"Jede Note soll durchfühlt sein"
Karl Amadeus Hartmann ging 1933 in die "innere Emigration", schrieb seine bekenntnishafte Musik für die Schublade. Nach Kriegsende half er wesentlich, die im Dritten Reich verfemte musikalische Moderne der Dunkelheit zu entreißen. Heute vor 50 Jahren starb der Komponist.
Im Jahr 1939 schreibt der Münchner Komponist Karl Amadeus Hartmann sein Concerto funebre für Solo-Violine und Orchester, das in Deutschland nicht aufgeführt werden darf. Hartmann, 1905 in München geboren und dort aufgewachsen, verweigert sich standhaft dem Nazi-Regime, er will aber nicht emigrieren. So flüchtet er, in seinem bajuwarischen Ingrimm, in eine innere Emigration und komponiert weiter – Musik für spätere Zeiten.
Karl Amadeus Hartmann hinterließ ein zweifaches Erbe: Da ist zum einen seine ausdrucksmächtige, den Katastrophen des 20. Jahrhunderts abgelauschte Musik, und da gibt es zum anderen eine Institution in München, die Hartmann gleich nach Kriegsende 1945 begründete und die bis heute lebendig ist ‒ die Konzertreihe Musica viva. Mit ihr wollte Hartmann die im Dritten Reich verfemte moderne Musik wieder öffentlich machen und jungen Komponisten ein Forum bieten. Die Idee fand rasch Resonanz, und Hartmann wusste auch, warum:
"Ich muss es aber dem Münchner Publikum und der Münchner Presse, vor allem der Münchner Jugend hoch anrechnen, wie sie immer mehr zu dieser Idee gehalten haben. Ich habe versucht, von überall einen Querschnitt zu geben über die neue Musik ... Denn ich dachte mir, man muss zuerst dem Publikum die Werke Hindemiths und Strawinskys zeigen, die noch leichter aufnehmbar sind … Dann kamen die Jungen wie Stockhausen, Nono und Boulez."
["Symphon. Hymnen"]
Musik aus dem Kriegsjahr 1942, komponiert für die Schublade. Der Komponist Karl Amadeus Hartmann setzt in jenen Jahren ein Zeichen: Mit Konsequenz schreibt er weiter seine Musik, die den Protest gegen totalitäre Gewalt und den Krieg artikuliert. In ihr äußert sich Trauer und Klage, die Wut über das, was in Deutschland geschieht. Und diese Musik, so sagte er selbst, soll verstanden werden:
"Jede Note soll durchfühlt und jede Zweiunddreißigstel-Pause aufmerksam durchgeatmet sein.“
Den künstlerischen Rang hat sich Hartmann beharrlich erarbeitet, zwei bedeutende Musiker werden seine Mentoren: der Komponist Anton Webern, bei dem Hartmann während des Zweiten Weltkriegs in Wien wochenlang privaten Unterricht nahm, und Hermann Scherchen, der große Dirigent und Lehrmeister des Neuen. Entscheidend aber auch: die Begegnung mit Béla Bartók.
"Dieser zarte feine Mensch, dieser unglaublich Gebildete, von einer unerhörten charakterlichen Festigkeit, und diese kompromisslose Musik ‒ da ging etwas über von Bartok zu mir, das mir eigentlich sehr bestimmend war für meine weitere Arbeit."
Viele seiner Stücke – Symphonisches, Chor- und Kammermusik, auch die Oper "Simplicius Simplizissimus" – hat Karl Amadeus Hartmann vor und während des Kriegs komponiert oder wenigstens entworfen. Expressionismus, Jazz und Neue Sachlichkeit, Dadaismus und Futurismus – der junge Komponist suchte die Nähe aller zeitgenössischen Kunstrichtungen. Nach dem Kriegfolgten noch die gewichtigen Symphonien Nummer sieben und acht sowie die große Gesangsszene nach Jean Giraudoux' "Sodom und Gomorrha".
Karl Amadeus Hartmann, der Freund und Berater der jungen Komponisten Neuer Musik, war weit über München hinaus zu einer Instanz humaner Zeitgenossenschaft geworden. Er starb, 58 Jahre alt, am 5. Dezember 1963.