr starkes Argument: Ihr habt’s ja versucht – ihr habt ja den Palästinensern Gaza gegeben – und jetzt seht, was wir davon haben."
Man zieht sich also zurück ins Private und ins Kulturleben, während die Lebensbedingungen in der Westbank und vor allem in Gaza weiterhin desolat sind. Die Theater in Tel Aviv boomen, auf der alljährlichen "Dance Exposure" im Suzanne Dellal Center zeigte sich ein ganz neuer Trend auch zu Themen, die mit Israel wenig zu tun haben.
Eigentlich ein gutes Zeichen: Die ständige überkritische Nabelschau und Selbstzerfleischung scheint vorerst vorbei zu sein. Andererseits sind viele strukturelle Probleme dieser Gesellschaft nach wie vor virulent – zum Beispiel die Selbstdefinition als "jüdischer und demokratischer Staat". Der Soziologe Natan Sznaider:
"Keiner weiß, was das bedeutet, in einem jüdischen Staat zu leben. Bedeutet das etwas Ethno-Nationales, bedeutet das etwas Religiöses, bedeutet es etwas Kulturelles? Keiner ist sich so wirklich im Klaren darüber, was die Bedeutung eines jüdischen Staates ist, und gleichzeitig mit der Formel "jüdisch und demokratisch", ob sich das jetzt gegenseitig ausschließt oder ergänzt oder ob das ein Nullsummenspiel ist oder ein Summsummenspiel, das ist keinem wirklich klar ..."
Dabei gibt es in Israel eine große Sehnsucht nach Normalität, jedenfalls im säkularen Milieu. Am liebsten würde man ein rein national definierter Staat sein – so wie Frankreich oder England.
"Das ist natürlich eine Illusion. Das geht nicht. Weil Jüdischsein natürlich etwas ganz anderes ist als Finnischsein oder Deutsch- oder Französischsein."
Die ursprüngliche Konzeption eines jüdischen Staates, so wie sie der in Wien lebende Vordenker Theodor Herzl sich ausdachte, sah allerdings so etwas wie einen Vielvölkerstaat vor – zum Schutz der Juden, aber auch aller anderen Bevölkerungsgruppen, sagt Natan Sznaider.
"In Altneuland hat er ja richtig so eine Fantasie, dass Israel so ein aufgeklärtes habsburgisches Reich im Nahen Osten ist, in dem also Juden und Araber unter einer gemeinsamen Definition des Judenseins leben können. Das ist so eine ganz merkwürdige Variante, die er sich da ausgedacht hat. Also für ihn bedeutet der Judenstaat ein Kriterium der Dazugehörigkeit, das eigentlich dem amerikanischen Modell ähnlicher ist als man es sich vorstellt. Und das Modell, das er vor Augen hatte, waren die Habsburger ..."
Von dieser Vision ist die israelische Realität allerdings weit entfernt. Der Soziologe Sznaider glaubt auch nicht mehr an die Zweistaaten-Lösung. Sie sei naiv – man möge sich doch einmal überlegen, wie so ein palästinensischer Staat denn aussehen würde.
"Dieses fast schon Mantra der Zweistaaten-Lösung – oder wenn man sich die Politik in Westbank und Gazastreifen anguckt, müsste man eher von einer Dreistaatenlösung reden ... Der palästinensische Staat wird ausgerufen und der Messias wird kommen und es wird alles gut werden – das ist natürlich nicht der Fall. Obwohl vielleicht ein palästinensischer Staat ... ob er jetzt lebensfähig sein könnte oder nicht, was für eine Art Staat da gegründet würde, das lassen wir jetzt mal dahingestellt sein ... Es geht ja auch darum, inwieweit die Ausübung jüdischer politischer Souveränität von den arabischen Staaten je akzeptiert werden würde. Und meiner Meinung nach ist das für einen großen Teil der arabischen Bevölkerung in diesem Raum nicht akzeptabel, dass es hier eine Ausübung jüdischer politischer Souveränität überhaupt gibt."
Sznaider selber favorisiert ein Modell des "Kosmopolitanen": Juden wie Araber sollten sich mehr als Weltbürger verstehen, als ihre nationale Identität zu pflegen ... Und eine globalisierte Erinnerung an den Holocaust könne auch zu globalisierten Konfliktlösungs-Strategien führen ...
Natürlich weiß der Kultursoziologe Sznaider, dass solche Ideen weit von der Wirklichkeit entfernt sind. Vor allem die arabische Seite wird mit dem Weltbürgertum derzeit wenig anfangen können. Der politische Analytiker Sznaider kommt deshalb zu einem ziemlich illusionslosen Schluss:
"Wir werden damit leben müssen, dass dieser Konflikt ein unlösbarer Konflikt ist. Das ist ganz klar. Das hört sich furchtbar an, weil man in einer aufgeklärten Welt daran glauben muss, dass jeder Konflikt lösbar sein muss. Aber ich denke, dass das einer der Konflikte ist, die vielleicht gemanagt werden können, die mal gewaltvoller und mal gewaltloser sein können, aber lösen in dem Sinn, dass Israel und Palästina so wie Deutschland und Frankreich sein können – ich glaube nicht, dass das je zustande kommt."
Tom Segev, der führende Zeithistoriker Israels und Kommentator der Tageszeitung "Haaretz", sieht es so.
"Alle Umfragen zeigen, dass die Israelis bereit sind, viel zu bezahlen für Frieden. Sie wollen den Frieden, sie beten für den Frieden, aber sie glauben nicht mehr, dass ein Friedensvertrag mit den Palästinensern wirklich möglich ist. Und deshalb sind sie sehr resigniert."
