Museen

Mehr Multikulti, bitte!

Werke des Malers Paul Klee stehen am 21.11.2003 im Sprengelmuseum Hannover.
Museen sollen nach Wunsch des Deutschen Museumsbunds kulturelle Vielfalt besser berücksichtigen, © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Jochen Stöckmann · 26.02.2015
Themen wie Migration und kulturelle Vielfalt kommen nach Ansicht des Deutschen Museumsbunds (DMB) in der Arbeit vieler Museen zu kurz. Das DMB-Projekt "Kulturelle Vielfalt" hat zum Ziel, mehr Migranten in Ausstellungen locken – und will nebenbei die Sammlungspolitik revolutionieren.
Kultur, selbst Hochkultur, ist hierzulande für jedermann zugänglich, sagt Mustafa Akca von der Komischen Oper in Berlin.
Akca: "Die Türen sind wirklich offen, genauso wie die Türen aller Museen. Das Problem ist nur, das wissen die Leute nicht."
Die Leute, das sind Migranten, Bürger mit Migrationshintergrund. Und die will der Deutsche Museumsbund in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellen. Deshalb hat er das Projekt "Kulturelle Vielfalt" in Auftrag gegeben bei einem Kuratorinnenduo. Der Historikerin Lorraine Bluche ging es dabei vor allem darum, der Gesellschaft im Großen und Ganzen den Spiegel vorzuhalten:
Bluche: "Die Frage nach einem, wie wir gesagt haben, inklusiven Museum. Ein breiterer Ansatz, also ein Museum für alle, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen sich repräsentiert fühlen, wo alle mitgestalten können."
Migranten mehr Gewicht einräumen
Auf zwei Säulen basiert die Strategie, auf der Öffnung nach innen und nach außen. Intern sollen die Museumsleute Migranten mehr Gewicht einräumen. Das sei bitter nötig, beklagt Puneh Henning. Aus Erzählungen von Kollegen wisse sie, dass allein ein fremder Name der Karriere im Museumsbetrieb hinderlich sei. Stattdessen wünscht sich die Stipendiatin:
"Viele Vertreter der Gesellschaft, weil nur so können wir Multiperspektivität gewährleisten. Aber natürlich ist es auch wichtig, dass, wenn es um das Thema Migration geht, dass Menschen mit Migrationshintergrund dabei sind, weil die am eigenen Leib erfahren haben, was Stereotypen ausmachen können, was Diskriminierungsmechanismen sind."
Mit je eigenen Erfahrungen sollen auch Schwule, Lesben und Transgender-Menschen vertreten sein – gar nicht zu reden von sehr unterschiedlichen Migrationsformen, Herkunftsländern und Sprachen. Allzu leicht ist diese schnell dahingesagte Zauberformel der "Multiperspektivität" nicht zu verwirklichen. Im Dresdner Hygiene-Museum hat es Gisela Staupe, die stellvertretende Direktorin, deshalb erst einmal mit museumsinterner Gruppenarbeit versucht.
Staupe:"Durch diese Kuratorengruppe haben wir versucht, unterschiedliche Meinungen und Vorstellungen zu eruieren. Aber letztlich, da muss man auch wieder ehrlich sein: Eine Kuratorengruppe ist gut, aber irgendwann braucht man auch eine Person, die entscheidet."
Zuwanderer sollen mitbestimmen, was gesammelt wird
Warum nicht? Denn über Fehlentscheidungen der Experten, lässt sich nirgendwo besser streiten als in den Museen. Die sind in unserer Republik seit Anbeginn ein öffentlicher Ort. Und der soll mit dem Migrations-Projekt ja auch ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, allerdings abseits wissenschaftlicher Arbeit. Diese klassische Aufgabe der Museen wird in der nun herausgegebenen Handreichung nicht mit einem Wort erwähnt. Statt dessen konzentriert man sich auf den Blick von außen, die Sichtung der Sammlungsbestände "gegen den Strich" durch Laien, durch sogenannte Fokusgruppen. Das ist die "zweite Säule" im Projekt von Lorraine Bluche und Frauke Miera:
Bluche: "Es geht jetzt hier nicht um Faktenwissen, sondern es geht um Assoziationen, um Erinnerungen, um spontane Reaktionen."
Miera: "Das kann man natürlich so machen, dass man direkt was hinschreibt auf eine vorliegende Karte, aber natürlich auch als Museum die Leute zusammenbringen und dort noch einmal live quasi neu zu diskutieren."
Die Leute sollen aber auch im Museum entscheiden, die Sammlungen neu ausrichten.
Bluche: "Es geht nicht nur darum, das Klassische zu sammeln, also: Was haben die Menschen mitgebracht? Allen fällt da immer der Koffer ein. Wir denken darüber hinaus. Es geht darum, dass Migranten, Migrantinnen und ihre Nachfahren teilhaben an Entscheidungen, was gesammelt wird."
Migranten korrigieren Fehler in Sammlungen
Es wäre eine Zäsur der Sammlungspolitik. Auch wenn das Ergebnis im Stadthistorischen Museum Bielefeld ganz unspektakulär ausschaut: Einen Drahtesel, ein in den Fünfzigern für Südosteuropa produziertes Lastenfahrrad, hat ein Grieche, seit Langem schon an der Firmengeschichte seiner Dürkopp-Werke interessiert, perfekt aufgearbeitet. Funkelnagelneu, ohne Gebrauchsspuren oder Aura steht das Objekt in der Vitrine. Anschaulicher fiel das Ergebnis in den Ethnographischen Sammlungen Sachsen aus. Dort korrigierte eine syrisch-algerische Fokusgruppe die Zuschreibung eines Beduinenmantels, dessen Trageweise auf der Karteikarte falsch dargestellt war.
Wiebke Ahrndt: "Da sind die Museumskollegen auch sehr dankbar, wenn sie darauf gestoßen werden. Und das ist ein ganz anderer Zugang zu den Sammlungen und definitiv ein bereichernder: Um einfach auch zu zeigen, dass diese Stücke von unterschiedlichen Seiten aus zu betrachten sind. Sie sind nie eindimensional."
Wiebke Ahrndt, Vizepräsidentin des Museumsbundes, ist positiv beeindruckt von den ersten Ergebnissen des Migrations-Projekts. Allerdings dürfte es dem einen oder anderen Museumsfachmann schwer ankommen, dass seine Expertise nicht mehr gar so viel gelten soll. Denn Frauke Miera setzt andere Schwerpunkte:
Miera: "Solche Prozesse des Erprobens und wirklich ein Stück weit basisdemokratischer an Museumsarbeit ranzugehen. Und ich denke: Das ist dann so etwas, da ist man davon überzeugt – oder ist es womöglich auch nicht."
Denn im Erfolgsfall droht das basisdemokratische, unbezahlte Engagement auszuufern, dürfte die Vielzahl der neu aufgenommenen Objekte und Myriaden der sich darum rankenden Migrations-Narrative jeden Rahmen sprengen – räumlich wie finanziell. Und deshalb bleibt es am Ende doch irgendwie eine Sache der Fachleute, die dann womöglich nicht mehr Kuratoren heißen, sondern als Moderatoren tätig sind, wie heute schon Frauke Miera:
Miera: "Natürlich kann das Ganze nicht ein komplett anarchischer Prozess sein. Man wird auch solche Projekte zuschneiden, auf ein bestimmtes Thema, auf eine bestimmte Facette, auf eine bestimmte Gruppe. Und dadurch wird es dann eine natürlich Begrenzung haben."
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