Muslimische Predigerinnen in Niger

Vorkämpferinnen mit traditionellem Weltbild

09:36 Minuten
Die Predigerin Malama Sakina, in mauvefarbenes Tuch und Kopftuch gehüllt, sitzt in ihrem Haus vor einer mit Vorhängen gerahmten Nische, in der unter dem Fenster ein Sofa mit vielen kleinen Kissen steht.
Die Predigerin Malama Sakina empfängt Ratsuchende zu Hause oder am Telefon und ist ein gern gesehener Gast in Radio und Fernsehen. © Deutschlandradio / Bettina Rühl
Von Bettina Rühl · 03.10.2021
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In Niger treten immer mehr muslimische Predigerinnen in Radio und TV auf. Vor 25 Jahren war das noch ungewöhnlich, konservative Männer leisteten Widerstand. Dabei predigen die Frauen keine Emanzipation – sondern die Rückkehr zu Mann und Familie.
Auf dem Bildschirm erscheint Hajiya Bilkisu Abubakar Sambo. Die Moderatorin des Fernsehsenders "Sunna TV" ist in ein weites graues Gewand gehüllt, das jede Haarlocke bedeckt. Im Hintergrund des Fernsehstudios ist eine mit Ornamenten reich verzierte Kulisse aufgebaut, die an eine Moschee erinnert. Als Gast im Studio begrüßt sie eine weitere Frau: eine Predigerin oder "Malama", wie es in der Landessprache Haussa heißt. Das Thema der Sendung: Wie es möglich ist, einander zu unterstützen und friedlich zusammenzuleben.

Eine kleine Revolution auf dem Bildschirm

Westlich geprägten Zuschauerinnen und Zuschauern fällt vermutlich vor allem die strenge Kleidung der beiden Frauen ins Auge. Abdoulaye Sounaye vom Leibniz-Zentrum Moderner Orient in Berlin dagegen sieht tiefer. Er erkennt im Auftreten der Fernsehpredigerinnen Anzeichen für eine kleine gesellschaftliche Revolution. Denn die Zahl der Radio- und Fernsehpredigerinnen habe in den vergangenen zehn bis 15 Jahren drastisch zugenommen, erklärt der nigrische Wissenschaftler.
"Die Frage ist, was da gerade mit der Gesellschaft passiert", sagt Sounaye. "Was verändert sich in den Geschlechterverhältnissen? Was bedeutet das für die Stärkung bestimmter sozialer Kategorien? Wenn ich bedenke, von welchen Erfahrungen mir Gesprächspartnerinnen während meiner Forschung berichtet haben, dann würde ich definitiv sagen, dass die Frauen derzeit durch religiöse Organisationen und religiöse Aktivitäten gestärkt werden."

Eheberatung zu Hause und am Telefon

Ein Besuch bei Malama Sakina zu Hause. Sie ist eine der Predigerinnen, die in der nigrischen Öffentlichkeit sehr präsent sind. Donnerstags empfängt die 45-Jährige Besucherinnen in ihrer großzügigen Villa in einem der besseren Wohnviertel von Niamey, der Hauptstadt Nigers. Donnerstage sind nach dem muslimischen Wochenkalender sozusagen die Samstage, an diesem Tag haben viele Menschen etwas mehr Zeit als während der Woche.
Am Telefon meldet sich eine Frau und bittet darum, vorbeikommen zu dürfen. Malama Sakina beschreibt ihr den Weg. Die Ratsuchende war noch nie bei ihr, sie muss Sakinas Namen als Tipp von jemand anders bekommen haben. Die Nachfrage sei groß, bestätigt die Predigerin: "Die Frauen, die zu mir kommen, haben meist Probleme in der Ehe. Sie vertrauen sich mir an, suchen nach Lösungen."

Von der Arabischlehrerin zur Gründerin einer Koranschule

Malama Sakina predigt Nachgiebigkeit, Geduld und Verständnis für den Ehemann. Neben diesen persönlichen Sprechstunden lehrt die Islamwissenschaftlerin, Arabischlehrerin und Mutter von vier Kindern regelmäßig in einer so genannten "Makaranta", einer Koranschule für Frauen, die sie 2014 gegründet hat. Zuvor hat sie in der sudanesischen Hauptstadt Khartum studiert.
Die Predigerin Malama Sakina trägt ein mauvefarbenes Tuch und Kopftuch.
Malama Sakina gründete eine Koranschule für Frauen, seither bekommt sie häufig Medienanfragen, um zu gesellschaftlichen Themen Stellung zu nehmen.© Deutschlandradio / Bettina Rühl
"Als ich mit dem Abschluss in der Tasche zurückkam, habe ich mir gesagt: Ich bin jetzt dazu ausgebildet, Erwachsenen Arabisch beizubringen", erzählt Sakina. "Hier in Niger bin ich mit diesem Wissen genau am richtigen Ort, warum also nicht? Und ich habe die Makaranta eröffnet, eine Koranschule für erwachsene Frauen."
Schon bald bekam sie Sendezeit im Radio, dann auch im Fernsehen: "Am Anfang hatte ich eine eigene Sendung, aber jetzt werde ich in unregelmäßigen Abständen zu Fernsehdebatten eingeladen. Dabei geht es meist um aktuelle Themen von nationaler Bedeutung."