Der Likud und Netanjahu haben in dieser Stimmungslage leichtes Spiel.
"Deshalb haben die rechten Kreise in Israel eigentlich ein sehr starkes Argument: Ihr habt’s ja versucht – ihr habt ja den Palästinensern Gaza gegeben – und jetzt seht, was wir davon haben."
Man zieht sich also zurück ins Private und ins Kulturleben, während die Lebensbedingungen in der Westbank und vor allem in Gaza weiterhin desolat sind. Die Theater in Tel Aviv boomen, auf der alljährlichen "Dance Exposure" im Suzanne Dellal Center zeigte sich ein ganz neuer Trend auch zu Themen, die mit Israel wenig zu tun haben.
Eigentlich ein gutes Zeichen: Die ständige überkritische Nabelschau und Selbstzerfleischung scheint vorerst vorbei zu sein. Andererseits sind viele strukturelle Probleme dieser Gesellschaft nach wie vor virulent – zum Beispiel die Selbstdefinition als "jüdischer und demokratischer Staat". Der Soziologe Natan Sznaider:
"Keiner weiß, was das bedeutet, in einem jüdischen Staat zu leben. Bedeutet das etwas Ethno-Nationales, bedeutet das etwas Religiöses, bedeutet es etwas Kulturelles? Keiner ist sich so wirklich im Klaren darüber, was die Bedeutung eines jüdischen Staates ist, und gleichzeitig mit der Formel "jüdisch und demokratisch", ob sich das jetzt gegenseitig ausschließt oder ergänzt oder ob das ein Nullsummenspiel ist oder ein Summsummenspiel, das ist keinem wirklich klar ..."
Dabei gibt es in Israel eine große Sehnsucht nach Normalität, jedenfalls im säkularen Milieu. Am liebsten würde man ein rein national definierter Staat sein – so wie Frankreich oder England.
"Das ist natürlich eine Illusion. Das geht nicht. Weil Jüdischsein natürlich etwas ganz anderes ist als Finnischsein oder Deutsch- oder Französischsein."
Die ursprüngliche Konzeption eines jüdischen Staates, so wie sie der in Wien lebende Vordenker Theodor Herzl sich ausdachte, sah allerdings so etwas wie einen Vielvölkerstaat vor – zum Schutz der Juden, aber auch aller anderen Bevölkerungsgruppen, sagt Natan Sznaider.
"In Altneuland hat er ja richtig so eine Fantasie, dass Israel so ein aufgeklärtes habsburgisches Reich im Nahen Osten ist, in dem also Juden und Araber unter einer gemeinsamen Definition des Judenseins leben können. Das ist so eine ganz merkwürdige Variante, die er sich da ausgedacht hat. Also für ihn bedeutet der Judenstaat ein Kriterium der Dazugehörigkeit, das eigentlich dem amerikanischen Modell ähnlicher ist als man es sich vorstellt. Und das Modell, das er vor Augen hatte, waren die Habsburger ..."
Von dieser Vision ist die israelische Realität allerdings weit entfernt. Der Soziologe Sznaider glaubt auch nicht mehr an die Zweistaaten-Lösung. Sie sei naiv – man möge sich doch einmal überlegen, wie so ein palästinensischer Staat denn aussehen würde.
"Dieses fast schon Mantra der Zweistaaten-Lösung – oder wenn man sich die Politik in Westbank und Gazastreifen anguckt, müsste man eher von einer Dreistaatenlösung reden ... Der palästinensische Staat wird ausgerufen und der Messias wird kommen und es wird alles gut werden – das ist natürlich nicht der Fall. Obwohl vielleicht ein palästinensischer Staat ... ob er jetzt lebensfähig sein könnte oder nicht, was für eine Art Staat da gegründet würde, das lassen wir jetzt mal dahingestellt sein ... Es geht ja auch darum, inwieweit die Ausübung jüdischer politischer Souveränität von den arabischen Staaten je akzeptiert werden würde. Und meiner Meinung nach ist das für einen großen Teil der arabischen Bevölkerung in diesem Raum nicht akzeptabel, dass es hier eine Ausübung jüdischer politischer Souveränität überhaupt gibt."
Sznaider selber favorisiert ein Modell des "Kosmopolitanen": Juden wie Araber sollten sich mehr als Weltbürger verstehen, als ihre nationale Identität zu pflegen ... Und eine globalisierte Erinnerung an den Holocaust könne auch zu globalisierten Konfliktlösungs-Strategien führen ...
Natürlich weiß der Kultursoziologe Sznaider, dass solche Ideen weit von der Wirklichkeit entfernt sind. Vor allem die arabische Seite wird mit dem Weltbürgertum derzeit wenig anfangen können. Der politische Analytiker Sznaider kommt deshalb zu einem ziemlich illusionslosen Schluss:
"Wir werden damit leben müssen, dass dieser Konflikt ein unlösbarer Konflikt ist. Das ist ganz klar. Das hört sich furchtbar an, weil man in einer aufgeklärten Welt daran glauben muss, dass jeder Konflikt lösbar sein muss. Aber ich denke, dass das einer der Konflikte ist, die vielleicht gemanagt werden können, die mal gewaltvoller und mal gewaltloser sein können, aber lösen in dem Sinn, dass Israel und Palästina so wie Deutschland und Frankreich sein können – ich glaube nicht, dass das je zustande kommt."