Der Diktator als Opernfreund

Von Jochen Stöckmann |
Wie die Nationalsozialisten auch die Welt der Musik nach ihren Wünschen zu formen versuchten, zeigt die Ausstellung "Das Dritte Reich und die Musik", die bis zum 25. Juni auf Schloss Neuhardenberg zu sehen ist. 200 Exponate wie Briefe und Partituren sowie Film- und Tonbeispiele verdeutlichen, welchen Stellenwert die Musik innerhalb der NS-Propaganda einnahm, aber auch, welche Widersprüche in Kauf genommen wurden, um die Musik zu instrumentalisieren.
Ein mächtiger, stilisierter Adler hält zwischen seinen Klauen ein mystisch leuchtendes Bündel Orgelpfeifen. Das Plakat zur Ausstellung "Drittes Reich und die Musik" erinnert auch an "Europas größte Orgel", die mit 220 Registern, 16000 Pfeifen - die größte davon 12 Meter hoch! - in der Nürnberger Luitpoldhalle die Parteitage der Nazis begleiten sollte. Für Kurator Pascal Huynh spricht der Monumentalismus des Plakats von 1938 Bände:

"Das illustriert eigentlich sehr gut unsere Ausstellung: Deutschland, das Land der übermächtigen Musik, also zuerst das musikalische Erbe, die großen Meister der Vergangenheit. Das ist vielleicht das Erste, was man studieren kann, wenn man die musikalische Weltanschauung und Musikpolitik der NS-Zeit studieren will."

Die persönlichen Vorlieben Hitlers - neben Richard Wagner auch Anton Bruckner - werden dokumentiert, vor allem mit Wochenschauberichten aus Bayreuth. Da defilieren vor dem als Opernfreund im Frack verkleideten Hitler viele Wehrmachtsgeneräle und SS-Offiziere in Uniform. Sehr früh instrumentalisierte das NS-Regime aber auch Bach oder Händel. Letzterer ist auf einem Plakat zur Jubiläumsfeier 1935 in Halle als monumentaler Recke dargestellt.

Konterkariert wird diese vereinnahmende Klassikerverehrung durch Bühnenbilder aus der Weimarer Republik: Der "Fidelio" etwa lief 1927 in der Berliner Krolloper vor neusachlich-schlichter Kulisse, 1938 in der Staatsoper stellte der regimetreue Edward Suhr eine mittelalterliche Trutzburg auf die Bühne. Und ein weiterer Opernfreund neben Hitler soll über den "Fidelio" gesagt haben:

"Als man 1938 'Fidelio' in Wien gespielt hat, war Hermann Göring da und hat gesagt: 'Die Freiheit ist eine Freiheit, die das politische Regime hervorbringt, es ist nicht die individuelle Freiheit.'"

Wie Goebbels, der so genannte Minister für "Volksaufklärung", mit seiner Propaganda eben diese individuelle Freiheit, die Privatsphäre unterminierte, umreißt die von der Pariser Cité de la Musique konzipierte Ausstellung ebenso plastisch wie präzise: Neben einigen Gemälden, Zeichnungen und einer Vielzahl von Fotos und Dokumenten gelingt das vor allem durch Videosäulen mit Wochenschauen und viele Hörstationen. Außerdem steht da ein alter Volksempfänger, ein Radiogerät der NS-Zeit, das der Volksmund "Goebbels-Schnauze" getauft hatte:

"Hören müssen den Rundfunk alle. Er ist da, er kann gar nicht mehr umgangen werden. Die Technik lacht ihre Kritiker aus und setzt über ihre Einwände hinweg ihren unaufhaltsamen Siegeszug fort."

In Heim und auch Hirn der Menschen wollte Goebels mit seiner, so wörtlich, "Verschmelzung von politischen und ästhetischen Werten" eindringen. Und das beste Vehikel war die Musik. So empfahl das Gesetz über das Reichsradio von 1935, den Arbeitern in den Fabriken zu erlauben, in den Pausen Musiksendungen zu hören. Da hatte die zuvor so hoch gelobte klassische Musik kaum noch eine Chance, und insbesondere im Krieg und nach den ersten verlorenen Schlachten setzte Goebbels auf die "leichte Muse" als Balsam für die Volksseele, erklärt Kurator Huynh:

"Bei diesen interessanten Dokumenten, das ist eine Wochenschau über das 50. Wunschkonzert für die Wehrmacht, zeigt sich, was gespielt werden sollte: nicht nur klassische Musik, sondern auch Operette und Marika Rökk."

Dafür griffen die Nazis sogar auf Elemente des Jazz zurück, der offiziell als "jüdisch-bolschewistische Negermusik" geächtet war. Ein schwarzer Saxophonist mit Judenstern prangte zum Beispiel auf dem Katalogumschlag zur Ausstellung "Entartete Musik" 1938 in Düsseldorf - deutliche Anspielung auf Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf", gegen deren Aufführung in Wien die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Großdeutschlands 1927 auf blutroten Plakaten eine, "Riesen-Protest-Kundgebung" ankündigte, gegen - so wörtlich - "eine freche jüdisch-negerische Besudelung, der unsere Staatsoper, die erste Kunst- und Bildungsstätte der Welt zum Opfer gefallen ist."

Diese Berufung auf Bildungsbürgertum und Werte der Kultureliten allerdings öffnete den Nazi-Propagandisten keineswegs den Weg zu den Massen - daher die unverkennbaren Jazz-Anklänge in Liedern und Filmmelodien der frühen Vierziger:

"Auch nach der Machtergreifung gab es Referenzen zu dieser Oper und zu dieser Szene. Natürlich, das Verhältnis zur Jazzmusik ist sehr widersprüchlich. Jazz wurde eigentlich nicht ganz, nicht im ganzen Reich verboten. Es gab auch Versuche, nicht-arische Musiker durch andere zu ersetzen. Und auch deutsche, moderne Tanzmusik zu machen - aber der Erfolg war nicht da."

Plakative Bildmotive oder Propagandaphrasen des offiziellen Schrifttums - und das ist das Verdienst dieser Ausstellung - täuschen nie hinweg über Widersprüche und Grauzonen in Musikleben und Kulturpolitik des Dritten Reichs.

"So zeigen wir auch die innere Emigration von Karl Amadeus Hartmann, aber auch die Leute, die im offiziellen Musikleben weitergearbeitet haben. Werner Egk oder Carl Orff, der ist auch sehr widersprüchlich."

Diese Komponisten und auch Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler oder Hans Knappertsbusch arbeiteten für das NS-Regime und führten nach 1945 ihre Karriere ungebrochen fort. Daneben aber gab es zahlreiche vertriebene, zur Emigration gezwungene und in den Konzentrationslagern ermordete Musiker, denen Pascal Huynh seine Arbeit gewidmet hat und über deren Situation er mit Verweis auf den Komponisten Viktor Ullmann sagt:

"Die Nationalsozialisten haben zum Beispiel erlaubt, dass in einem jüdischen Kulturbund die Juden für die Juden Veranstaltungen machen. Sie haben das weiter im Lager Theresienstadt erlaubt. Und gleichzeitig gab es auch Widerstandsaktionen. Und ein Komponist wie Viktor Ullmann hat selbst gesagt, dass er in Theresienstadt seine Wut zum Komponieren entwickelt hat."