Musikfest Berlin: Orchestre Philharmonique de France

Plapperndes Orchester und atmende Wellen

103:14 Minuten
Solist und Dirigentin nehmen gemeinsam Beifall entgegen.
Das Konzert mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter der Leitung von Mirga Gražinytė-Tyla und dem Solisten Antoine Tamestit (Viola) wurde begeistert vom Berliner Publikum aufgenommen. © Musikfest Berlin / Fabian Schellhorn
Moderation: Volker Michael |
Die litauische Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla präsentiert beim Musikfest Berlin Unbekanntes vom Letten Mikalojus Konstantinas und Berühmtes vom französischen Zeitgenossen Maurice Ravel. Zuvor ist Antoine Tamestit, Viola, Solist im Werk von Luciano Berio.
Die litauische Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla hat zum Musikfest Berlin ein besonderes Werk mitgebracht: die sinfonische Dichtung "Jūra" ("Das Meer") von Mikalojus Konstantinas Čiurlionis. Der Komponist gilt als Gründer der modernen Musikkultur Litauens. Genau wie Maurice Ravel kam er vor 150 Jahren zur Welt.
Ein wichtiger Vertreter der italienischen Moderne wäre im kommenden Oktober 100 Jahre alt geworden – Luciano Berio. Er war vielfacher Pionier, auch darin, die Volksmusik für den Konzertsaal attraktiv zu machen. Antoine Tamestit spielt mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France die „Voci“ für Viola und zwei Instrumentalgruppen. Hier sind die Musiker auch anderweitig gefragt, wie die Dirigentin berichtet:

Das Orchester singt auch, beziehungsweise redet. Es darf zum Teil schon auch singen, also es schimmert alles Mögliche durch. Es leitet immer wieder dann so von Ferne ein fröhliches sizilianisches Liedchen ein. Oder eben wie eine Volksmenge. Es plappert herum und flüstert mal oder diskutiert vielleicht, was die Bratsche erzählt und darstellt.

Mirga Gražinytė-Tyla liegt die Musik von Čiurlionis besonders am Herzen. Der Komponist, der auch ein bedeutender Maler war, starb bereits im Alter von 35 Jahren und konnte viele Vorhaben nicht beenden.

Das Meer in seiner Tiefe

Was er finalisiert hatte, war die Sinfonische Dichtung "Jūra" ("Das Meer"). Allerdings wurde das Werk erst lange nach seinem Tod uraufgeführt. In den folgenden Jahrzehnten setzten sich bearbeitete Fassungen des Stücks durch. Mirga Grazinyte-Tyla dirigiert nur noch die Originalfassung. Was in diesem Stück geschieht und wie die originalen Gedanken des Komponisten ausgesehen haben. Darüber klärt uns die Dirigentin auf.

Mit 'Jūra' haben wir diese einerseits programmatische, grobe Vorgabe, andererseits ist das Werk offen und lässt unglaublich viele Herangehensweisen zu. Es dauert ja auch eine halbe Stunde. Es ist irgendwie auch wie eine kleine Oper konzipiert, hat sehr viele langsame Tempi, was ja auch dem Meer oder dem Leben und seiner Entstehung eben auch eigen ist und diese meditative Stimmung. Der will man sich hingeben.

Oft haben französische Künstler nach Süden geblickt. So auch Maurice Ravel für seinen Boléro. Musik nicht für einen Nachtclub oder eine finstere Kaschemme, sondern für eine Fabrikhalle, das hatte der Komponist mit dieser Ballettmusik im Sinn.

Alles andere als einfach

Ravel hat mit diesem Stück ein Musterbeispiel gegeben, wie einfach gestrickte Musik in der Umsetzung wirklich schwer zu spielen ist. Manche Dirigenten sehen ihre Rolle beim Boléro darin, wie ein Sporttrainer die Orchestermitglieder zu expressiven Höchstleistungen zu motivieren. Mirga Gražinytė-Tyla beschreibt ihre Grundhaltung.
Es ist aber erstaunlich, was für eine Breite von Stimmungswechseln darin steckt und tatsächlich auch eine Geschichte, wenn man so will. Daran hat Ravel wahrscheinlich nicht gedacht, aber trotzdem, es ist alles da, weil am Anfang ist ja irgendwie auch die erotische Komponente und der spanische Tanz und die Flöte im sehr leisen, sehr da. Dann steigert es sich so, irgendwann wird es fröhlich und die Geigen kommen dazu, endlich der Gesang, so noch in vollerem Saft und dann kommt der Akkord dazu, das wird so magisch und eben Richtung Schluss, finde ich, das ist dann schon fast grausam, was da passiert.
Aufzeichnung vom 02.09.2025 in der Philharmonie Berlin

Luciano Berio
"Voci (Folk Songs II)" für Viola und zwei Instrumentalgruppen

Mikalojus Konstantinas Čiurlionis
"Jūra" ("Das Meer"), Sinfonische Dichtung

Maurice Ravel
"Boléro"

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