Museen im Internet

"Verzweifelt, unausgegoren und sinnlos"

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An einer Wand ist eine Graffito-Adaption der Mona Lisa zu sehen. Sie trägt Mundschutz und hält ein Smartphone, als ob sie fotografieren würde. Im Vordergrund sind die Hände einer Frau zu sehen, die dieses Bild fotografieren.
Lässt sich Kunst wirklich digital begreifen? Oder ist es nicht gerade deshalb Kunst - weil man das Original erleben muss. © Getty Images / Europa Press
Jörg Heiser im Gespräch mit Nana Brink · 26.03.2020
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Wegen der Coronakrise bauen viele Museen und Galerien momentan ihre digitalen Angebote aus. Jörg Heiser von der Berliner Universität der Künste findet die Online-Auftritte aber nur selten gelungen: Meistens sei das "nichts anderes als eine Diashow".
Museen und Galerien sind geschlossen – wochen-, vielleicht sogar monatelang. Doch gleichzeitig bauen viele Einrichtungen gerade ihre digitalen Angebote aus: virtuelle Rundgänge durch die Sammlungen auf den Websites, Fotos und Videos auf Instagram oder Youtube. Funktioniert das? Vermitteln sich so andere Zugänge zu den Kunstwerken? Und machen die Angebote Spaß?

Nicht vergleichbar mit Museumsbesuch

Extrem skeptisch ist Jörg Heiser, Professor für Kunsttheorie, Kunstkritik und Interdisziplinarität an der Universität der Künste in Berlin: "Ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Weg ist."
Es sei verständlich, dass die Museen und Galerien geradezu verzweifelt und schnell versuchen würden, Onlineangebote aufzulegen, da sie ja alle geschlossen seien. Und grundsätzlich sei es begrüßenswert, dass Inhalte online verfügbar werden. "Nur dürfen wir uns auch nicht der Illusion hingeben, dass das auch nur annähernd das aufwiegen kann, was wir bei einem realen Museumsbesuch erleben und erfahren können." Das sei etwa so, als würde man sich Bilder von schön gekochtem Essen anzuschauen, statt ins Restaurant zu gehen.

Wie eine Diashow

De facto seien die digitalen Angebote der Museen und Galerien "in den meisten Fällen nichts anderes als eine Diashow", so Heiser. "Es ist einfach eine Abfolge von digitalen Bildern." Es fehle ein Narrativ oder eine wissenschaftliche Abhandlung über ein Thema.
Als Beispiel nennt Heiser das Angebot des Zentrums Paul Klee in Bern zu einer Ausstellung über die amerikanische Malerin Lee Krasner. Auf der Website gebe es einige Bilder von ihr, die man auch bei einer einfache Suche nach dem Namen "Lee Krasner" finden würde. "Was diese Bilder nur für mich interessant machen kann zum jetzigen Zeitpunkt, ist die Arbeit und die Leistung von Kunstkritikern und Kunsthistorikern." Etwa die Arbeit der Krasner-Biografin Gail Levin. Dieses Buch sei viel besser, so Heiser, "als so manche unausgegorenen, sogenannten Walk-Throughs oder Instagram-Ansagen von Museumsdirektoren derzeit anzugucken."

Appell an Künstlerinnen und Künstler

Jörg Heiser spricht von einer "Verzweiflungstat" vieler Museen und Galerien. Er appelliert:
"Die Künstlerinnen und Künstler, die jetzt von hyperaktiven Galeristen angerufen werden und zu irgendwelchen Gesprächen über ihre derzeitigen Produktionen animiert werden, sollten ihre Galeristen und die Museumsdirektoren vielleicht mal darum bitten: Hört mal, bevor ihr jetzt irgendwelchen sinnlosen Quatsch raussülzt, der dann die Streamingkapazitäten der Netze unnötig belastet, gebt doch lieber den Künstlerinnen und Künstlern oder den Kunstkritikern, den Kunstwissenschaftlern Aufträge, fundierte, gute Audio- und Videobeiträge zu produzieren, die ihr dann zum Beispiel in einem Crowdfunding-Modell unter die Leute bringt."
Für diese fundierten Beiträge wäre dann ein kleiner Betrag fällig, so Heister. Aber dafür wäre das "nicht einfach dieses sinnlose, völlig unüberlegte Raus-Blasten von jedem Blödsinn".
(jfr)
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