Mut zum Bekenntnis

26.10.2011
Der Psychoanalytiker Tilman Moser schrieb 1976 ein Buch mit dem Titel "Gottesvergiftung", das seither zur Standardausrüstung gebildeter Atheisten gehörte. Jetzt erschien sein neues Buch "Gott auf der Couch", und mit dem dürfte der Religionskritiker seine Anhänger irritieren.
Kann uns ausgerechnet Tilman Moser, der 73-jährige Verfasser der sprichwörtlich gewordenen "Gottesvergiftung" von 1976, wirklich Neues über die Behandlung religiös geschädigter Menschen berichten? Der Buchtitel stimmt skeptisch. Ist 30 Jahre nach Eugen Drewermann nicht längst alles Gewölle hervorgewürgt, das eine fromme Höllenangstmache unverdaubar in gläubigen Christenherzen hinterlassen hat?

Tilman Moser überrascht Feind und Freund und Sigmund Freud mit neuen, querständigen Erkenntnissen: "Nicht einmal die klassisch freudianische Psychoanalyse ist heute darauf aus, Religion als Zwangsneurose und Vaterprojektion darzustellen oder den Glauben an Gott als neurotische Schiefheilung anzusehen. Andacht und Spiritualität sind kostbare Fähigkeiten des Menschen, sich und die irdischen Verstrickungen zu transzendieren. Der Therapeut sollte fromm und andächtig sein können, aber er muss nicht gläubig sein. Seine eigene Auseinandersetzung mit dem Kinderglauben sollte hinter ihm liegen, so dass seine Antworten nicht missionarisch werden. So kann der Ungläubige dem religiös Verirrten wieder glauben helfen."

Ist das noch der gallige Tilman Moser von einst? Ja: Der Klappentext, der lakonisch-polemische Stil seiner Einleitung und der witzig böse "Brief an meinen Feind Augustinus" versichern es. Nein: In den Gesprächsprotokollen aus seiner Praxis, in der Schilderung eines Pfarrerworkshops und in den blitzgescheiten, oft sogar anrührend sensiblen Schlussfolgerungen verunsichert der berühmte Religionskritiker seine Fans, wenn er heute sagt: "Die Zurückweisung oder der Missbrauch von `heiligen Gefühlen` hinterlassen einen Schmerz und eine Scham, die es viel schwieriger machen, über solche Probleme zu reden als über Sexualität oder Beziehungsstörungen.

Die Psychotherapie möchte aber dem Patienten die Fähigkeit zur Prüfung zurückgeben, um das Vergiftete vom Heilsamen zu unterscheiden. Was mir seit der `Gottesvergiftung` verschlossen war, ist der eigene Zugang zu einem persönlichen Gott. Aber der Groll ist längst verschwunden; ich glaube den Weg zu einem erträglichen, wenn auch nicht meinem Gott gefunden zu haben. Nicht nur die von Gott Verfolgten suchen Heilung. Auch die, die Gott verfolgen, brauchen Hilfe."

So viel Mut zum Bekenntnis und so wenig Angst vor Vereinnahmung verdienen Applaus, finde ich. Tilman Moser bringt "Gott auf die Couch", indem er drei therapeutische Rollenspiele inszeniert: Patienten reden den imaginierten "Hausherrn" ihrer Welt direkt an oder schlüpfen selbst in die Rolle Gottes oder lassen sich vom Therapeuten in der Rolle Gottes befragen.
Die "entneurotisierende" Wirkung ist verblüffend, die Methode freilich nicht neu: Solche Gespräche stehen schon in den Psalmen der Bibel.

Besprochen von Andreas Malessa

Tilman Moser : Gott auf der Couch. Neues zum Verhältnis von Psychoanalyse und Religion
Gütersloher Verlagshaus, München 2011
223 Seiten, 19,99 Euro
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