Eine Mehrheit aller Amerikaner und Amerikanerinnen glaubt, dass die Muslime mehr Diskriminierung erfahren, als die Angehörigen anderer Religionen, speziell als Christen oder Juden. Gleichzeitig ist aber das Verhältnis vieler Amerikaner gegenüber den muslimischen Amerikanern distanzierter, unterkühlter als gegenüber den beiden anderen Religionen.
Muslime in den USA
Demonstration 2018 gegen den "Muslim Ban" der Trump-Regierung: ein Gesetz, das für Menschen aus 13 überwiegend von Muslimen bewohnten Ländern faktisch ein Einreiseverbot bedeutet hat. © picture alliance / Pacific Press / Erik McGregor
Little Kurdistan in Nashville
23:13 Minuten
In Nashville wohnen 15.000 Muslime aus der Türkei, Syrien, Irak und Iran. Seit dem 11. September 2001 und der Trump-Ära sehen so manche weiße US-Amerikaner in ihnen nur noch ein Sicherheitsrisiko. Wie lebt es sich mit diesen Vorurteilen?
Wohnhäuser im Bungalowstil, elegante Designerboutiquen, die bekannte Wandmalerei "I Believe in Nashville", vor der sich Touristen gerne fotografieren lassen, der Sevier Park. 12 South heißt das Viertel, südlich von Downtown. Mittendrin: Das ICN, das Islamic Center of Nashville, eines von elf muslimischen Zentren der Stadt, zugleich das älteste.
Vor dem Haus, vor der Moschee, wird gerade die Straße aufgerissen. 1978, so heißt es auf der Webseite des INC, in dem Bemühen gegründet, zur Erhaltung des spirituellen Wohlbefindens seiner Mitglieder beizutragen und ein größeres und besseres Verständnis zwischen Muslimen und Menschen anderer Glaubensrichtungen zu fördern. Erbaut damals für 40 Mitglieder, mit einer großzügigen Spende von Yusuf Islam, auch bekannt als Cat Stevens, englischer Singer-Songwriter, der zum Islam konvertiert war.
45.000 Muslime in Mittel-Tennessee
Ossama Bahloul ist der Imam der Gemeinde. Das INC, sagt die Webseite, repräsentiert eine vielfältige Gemeinschaft mit Mitgliedern aus allen Gesellschaftsschichten sowie aus über 40 Nationalitäten. 45.000 Muslime gebe es in Nashville und Mittel-Tennessee, sagt der Imam, Nashville sei darüber hinaus die größte kurdische Community mit 15.000 Mitgliedern.
Ossam Bahloul, 48, verheiratet, drei Kinder, seit 24 Jahren in den USA, kam aus Al-Mansoura, Ägypten:
„Wie ich mich gefühlt habe, als ich kam, kann ich gar nicht mal sagen: Normal, aufgeregt, sorgenvoll. Ich sprach, das kam dazu, kein Wort Englisch. Wenn du von einem Land in ein anderes gehst, ist das ein Experiment, das Zuhause, das du nicht mehr verstehst, verlassen, und dennoch vermissend, was erwartet dich? Ein körperliches Gefühl für viele.“
„Unwillkommen – der Nachbar von nebenan“
Er landete im Bible Belt, kaum übersetzbar mit Bibelgürtel, evangelikaler Protestantismus als integraler Bestandteil der Kultur. Nashville ist weiß. Wobei: Nashville ist liberal, Nashville wählt epochal demokratisch, während Tennessee republikanisch ist. Die faire Aussage sei, so Bahloul:
"Die meisten glauben an Gott und praktizieren eine Art Frühstücksreligion. Wunderbare Menschen. Die Mehrheit ist sympathisch. Wir sind glücklich mit ihnen, sie sind glücklich mit uns. Manche hätten allerdings ein, nun, ein Anliegen: Wo kommt ihr her? Was ist das für ein Land, aus dem ihr kommt? Ich habe eine Zeit lang in Murfreesboro gelebt, 30 Minuten von hier. Ich habe dort versucht, ein Islam-Zentrum aufzubauen. Das war eine bewegende Zeit, selbst CNN hat eine einstündige Dokumentation darüber gebracht mit dem Titel: Unwillkommen: Der Nachbar von nebenan. Das gibt Ihnen einen Eindruck der Opposition durch eine Minderheit.“
Das war 2010. In den folgenden zwei Jahren war das Moscheegelände Vandalismus und Brandstiftung ausgesetzt. In einem Wahljahr war das Zentrum Gegenstand verschärfter politischer Rhetorik, Rhetorik auch gegen Barack Obama, eine Einwohnerin Murfreesboros sagte: "Jeder weiß, dass sie versuchen, uns umzubringen. Jemand muss aufstehen und dieses Land zurückerobern." Der Imam ist diplomatisch:
"Wir haben Gegenden im Land, in denen es Rassismus gibt. Unglücklicherweise. Hier und da sind es höhere Prozentzahlen als anderswo, aber ich möchte sagen, ich meine, wir sind eine kleine, aufgeweckte Gruppe. Gibt es Bedenken von gewissen Teilen gegen Muslime? Ja. Meinen Sie, Muslime fühlen sich überall dort, wo sie sind, wohl? Tut sie nicht. Aber Nashville ist anders."
