Musik-Duo Man On Man

Zwei Bären zerpflücken Klischees

06:00 Minuten
An Bord einer Fähre stehen zwei Männer mit Mützen und warmen Jacken an der Reling. Im Hintergrund sind die Hochhäuser von New York City zu sehen.
"Warum ist die E-Gitarre so ein fremdes Element in der queeren Kultur?", fragt Roddy Bottum. Man on Man machen die Szene mit ihrer Musik diverser. © Steven Harwick
Von Adalbert Siniawski · 13.04.2021
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Jung, muskulös, gestylt. Dieses Klischee von schwulen Musikern erfüllen Man On Man nicht. Die beiden älteren Männer in weißen Unterhosen zelebrieren im Lockdown ungeschminkt ihre Zuneigung und machen den Indie-Rock und die queere Szene diverser.
Eine grüne, hügelige Landschaft. Roddy Bottum und Joey Holman stehen in einem See bis zum Hals im Wasser. Über den beiden bärtigen Männern leuchtet der bunte Regenbogen. Der eine stützt den Kopf des anderen mit einer Hand, während er ihn sanft nach hinten unters Wasser taucht.
Einer christlichen Taufe gleich besiegeln die zwei ihre Liebe, ihre Gemeinschaft, unterlegt von sakralen Streichern und Chören. "Baby, you're my everything", heißt das Musikvideo. Alles Dunkle der Welt ist ausgeblendet, die Pandemie für einen Moment vergessen.
"Es war für die Menschen, für das Land, die ganze Welt echt anstrengend, durch das vergangene Jahr zu gehen. Wir hatten das Glück, verliebt zu sein und haben uns an die Liebe geklammert. Covid-19 hat den Blick darauf gelenkt, was uns wichtig ist: In den dunkelsten Momenten war es die Liebe zueinander. Das war das Licht, dem wir gefolgt sind. Und es war uns wichtig, diese Botschaft zu teilen", sagt Roddy Bottum.

Bandgründung aus Zufall

Vor zwei Jahren lernt er Joey Holman kennen. Im März 2020 fahren sie von der Wahlheimat New York City aus quer durch die USA in Richtung Kalifornien. In Oxnard wollen sie sich um Bottums todkranke Mutter kümmern und den Lockdown überdauern. Auf dem Weg dorthin kam die spontane Idee, gemeinsam Musik zu machen. Die Bandgründung war eine Art ein Zufall, meint Holman.
Die pandemiebedingte Isolation und der Tod der Mutter münden mitnichten in zart instrumentierte Melancholie. Die Gitarren: verzerrt, die Lyrics: laut gerufen. Es geht um Sex als Ventil. Man On Man - der Bandname ist Programm. Zwei schwule Bären in weißen Unterhosen, mit behaartem Rücken, kurzen Frisuren und paar Pfunden zu viel liegen sich in den Armen und knutschen innig.

Leben in Bubbles

Für YouTube ist das offenbar zu viel: Das Video zu "Daddy" wird zwischenzeitlich blockiert, bis man sich für einen Fehler entschuldigt und es wieder online gehen darf.
"Wir leben in einer Welt, wo es Bubbles gibt, in denen einiges erlaubt ist, aber außerhalb dieser Bubbles haben wir immer noch Angst, Zuneigung zu zeigen oder Händchen zu halten", sagt Holman. "Dumme und ignorante Menschen gibt es überall! Außerdem wollen wir zeigen: Du musst nicht dünn, jung und glatt rasiert sein, um zur schwulen Kultur zu gehören. Du kannst der sein, der Du sein willst - und Deine Liebe zeigen."
... und damit ein anderes Bild abgeben als etwa Perfume Genius oder Moses Sumney, aktuelle junge Musiker, die dem allgemeinen schwulen Ideal, jung-muskulös-gestylt, entsprechen. Man On Man füllen in der queeren Szene eine Lücke.

Diskrimminierung wird ausgebremst

Bottum ist Jahrgang 63, Holman etwas jünger. Auch im Jahr 2021 ist das nicht ganz selbstverständlich.
"Es gibt selbst in der queeren Community viele Vorurteile, Hass und Ausgrenzung. Aber gleichzeitig gibt es - gerade in den USA - eine wunderbare Gegenbewegung: Wir sind mittlerweile offener, wir hinterfragen Schönheitsideale, und es ist nicht mehr cool, sich über andere lustig zu machen. Das sieht man besonders in den sozialen Medien: Diskriminierung wird wahrgenommen und ausgebremst."
Dazu kommt der eher untypische Sound zwischen Slow-Motion-Indie-Rock und Shoegaze, wie beim Song "Stohner". Roddy Bottum und Joey Holman greifen als queere Künstler wie selbstverständlich zur E-Gitarre, einem Instrument, das wie kaum ein anderes für heterosexuellen Machismo steht.

Gegen das Schubladendenken

Es gibt in der Musikgeschichte nur wenige Männer, die offen queer waren und in die Saiten gegriffen haben - Bob Mould von Hüsker Dü etwa oder Pete Shelley von den Buzzcocks.
"Warum ist die E-Gitarre so ein fremdes Element in der queeren Kultur", fragt Bottum. "Ich habe keine Ahnung. Für uns ist die E-Gitarre das richtige Instrument mit dem passenden Klang, der zu uns spricht und uns die richtige Präsenz verleiht."
Auch wenn Man On Man auf ihrem gleichnamigen Pandemiealbum musikalisch keine neuen Wege betreten und sich die Themen etwas repetitiv um ihre Liebe und Zuneigung drehen, so leisten sie doch eines: Roddy Bottum und Joey Holman machen den Indie-Rock und die queere Community auf sympathische und liebenswerte Weise ein weiteres Stück diverser. Denn Labels gehören auf den Müll.
"As an artist especially, no one likes to be pigeonholed, no one likes to be categorized."
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