Viel Gegenwind von konservativen Männern

Allerdings sind damit nicht politische Themen gemeint, sondern alles, was mit Frauen, Kindererziehung, dem Verhalten gegenüber dem Ehemann zu tun hat. Noch immer bleibt es nicht unwidersprochen, wenn Malama Sakina und andere Predigerinnen im Fernsehen auftreten. Aber das sei kein Vergleich zum Widerstand, den es anfangs gegen sie gab, erzählt sie.
"Natürlich haben sich nicht alle Männer widersetzt, aber einige schon. Manchmal waren wir kurz davor, aufzugeben. Aber dann haben wir uns gesagt, dass es besser ist, den Druck auszuhalten, um auf unsere Gesellschaft einwirken und sie disziplinieren zu können, als uns aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen."

Salafismus auf dem Vormarsch in Westafrika

Wer vom Widerstand der Männer hört, könnte meinen, die nigrischen Frauen hätten Emanzipation und Revolte gepredigt. Das Gegenteil ist der Fall. "Wir haben uns umgeschaut und überall den Verfall der Sitten gesehen", sagt Malama Sakina. "Daraufhin haben wir uns gesagt: Die Rolle der Frau ist es, Mutter zu sein. Wir müssen den Mund aufmachen und das verbreiten. Das hat uns den Mut gegeben, weiter zu predigen."
Abdoulaye Sounaye, mit Brille in einem schwarzen Pullover, sitzt im freien vor einer weiß gekalkten Hauswand, im Fenster hinter ihm spiegeln sich Autos und grünes Blattwerk. 
Der Religionswissenschaftler Abdoulaye Sounaye sieht den Erfolg der Predigerinnen in Niger getragen von konservativen Strömungen in der Gesellschaft.© Deutschlandradio / Bettina Rühl
Das Frauenbild von Malama Sakina und den übrigen Predigerinnen entspricht ihrem Verständnis nach buchstabengetreu dem Koran. Damit steht die nigrische Frauenbewegung in einem gesellschaftlichen Kontext: Der Salafismus, eine ultrakonservative Strömung des Islam, ist in einigen westafrikanischen Staaten auf dem Vormarsch. Sein Ziel ist die Rückbesinnung auf die Wurzeln des Islam.

Rückkehr zu einem traditionellen Rollenverständnis

Das Ziel der Predigerinnen ist also nicht mehr Freiheit für die Frauen, sondern die Rückkehr zu einem konservativ muslimischen Rollenverständnis. Die Predigerin Malama Houda bringt das auf den Punkt. Die 65-jährige Arabischlehrerin war vor 25 Jahren eine der ersten, die eine Bühne in den elektronischen Medien bekamen. Einmal, sagt sie, sei eine Frau von den Vereinten Nationen nach Niger gekommen, um über Frauenrechte zu diskutieren.
"Am Ende hat sie einen Text von 200 oder 300 Seiten hinterlassen und gesagt: Das sind die Rechte der Frauen. Kaum, dass sie weg war, hat jemand gesagt: Da fehlt noch was. Wir müssen etwas ergänzen. Die nächste kam und hatte auch noch etwas anzumerken, was fehlte. Im Unterschied dazu gab es an unserem Buch, also dem Koran, seit Beginn der islamischen Zeitrechnung vor 1442 Jahren keine Veränderung."

Unpolitisch und doch politisch

Orientierung also an lange Vergangenem. Dabei wurde die neue gesellschaftliche Sichtbarkeit der Frauen nur durch die technische Entwicklung ermöglicht, nämlich die elektronischen Medien. Malama Huda und einige andere frühere Predigerinnen waren zwar schon vereinzelt in den wenigen staatlichen Sendern aufgetaucht, doch der eigentliche Boom begann mit dem Aufkommen der vielen privaten Sender in den 1990er-Jahren.
Immer wieder betonen die Predigerinnen, dass sie nicht über Politik sprechen, nicht über die Sphäre, die sie als Reich der Männer verstehen. Abdoulaye Sounaye vom Berliner Leibniz-Zentrum Moderner Orient erkennt in ihrer Bewegung trotzdem etwas Politisches.
"2005 trat das Protokoll von Maputo in Kraft, das Frauen in Afrika mehr Rechte in der Öffentlichkeit und in der Politik einräumen sollte. Die ersten, die das Protokoll von Maputo anfochten, waren islamische Frauenorganisationen. Malama Huda war eine der Anführerinnen dieser Bewegung."

Kritik am Frauenbild des Westens

Malama Huda ist bis heute davon überzeugt, dass es Frauen in der islamischen Gesellschaft besser geht als Frauen in der westlichen Welt. Bei Besuchen in Kanada und den USA sei ihr aufgefallen, dass Frauen immer gehetzt wirkten, wie Roboter arbeiten müssten. Ganz anders schildert sie die Rolle, die der Koran Frauen zuschreibe.
"Eine Frau ist wie eine Prinzessin, der Ehemann muss für alles aufkommen. Falls sie ein eigenes Einkommen hat, vielleicht sogar viel mehr verdient als ihr Mann, muss der Mann für die Miete aufkommen. Sie darf ihr Einkommen für sich behalten. Auch die Ausbildung der Kinder muss der Mann bezahlen, alles lastet auf dem Mann."
Für westliche Beobachter ist es eine widersprüchliche Entwicklung, die sich derzeit in Niger vollzieht: Frauen werden als Predigerinnen und Autoritäten des Islam sichtbarer – und predigen gleichzeitig eine Tradition, die sie an ein Rollenverständnis als Mutter und Hausfrau bindet. Sie haben mit dieser Rolle kein Problem, sie erscheint ihnen ganz im Gegenteil Gott wohlgefällig zu sein.
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