Knapp zwei Millionen Einwohner in der Metropolitan Area. 700 Kirchen, der protestantische Vatikan. Athen des Südens, Heimat von 24 postsekundären Bildungseinrichtungen. In der Stadt ist Geld, neue Hochhäuser mitten in der Innenstadt, gute Restaurants, neue Museen. Music City, weltweite Heimat der Country-Musik.
„In Nashville musst du Country-Musik mögen“
Nebenbei: Mag Bahloul Country-Musik? Ein bisschen, antwortet er diplomatisch. "Wenn du in Nashville lebst, musst Du Country-Musik mögen, sonst kommst du in Schwierigkeiten. Ich mag klassische Musik."
Wie Nashville noch genannt wird: Little Kurdistan. Aber wo ist Kurdistan? In der Türkei, in Syrien, im Irak, im Iran? "Wenn sie sagen, sie seien aus Kurdistan, ja, welches Kurdistan? Es geht um die gleiche Sprache und die gleiche Kultur. Und die Muslime vom Subkontinent? Aus Indien, Pakistan, Bangladesch?" Die seien eigentlich verfeindet bis aufs Blut. "Hier nicht."
Vor dem Islamic Center of Nashville, ein paar Besucher, einer aus Syrien, einer aus dem Irak, einer aus Kuwait. "Ich denke, ihr habt eine gute Anzahl von Muslimen auch in Deutschland?", fragt einer. Haben wir. Wie es denen denn geht, möchte er wissen. Gute Frage. "Hat ihnen noch niemand erzählt, dass sie für 9/11 verantwortlich seien?" – "Nein."
Die Strecke von Downtown Nashville nach Little Kurdistan im Süd-Osten beträgt sechs Meilen, knapp zehn Kilometer. Mit dem Bus dauert das 30 Minuten. Der klapprige Bus ist leer, nur zwei Obdachlose, die ihn benutzen. Niemand fährt Bus.
Prominente politische Ämter besetzen die Muslime nicht, und darüber hinaus waren sie historisch gesehen lange Zeit republikanische Wähler und Befürworter der US-amerikanischen Außenpolitik. Bis 9/11 und bis Trump. Zwischen Integration und Terrorverdacht.
Little Kurdistan liegt an einem Einkaufszentrum
Im Gegensatz zu anderen Enklaven in Großstädten wie Chinatown oder Little Italy konzentriert sich Little Kurdistan um ein Einkaufszentrum. Doch das Einkaufszentrum ist eher eine an einem Parkplatz gelegene Ansammlung von Warenhandel. Der Newroz Market, der Azadi International Food Market, der Albaghdadia Clothing Store, der Mazi International Food Market, der Al Rasoul Market mit angeschlossenem mediterranen Restaurant, hervorragende heimische Küche, das Gorilla's Muffler Center, eine Autowerkstatt. Und eben die Moschee, das Salahadeen Center. Nawzad Hawrami, dessen Office Manager und bekannter Muslim Nashvilles, ist nicht da.
Am Rande des Parkplatzes eine niedrige, zwei Meter breite Backsteinwand auf blauem Grund. Auf dem Mäuerchen in kleinen horizontalen Lettern das Wort LITTLE, diagonal in großen Lettern das Wort KURDISTAN.
Hamad und Mejibh aus Afghanistan: Sie kommen aus einer völlig andere Kultur, alles ist anders. Ob sie zurück nach Afghanistan wollen? Nein, nein, nicht jetzt, irgendwann später, aber nicht jetzt, wegen der Taliban.
Kamal aus dem irakischen Kurdistan ist Inhaber des Azadi International Food Market: Brot, Gewürze, Dosen, Reis, Süßigkeiten, alles ist da.
60 Prozent der Muslime erfahren Diskriminierung
Gut 60 Prozent der Muslime in den USA gaben in Umfragen an, dass sie – bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen, in Restaurants oder am Arbeitsplatz – diskriminiert worden seien. Und Donald Trump machte mit dem „Muslim Ban“, der Einreisesperre für Bürger aus sieben überwiegend muslimischen Staaten, 2017 die Diskriminierung zur Regierungspolitik. Noch einmal Kamal, US-amerikanischer Staatsbürger:
„Wir haben ihn hinter uns gelassen. Jeder hat seine Meinung, die muss man respektieren. Manchmal gibt es Missverständnisse. Das ist inakzeptabel, andererseits aber akzeptabel. Wenn wir uns gegenseitig kennen würden, könnten wir zu einem Fazit kommen: nämlich, dass du das falsche Urteil über mich gefällt hast.“
Ein paar Schritte weiter, vor der Autowerkstatt, steht ein Mann mit zwei Uhren um die Hand, die er verkaufen will. "Wir haben sehr viele Probleme", sagt er. "Wenn ich könnte, wurde ich dieses Land verlassen, und ich empfehle meinen Landsleuten, auch nach Hause zu gehen. Ich empfehle den Abgang.“
Eine Gruppe Frauen betritt die Moschee, durch einen Seiteneingang, so sieht es die Sitte vor. Frauen möchten generell nichts sagen.
