"Ohne die Musik wäre ich nicht mehr am Leben"
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"Die übliche beatboxende rothaarige deutsche Transgender Frau mit türkischem Migrationshintergrund": So präsentiert Lia Sahin sich bei ihren Shows. Die Musikerin bringt die Leute zum Tanzen - und nutzt ihre Stimme zum Brückenbauen.
"Was ist das auf der Bühne? Statt: Wer ist das?" So fragen viele Leute, erzählt Lia Sahin, wenn sie die Musikerin erleben. Also ist es fast zum Ritual geworden, dass sie sich den Leuten so vorstellt: "Ich bin es nur, die übliche beatboxende rothaarige deutsche Transgender Frau mit türkischem Migrationsvordergrund, Digga."
Dieser Satz kann helfen, erste Barrieren beim Publikum abzubauen. "Das benutze ich als meinen kleinen Zaubertrick. Um mit meinem anderen Zaubertrick, dem Beatboxen, eine gewisse Faszination auszulösen, um dann einen Dialog aufzubauen."
Bis vor zwei Jahren lebte Sahin im Körper eines Mannes und hieß Fatih. Dann kamen ihr Coming Out, ein neuer Name und die Entscheidung für eine Geschlechtsangleichung. Schon als Kind fühlte Sahin, "dass irgendetwas nicht stimmt. Ich war rothaarig. Dann war ich massiv übergewichtig. Mit 20, 21 war jede Interaktion, auch im romantischen Sinne, merkwürdig. Ich habe alles ausprobiert. Ich habe mich gesucht, als Mensch."
Als Erwachsene wie in der Pubertät
Was Sahin in dieser Lebensphase half, war allein die Musik. "Ich würde ganz offen sagen, ohne die Musik wäre ich nicht mehr am Leben. Weil ich, nur wenn ich Musik gemacht habe, etwas gefühlt habe." Seit einem Jahr nimmt Lia Sahin jetzt Hormone und vergleicht sich mit einem Erwachsenen in der Pubertät.
Das ist keine einfache Phase, aber "endlich kann ich Emotionen greifen. Es ist mehr ein natürliches Ich. Und das Schöne ist, selbst Menschen, die am Anfang skeptisch waren, die hauen mich heute an und sagen: 'Du siehst gut aus. Und du siehst glücklich aus'."
Nicht nur Sahins Körper verändert sich gerade, auch ihre Musik. "Freiheit! Es ist wunderschön. Es ist so schön, zu wissen, ich kann jetzt als Frau rappen, mit der Stimme von einem Mann."
Hauptsache Rhytmus
Mit 15 hat sie mit dem Betaboxen begonnen. Unterstützung gab es anfänglich dafür kaum. "Süße Sache die du da machst, brauchst du aber nicht zu verfolgen", hieß es aus ihrem Umfeld. Später, noch als Mann, gewann Sahin Beatboxmeisterschaften, drehte Musikvideos.
Heute kann sie von ihrer Musik leben, unterrichtet auch. In die Beatbox-Kurse kommen Kinder und Jugendliche, aber auch angehende Manager. Denn wer Beatboxing gelernt hat, so Sahin, der kann besser reden.
Ach ja, Beatboxen, was ist das eigentlich? Für Sahin ist es "alles, so lange du einen Rhythmus hast. Es kann der blödeste Ton sein, so lange du einen Rhythmus hast, kommt es gefühlt in die Kategorie Beatbox."
(ful)