Die Salome des 20. Jahrhunderts

Von Stefan Zednik · 08.07.2012
Die aus dem Ruhrgebiet stammende Sopranistin Christel Goltz war für viele Jahre eine der führenden hochdramatischen Stimmen rund um den Globus. Sie bevorzugte die vielfach gebrochenen Frauenfiguren. Mit ihnen trat sie weltweit auf. Die Radikalste unter ihnen ist die Figur der Salome von Richard Strauss.
Ohne Einfluss auf ihre spätere Berufswahl war die Herkunft von Christel Goltz sicher nicht: Sie entstammt einer Familie von Hochseilartisten. Das "Goltz-Trio" reiste zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den damals größten Zirkusunternehmen durch die Welt, und beinahe wäre das jüngste von acht Kindern auf dem Schiff geboren worden. Man schaffte es gerade noch ins heimische Dortmund, wo Christel Goltz am 8. Juli 1912 das Licht der Welt erblickt. Beide Eltern sterben früh, das Mädchen lebt zunächst bei den Geschwistern, entscheidet sich jedoch, einen eigenen künstlerischen Weg zu gehen. Mittellos zieht sie mit 19 Jahren nach München, um in der Ballettschule Ornelli eine Ausbildung als Tänzerin zu beginnen.

"Ich habe gelernt und getanzt und habe dabei gesungen und da sagte die Anna Ornelli 'Sagen Sie mal Sie haben doch eine ganz nette Stimme! Sie müssen meiner Schwester vorsingen, die ist doch Gesangslehrerin, singen Sie ihr doch mal vor!' Und sie lädt mich ein zum Vorsingen und sie ist ganz erstaunt, ich sing' selbstverständlich, es war überhaupt kein Problem sie sagte gleich 'Fräulein Goltz, Sie sind eine Begabung, ich weiß, nicht wie lange Sie studieren werden, ich stunde Ihnen das Honorar und sind Sie im ersten Engagement, dann zahlen Sie es mir'."

Und dieses kommt dann auch: Im Alter von 23 Jahren wird Christel Goltz nach Fürth engagiert, für Chor und Ballett. Nach kurzer Zeit folgt Plauen, wo sie bereits in größeren Solopartien debütiert. Von dort ist es nicht weit nach Dresden, einem der damaligen Zentren der europäischen Opernlandschaft. Der anpassungsbereite Österreicher Karl Böhm hat dort den Posten des von den Nationalsozialisten vertriebenen Fritz Busch übernommen, und er formt das später zur Legende werdende Dresdner Ensemble. Das Jetzeitalter der gastierenden Stars ist noch fern, Präsenz vor Ort, genaue Probenarbeit und ein sorgfältiger Umgang mit noch in Entwicklung befindlichen Sängern das künstlerische Credo. Von 1936 bis 1940 singt Christel Goltz kleinere Rollen, doch dann erobert sich die erst 28-Jährige jene dramatischen Partien, die ihren Weltruhm begründen sollten.

"Abscheulicher, wo eilst Du hin? Was hast Du vor? Was hast Du vor in wildem Grimme ?"

Der ebenso brillanten wie voluminösen Stimme ist dabei eine heute selten gewordene Textverständlichkeit eigen, die Christel Goltz zum Prototyp eines Künstlers macht, den es eigentlich noch nicht gibt: den Sängerdarsteller.

"Man soll sich nicht einreden lassen man muss das und das singen, sondern man muss das singen, was man empfindet, was man kann und was man in die Stimme bringen kann, formen kann, mit der Stimme. Man muss formen können, und vor allen Dingen gut sprechen dabei, man muss es ja verstehen."

Nach dem Ende des Krieges bleibt sie Dresden treu, bis sie 1951 im Gefolge Böhms Mitglied der Wiener Staatsoper wird. In dieser Zeit beginnt ihre Weltkarriere, die sie bis nach New York, Buenos Aires und Tokio führt. Dabei ist es die Einheit von stimmlicher und darstellerischer Intensität, die Publikum und Kritik beeindrucken. Ob Richard Wagners Senta oder Isolde, die Marie aus Alban Bergs "Wozzeck" oder die Elektra von Richard Strauss: Es sind die interessanten und vielfach gebrochenen Frauenfiguren, die sie bevorzugt und mit denen sie weltweit auftritt. Die psychologisch extremste, radikalste von allen ist die Salome von Strauss. Den dort geforderten, oftmals von einer Tänzerin gedoubelten "Tanz der sieben Schleier" tanzt sie stets selbst, und sie protestiert wütend als Herbert von Karajan bei einer Produktion in Mailand eine Balletttänzerin einsetzt. 1970 beendet sie ohne großes Aufsehen und noch bei guter Stimme ihre Bühnenkarriere, 2008 stirbt im Alter von 96 Jahren mit Christel Goltz eine Sängerin, die vielen als die Salome des 20. Jahrhunderts gilt.

"Ja! Ich werde ihn jetzt küssen, Deinen Mund, Jochanaan."