Die erste Muslima mit Kopftuch
Nolensville Pike liegt fünf Minuten von Little Kurdistan entfernt. Hier lebt Sabina Mohyuhiddin. Sie ist 50 Jahre alt und die Direktorin des American Muslim Advisory Councils. Ihre Eltern kamen aus Bangladesch. Als Direktorin des American Muslim Advisory Council, gegründet 2012, kümmert sie sich um Diskriminierung, um generelle Vorurteile gegenüber Moslems. Sie beschäftigt sich mit Stereotypen, mit Xenophobie und Islamophobie und möchte die große, ökonomisch vielschichtige Gemeinde unterschiedlicher Nationen zusammenhalten. Durch ziviles Engagement, sagt sie.
„In der Schule war ich die erste Muslima, die ein Kopftuch trug. Nun, so viele Muslime gab es in dieser Schule nicht. Aber in den 80er-Jahren schien es ein Novum zu sein, kurios, einige dachten, die ist gerade in den USA angekommen.“
Sie habe, sagt sie, einige Treppen hinauf krabbeln müssen. Und sie lebe auf dem Land, christliche Gegend. Manchmal denke sie daran, dass sie ein Kopftuch trage, manchmal nicht. Es gebe im Land so eine Art Backlash, Rückschlag. Ob schon Gewalt gegen sie ausgeübt wurde? Persönlich nicht, nein, antwortet sie.
„Wir wissen, dass das passiert, je größer die Städte, desto mehr Zwischenfälle.“
Ihr Vater war Psychologe, ihre Mutter Erziehungswissenschaftlerin. Somit gebildet. Wie aber nun ist die Situation? Sabina Mohyuhiddin antwortet:
"Es gibt gute und schlechte Menschen. Und einige sind zum gewissen Teil xenophob, sagen, der oder die hat etwas Unerlaubtes getan, weil sie oder er Muslim ist, und dadurch per se verdächtig. Wenn ein Christ etwas tut, wird er niemals mit dem christlichen Schicksal in Zusammenhang gebracht werden. Einen Christen würde man nie Fragen stellen: In welche Kirche gehst du? Einen Muslim fragt man: Welche Moschee besuchst du? Das heißt, die ganze Moschee steht vielleicht unter Ermittlung. Daraus ergibt sich Diskriminierung am Arbeitsplatz, in der Schule oder durch Zufall auf der Straße. Und ein Teil davon ist wiederum Islamophobie. Wir müssen diesen ´Muslim Bann` haben, so Donald Trump, weil wir nicht wissen, wer kommt. Das führt zu Diskriminierung, das führt zu Schwierigkeiten in der Schule, wir arbeiten daran. Wir fragen: Wie versteht ihr eure Nachrichtenvermittlung, was versteht ihr unter der muslimischen Gemeinde? Um sicherzustellen, dass da in der Öffentlichkeit kein Stereotypenmix entsteht. Wir schaffen ein Rahmenwerk, wie die anderen mit der muslimischen Gemeinde umgehen.“
Ein Drittel der Muslime unter der Artmutsgrenze
Neun Moscheen in Nashville. Alles, was sich gegen sie bewege, habe Ähnlichkeit mit der Situation der Afro-Amerikaner. Zudem seien ein Viertel der Afro-Amerikaner schwarze Muslime. Und: Kam der Bartender, kamen die Reinemachefrauen früher aus Mittel- und Südamerika, kommen sie heute aus muslimischen Ländern. In Nashville lebten ein Drittel der Muslime unter der Armutsgrenze, sagt Mohyuhiddin. Doch nur wenige geben es zu.
"Wenn man sie fragt, sagen sie: Nein, nein, alles in Ordnung. Das schmerzt unsere Gemeinde. Denn nicht jedem geht es gut, die Menschen kommen von überall her, mit unterschiedlichen Hintergründen. Manche als Touristen, manche, um eine Ausbildung zu machen, einige als Flüchtlinge, andere als Arbeiter, wieder andere, weil sie gedrängt worden sind, ihre Heimat zu verlassen. Verschiedene Aspekte, weil die ökonomischen Grundlagen verschieden sind.“
Wie auch immer: Der Kulturschock ist enorm. Doch was steht außen an ihrer Tür? No hate, hope:
„Das Beste, was wir machen können, ist es zu versuchen. Die Herausforderungen anzugehen, die Zweifel zu überwinden. Seit 9/11 stellen sie sich diesen Aufgaben, sie verknüpfen sich mit anderen in Fragen der sozialen Gerechtigkeit, und das gibt mir eine Menge Hoffnung, dass die jüngere Generation wortgewaltiger und organisierter ist, selbst die Älteren verstehen inzwischen: Wir können nicht mehr ruhig sein. Das gibt mir Hoffnung.“