Raubkunst und Restitution

Wie soll das postkoloniale Museum der Zukunft aussehen?

53:35 Minuten
Eine aufrechtstehende Tierfigur aus Benin ist im Rahmen einer Ausstellung im Museum Quai Branly in Paris zu sehen.
Ein Kunstschatz aus Benin im Museum Quai Branly in Paris. Frankreich will die Figur dem Herkunftsland zurückgeben. © picture alliance / Xinhua News Agency / Gao Jing
Moderation: Christine Watty · 19.12.2021
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Die Benin-Bronzen haben die Debatte um Raubkunst und Restitution befeuert. Doch auch die Museen selber rücken in den Fokus. Experten fordern eine konsequente Neuausrichtung der Häuser und neue respektvolle Formen des Sammelns.
Darf man geraubte Kunstschätze zeigen? Muss man sie zurückgeben? In der Auseinandersetzung um koloniale Raubkunst arbeiten sich die Feuilletons vor allem an diesen Fragen ab. Über eine konsequente Neuausrichtung der Häuser wird seltener verhandelt. Doch wie sollte das postkoloniale Museum der Zukunft überhaupt aussehen?

Wider den kolonialen Geist

Ein Paradigmenwechsel habe bisher nicht stattgefunden, sagt Kurator Christopher Nixon, auch wenn Bewegung in die Museumslandschaft gekommen sei. Die Häuser müssten sich aber "grundsätzlich verändern und wirklich ans Fundament gehen". Viele Denkmuster, die die heutige Museumsarbeit bestimmten, seien im 19. Jahrhundert entstanden und kolonial geprägt. Nixon plädiert dafür, Museen "neu zu denken“:

"Wo können wir diese Kolonialität strukturell abbauen? Und Institutionen schaffen, die zwar auch das materielle Erbe sammeln und bewahren, aber darüber hinaus noch eine andere Dimension von gesellschaftlicher Verantwortung für sich begreifen?“

Nummern auf heilige Objekte geschrieben

In den ethnologischen Sammlungen wird Raubgut oft ohne jeglichen Respekt für die Gefühle der Herkunftsgemeinschaften ausgestellt – kein Hinweis zu brutalen Plünderungen, kaum Information zu den kolonialen Verstrickungen der Museen selber. Bis heute würden viele Exponate mit europäischem, "weißen" Blick präsentiert, sagt Kevin Breß vom Leipziger GRASSI Museum für Völkerkunde – die meisten sind noch nach Ordnungsprinzipien aus Kolonialzeiten katalogisiert. "Die Leute, die damals gesammelt haben, haben einfach ihre Namen und Nummern großflächig auf heilige Objekte und andere Dinge draufgeschrieben. Und daran zeigt sich ja auch, was für ein Aneignungsprozess das gewesen ist."

Die Trauer der Beraubten

Die Kolonialherren agierten skrupellos, ihre Beutezüge haben die betroffenen Gemeinschaften schwer geschädigt. In der Debatte um die Verbrechen der Kolonialzeit müsse die Trauer der beraubten Menschen eine deutlich größere Rolle spielen, fordert Kuratorin Jeanne Nzakizabandi.
"Restitution beinhaltet mehr als die Rückgabe von Raubgut. Ich sehe es als einen Teil von Restitution, gemeinsam Trauerprozesse organisieren zu können. Verständnis dafür aufzubringen, dass wir gerne von 'Objekten' reden – doch für die Herkunftsgesellschaften handelt es sich teilweise sogar um Subjekte."

Als eines der großen ethnologischen Museen in Deutschland erfindet sich das Leipziger GRASSI Museum für Völkerkunde grade neu – im Zuge der Neuausrichtung wird es auch einen "Repatriierungsraum" geben, sagt Kevin Breß. "Der Raum ist für die Communities der Herkunftsgemeinschaften reserviert – mitten in der Ausstellung. Die Besucher müssen dort durch und können sich über die Thematik informieren. Aber genauso können dann auch die Gäste diesen Bereich separieren und abtrennen, um sich dort den verstorbenen Ahnen wieder anzunähern."

Geschichten von Menschen erzählen, die sonst nicht in Museen auftauchen

Partizipation, Respekt und neue Formen des Sammelns – bei denen sich Bürgerinnen und Bürger miteinbringen können – zählen zu den Ansätzen eines Museums der Zukunft. Das postkoloniale Museum definiere sich darüber, für "Sichtbarkeit zu sorgen" und auch die Geschichten von Menschen zu erzählen, die sonst nicht in Museen auftauchen, sagt Christopher Nixon. "Und das heißt eben, abrücken von dem Bestand, von den Objekten – hin zum Dialog, zur Polyphonie und zum Publikum."

(tif)
Es diskutierten:
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit Wikimedia Deutschland e.V.
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