Musiktheater-Projekt "Reading Salomé"

An der Dragqueen gründlich verhoben

Ein als Frau verkleideter Mann mit einer Glaskugel in der Hand steht vor einem sehr bunten Bild mit einem Pfau.
Szene aus dem Musiktheater-Projekt "Reading Salomé" von Johannes Müller und Philine Rinnert in den Sophiensaelen Berlin © Sophiensaele/Florian Krauss
Von Dieter David Scholz · 08.10.2015
Das Musiktheater-Projekt "Reading Salomé" in den Berliner Sophiensaelen will die Monströsität der "Salomé" in der Oper von Richard Strauss' Oper durch Travestie entlarven. Doch das Infragestellen traditioneller Geschlechterrollen misslingt. Eine vertane Chance.
Die Oper Salomé von Richard Strauss wurde seit ihrer Uraufführung 1905 als "monströs" bezeichnet: Wegen der rauschhaften Musik, die in bis dahin kaum gehörte Bereiche führte, aber auch, weil sich in der Protagonistin die Angst- und Lustfantasien der Zeit bündelten. In ihrem neuen Musiktheaterprojekt in den Berliner Sophiensaelen konfrontieren Johannes Müller und Philine Rinnert Richard Strauss' Oper "Salomé" mit Techniken des "Drag".
Schon William Shakespeare verstand "drag" als "dressed as a girl" ("als Mädchen gekleidet"). "Doing drag" (das englische Wortes "drag" heißt so viel wie "schleppen", im Sinne des Hintersichherziehens einer Schleppe), meint, mit der Kleidung seine Geschlechterrolle zu wechseln. Eine Dragqueen ist ein Mann, der durch übertriebene Verkleidung, Maskierung, Kostümierung und Verhalten eine Frau darstellt. Dragqueens sind die Diven und die Gallionsfiguren der Schwulenszene.
Bloße Lippenbekenntnisse
Im besten Falle ist "Doing drag" kein Selbstzweck, sondern ein artifizielles Mittel, um auf die Fragwürdigkeit traditioneller Rollenbilder und Geschlechtsklischees aufmerksam zu machen und sie durch Übertreibung ad absurdum zu führen. Leider gelingt das den vier Darstellern (Hauke Heumann, Bianca Fox, Shlomi Wagner, Cian McConn) der Performance nicht, da sie im bloß Imitatorischen steckenbleiben, tuntig selbstverliebt die Salome-Sängerin pantomimisch bloß nachahmen.
"Reading Salomé", so die Veranstalter, sollte heißen, Salomé zu "lesen", also zu durchschauen, ihre Monströsität durch Travestie zu entlarven. Dazu bedürfte es aber weit mehr Distanz und karikaturistischer Begabung, als in der Veranstaltung geboten wurde. Auch die zwischendurch "gelesene", reichlich verquaste, feministisch angehauchte Partituranalyse der Salomé konnte weder zu Erhellung noch zu Erheiterung beitragen.
Johannes Müller und Philine Rinnert kündigten an, Richard Strauss' Oper Salomé mit Techniken des Drag zu einer Abhandlung über die Exotik und Erotik der Oper zu machen, um die Frage zu beantworten, ob es eine Befreiung sein könnte, ein Monster wie Strauss' Salomé zu sein. Sie versprachen eine Revue aus opulenten Salomé-Reenactments, musikalischer Werkanalyse und Archiv-Dokumenten! Es blieb bei bloßen Lippenbekenntnissen.
Keine neuen Erkenntnisse
Man hat sich gründlich verhoben an der Steilvorlage des Musikdramas von Oscar Wilde und Richard Strauss, das als beeindruckende Tonkonserve eingespielt wurde, - im Wesentlichen die Aufnahme Herbert von Karajans mit der jungen Hildegard Behrens. Aber auch eine Szene der legendären Salomé-Interpretin Ljuba Welitsch ist zu hören.
Der Einfall, eine der Fernsehsendungen "DaCapo" zu parodieren, in denen August Everding in den 70er- und 80er-Jahren berühmte Sänger einlud und interviewte, auch Ljuba Welitsch, geriet zur Peinlichkeit. Und warum Barbara Streisand zwischendurch den Song "Don't Rain on My Parade"aus dem Broadway- Musical "Funny Girl" singen darf, ist so überflüssig wie das Verlesen eines Briefes von Richard Strauss über die Besetzung seiner "Salomé". Alles in allem eine vertane Chance. Nichts Neues an "Salomé"-Erkenntnissen durch "Drag".

"Reading Salomé" läuft noch bis 11. Oktober 2015 in den Sophiensaelen Berlin. Mehr Informationen auf der Webseite der Sophiensale.

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